Sure 4: Die Frauen
Nein, eine Unterstützung für Nietzsche, der die Peitsche mitzunehmen geraten hat, wenn man als Mann zur Frau geht, gibt es in dieser Sure 4 nicht. Das Recht der Frauen, das in den ersten 40 Versen ausgebreitet wird, ist vor allen Dingen ein Erbrecht, und es schützt offenbar die schlechter gestellten Waisen und Zweitfrauen und Schwestern usw. im Falle eines unzeitigen Todes des Versorgers.
Pflichtteile werden eingeführt und sorgfältig voneinander unterschieden. Die Summe der einzeln aufgeführten Pflichtteile läßt in der Regel nur eine freie Verfügung des Erblassers über 33 % seines Vermögens zu, zwei Drittel muß er so vererben, wie es das Gesetz befielt: Zum Vergleich: bei uns sind es heute 50 %, die an den Pflichtteilen vorbei frei und nicht ans Gesetz gebunden vererbt werden können.
Die weiblichen Mitglieder einer Familie erben durchweg nur die Hälfte dessen, was ihren Brüdern und Männern zusteht, aber der Koran hat in einem eigenartigen Zirkelschluß diese Ungleichheit begründet: die Männer haben Autorität über die Frauen und sind ihnen (nach der Henning-Übersetzung) überlegen, weil sie von ihrem Vermögen hingeben (34), also aus ihren Mitteln die Versorger der Frauen sind. Die Männer erben also mehr, weil sie es wieder weitergeben müssen.
Das könnte man von einem modernen Standpunkt der Gleichberechtigung aus gesehen auch anders regeln, aber es mag in alten Gesellschaften zur natürlichen Ordnung gehören, daß man die Menschen je zwei und zwei in die Welt schickt und dem einen mit der Maßgabe etwas mehr in den Geldbeutel steckt, daß er für den anderen aus dem ererbten Vermögen in verantwortlicher Weise ein laufendes Einkommen erwirtschaften soll.
Das Gott außerdem, zweiter Grund für die männlichen Vorrechte, dem einen mehr als dem anderen gegeben hat (34) wird nicht näher ausgeführt und bleibt vage – körperliche Kraft dem Mann? die Fähigkeit, Leben aus sich hervorzubringen der Frau? wer hat dabei mehr? Jedenfalls ruft der Anfangsvers der Sure in der Übersetzung Hennings dazu auf, Gott und eurer Mutter Schoß zu fürchten, keine Rede also vor zu geringem Respekt vor den Frauen.
Man darf sie schlagen, ja, das steht hier auch (ebenfalls in 34), aber es bezieht sich nur auf bestimmte Widerspenstige, und zwei Schiedsrichter soll man holen, wenn eine Ehe in die Krise gerät, auch das ist geregelt, gleich im nächsten Vers.
Hurerei wird mit Hausarrest bestraft (15) nicht mit Steinigung, der Inzest wird mit vielen detaillierten Verboten belegt (23), Ammen und Milchschwestern sind darin einbezogen, das Haus der Großfamilie ist ein inzestfreier Raum. Die Sexualität soll den Menschen dazu bringen, sich auf den Weg zu machen und außerhalb des Hauses auf Suche zu gehen.
Was im späteren Verlauf der Sure erneut überrascht, ist der enorme Druck, unter dem die Gläubigen stehen, die sich von ihrer jüdischen, christlichen und polytheistischen Umgebung absetzen müssen. Zwar kennt auch das Judentum und das Christentum die permanente Konkurrenz durch Abgötterei, aber die Situation der Moslems um das Jahr 600 herum ist offenbar diesbezüglich viel dramatischer, die vielen Ermahnungen und Abgrenzungen sprechen eine deutliche Sprache.
Man denkt darüber nach, ob im Feuer dieser Anfechtungen und Auseinandersetzungen der Islam härter geschmiedet wurde als andere Religionen und deshalb vielleicht auch bis heute konsequenter darauf hinzuwirken sucht, daß er an den Orten, wo er seine Herrschaft ausbauen kann, am Ende möglichst allein am Platze ist.
Die Heuchler begegnen uns als die ersten, die der Koran für vogelfrei erklärt, schlagt sie tot, wo immer ihr sie findet (91). Aber wer sind sie? Zwei Verse vorher wirft der Koran den Gläubigen vor, sich zu viel Mühe mit ihnen zu machen, man hat sich bezüglich der Behandlung der Heuchler in zwei Parteien gespalten. Unnötig! sagt der Koran, schlagt sie lieber tot.
Es erscheint mir relativ klar zu sein, daß hier keine größere Gruppe von Menschen gemeint sein kann, eher eine kleine, aber unbequeme Minderheit. Bombenattentate in U-Bahn-Stationen lassen sich mit dieser Sure nicht rechtfertigen. Der Eindruck bleibt allerdings, daß eine gespannte, nervöse Atmosphäre hier und in vielen anderen Versen herrscht, in denen es um die Konflikte mit den ungläubigen oder andersgläubigen Nachbarn in Mekka oder Medina geht.
Zwischen den thematischen Versen wird schließlich aber immer wieder an das erinnert, was über allem anderen gilt: Gott allein zu dienen, das Recht zu üben, das Böse zu meiden. Wahrlich sei es gesagt. So reden Propheten, und sie empfinden, wie es der Apostel Paulus in Philipper 3,1 sagt, keinen Verdruß dabei, sich zu wiederholen.
Montag, 4. August 2008
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1 Kommentar:
Christian schreibt: Das könnte man von einem modernen Standpunkt der Gleichberechtigung aus gesehen auch anders regeln, aber es mag in alten Gesellschaften zur natürlichen Ordnung gehören, ....
In modernen Gesellschaften gelten die Familie, oder das, was von ihr noch besteht, oder ansonsten die Liebespartnerschaft eher als Zufluchtort vor des Gesellschaft denn als Einrichtung der Gesellschaft. In archaischen Gesellschaften fielen familiäre Ordnung und Gesellschaftsordnung dagegen unmittelbar in eins, vergleiche nur Lévi-Strauss, Les Structures élémentaires de la parenté . Auch die Wirtschaft war nachgeordnetes Element der Familie, des Hauses (oikos).
Aus diesem Grunde ist die Familie, allen anders lautenden Beteuerungen zum Trotz, der natürliche Feind der modernen Gesellschaft und ständiges Ziel von Angriffen, um zu verhindern, daß sie verlorenes Terrain zurückgewinnt. Aus diesem Grunde, neben anderen, ist auch ein Gespräch zwischen Vertretern einer modernen Gesellschaft und einer Gesellschaft mit stark archaischen Zügen ohne gegenseitiges Mißverstehen kaum möglich.
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