Donnerstag, 7. August 2008

Mekka und Medina

Sure 7: Der Wall

In seinem schönen Koran-Blog im englischen "Guardian" erklärt der Londoner Islamexperte Ziauddin Sardar auch die Klassifikation der einzelnen Suren. Sie lautet entweder „geoffenbart zu Mekka" oder "geoffenbart zu Medina", wobei von den 114 Suren die Mehrzahl (85) in Mekka offenbart wurde, nur eine Minderzahl (29) stammt aus der späteren Zeit in Medina.

Sardar benennt den Unterschied wie folgt. In Mekka ist der Islam entstanden und mußte sich dort vornehmlich seiner wichtigsten Gründe bewußt werden. In Medina hat sich dann die aus Mekka vertriebene junge muslimische Gemeinschaft gesammelt und erste Regeln für ihr Zusammenleben aufgestellt. Entsprechend handeln die Suren aus Mekka mehr vom „warum“ und die Suren aus Medina mehr vom „wie“ des muslimischen Lebens.

Durch die Zusammenstellung des Korans, bei dem die langen Suren nach vorne gerückt wurden und die kurzen nach hinten, hat sich dieser historische Zusammenhang weitestgehend verkehrt, denn gerade die späteren Suren, also die aus Medina, sind oft besonders lang und stehen deshalb vorne.

Sardar beginnt seine Interpretation der langen zweiten Sure, einer Medina-Sure, mit einer Überlegung zum Begriff der „ Gottesfürchtigen“ des ersten Verses der Sure 2:

Dies Buch, daran ist kein Zweifel, ist eine Leitung für die Gottesfürchtigen.

Diese im Arabischen muttaqi genannten Menschen sind von taqwa erfüllt, davon leitet sich muttaqi sprachlich her. Sardar übersetzt dieses Wort mit „God conscious“ also eher mit „gottesbewußt“ als mit „gottesfürchtig“. Ein von Gott geleiteter Mensch ist sich der Existenz Gottes bewußt, erfährt die Gegenwart Gottes auf vielfältige Weise, mit seinem Verstand und seinem Gefühl.

Sardar leitet aus den ersten Worten der zweiten Sure fünf Erkenntisse ab, die den Gottesbewussten prägen:

- Gott ist die sich selbst genügende Quelle alles Seins,
- das Faktum der Existenz Gottes, von Prophet zu Prophet immer wieder berichtet, ist dem menschlichen Intellekt zugänglich,
- rechtschaffenes Leben - und nicht nur der Glaube allein - ist die notwendige Konsequenz der vorgenannten Erkenntnis,
- dem körperlichen Tod folgen Auferstehung und Gericht,
- wer sich seiner Verantwortung vor Gott bewußt ist, kann ohne Furcht leben.

Ich gebe diese Punkte zunächst einmal ohne eine Ahnung davon weiter, inwieweit die moderne Sprache Sardars die alten Gedanken des Koran richtig wiedergibt. Nachvollziehbar erscheint mir, daß es ein charakteristisches muslimisches Streben nach einer dauerhaften Erkenntnis Gottes in den sichtbaren und unsichtbaren Dingen um uns herum gibt. So hat mir Nurefddin Öztas von seinem Glauben erzählt, so bezeugen es die Schriften, die er mir gegeben hat.

Noch kurz zur heutigen Sure 7: sie ist eine der wenigen Mekka-Suren vom Anfang des Korans und zeichnet ein deutliches Bild von Paradies und Hölle. Ihr Titelwort „Wall“ bezeichnet einen Erdwall als Grenze zwischen den beiden Räumen der Ewigkeit, der ewiges Glück von ewigem Fluch voneinander trennt.

Himmel und Hölle liegen so nahe nebeneinander, nur durch den besagten Wall getrennt, daß die Bewohner der beiden Bereiche miteinander reden können. Dies ist eine Vorstellung, die es auch an einer Stelle im Neuen Testament gibt, wo Jesus vom armen Lazarus erzählt, der aus seiner himmlischen Position heraus mit dem reichen Mann reden kann, vor dessen Tür er früher einmal gebettelt hat.

Die Vorstellung eines Gerichtes am Ende der Zeit (Punkt 4 der fünf obigen Punkte von Sardar) nimmt im Koran offenbar eine noch stärkere Rolle ein als im Neuen Testament. Im Alten Testament findet sie sich so gut wie gar nicht, so daß man sich fragt, nach welchen Gesetzen das Denken der Menschen sich im Verlauf der Geschichte immer stärker auf ein Jenseits hin ausgebildet hat – und warum der Gedanke in den Köpfen und Herzen der modernen Menschen nur noch so wenig Raum findet.

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