Dienstag, 14. Oktober 2008

Zum Abschluß

Sure 110: Die Hilfe
Sure 111: Verderben
Sure 112: Die Reinigung
Sure 113: Das Morgengrauen
Sure 114: Die Menschen

Am Ende des Korans stehen zwei Segenswünsche und entlassen den Leser wie durch die Säulenpfosten eines großen Ausgangstores hinaus in die Welt. Sie sind parallel gestaltet und beginnen jeweils mit dem Anruf Ich nehme meine Zuflucht.

Ich nehme meine Zuflucht zum Herrn des Morgengrauens.
Sure 113, Vers 1

Ich nehme meine Zuflucht zum Herrn der Menschen.
Sure 114, Vers 1

Der Schutz, unter den diese Segenswünsche den Menschen stellen, bezieht sich in Sure 113 zunächst allgemein auf das Übel dessen, das er erschaffen, dann auf das Übel der Nacht, und das Übel eines finsteren Zaubers, symbolisiert durch die Knotenbläserinnen. In der letzten Sure 114 wird Schutz vor dem Einflüsterer gesucht, dem Teufel, der böse Gedanken in die Herzen der Menschen einfließen läßt.

Mohammed, dem alle Wahrsagerei und Zauberei gerade so verhaßt waren, wie den Propheten der Bibel, hat es gestattet, daß man die beiden letzten Suren unter Handauflegung rezitiert, um Krankheiten zu heilen. Möglicherweise sind sie das letzte, was er in seinem irdischen Leben gehört hat, denn auch Aischa hat nach der Überlieferung die beiden Suren in ihre Hände hinein gesprochen und mit diesen Händen dann den sterbenden Leib des Propheten bestrichen.

Henning sagt, die beiden Suren würden auch als Amulette getragen, das ist gut vorstellbar. In jedem Fall bilden sie einen würdigen Abschluß dieses großen Buches und entlassen den Leser ähnlich einem Kirchenbesucher mit einer segnenden Schutzformel.

Der Christ ist allerdings, wenn er nicht ganz geduldig war, bereits drei Suren vor Schluß gewissermaßen durch eine Seitentür an die frische Luft entlassen worden. In der Sure 112 wird noch einmal kurz und bündig klargestellt, was Islam und Christentum trennt:

Sprich: Er ist der eine Gott
Der ewige Gott; er zeugt nicht
und wird nicht gezeugt,
und keiner ist ihm gleich.
(Sure 112)

Das macht den Unterschied deutlich, kurz und hart. Kein Sohn, kein Messias Jesus mit göttlichen Zügen. Die Kernaussage er zeugt nicht und wird nicht gezeugt lautet in meiner arabischen Transkription:

lam yalid wa lam yuladu

Der Konsonantenstamm Y-L-D, aus dem die beiden Worte yalid und yuladu gebildet sind, steht auch im Hebräischen für erzeugen und gebären. Und so klingt eines der Gegenstücke der Bibel, die in ihrer Aussage genau entgegengesetzte Messias-Prophezeiung des Propheten Jesaja in Kapitel 9, Vers 5. ganz ähnlich:

ki yeled yuled l'anu

Wörtlich: denn ein Erzeugter ist gezeugt für uns. Luther übersetzt: ein Kind ist uns geboren. Der Vers fährt fort ein Sohn ist uns gegeben, ... und sein Name wird sein Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst. Ein Menschensohn mit göttlichen Attributen. Daran halten wir als Christen fest, das trennt uns vielleicht am stärksten von den Moslems.

Aber vielleicht können die beiden Sätze am Ende so stehenbleiben, ohne Bitterkeit zu hinterlassen - ein eigenartiger Gleichklang der Worte bei widersprüchlicher Gedanken. Und wenn es also frische Luft ist, in die der Christ am Ende des Lesens entlassen wird, dann ist es eine Luft, die er mit dem moslemischen Leser teilt und gemeinsam mit ihm einatmet. Beide wissen sie ja um das Übel dessen, was er erschaffen, beide kennen die Gefahren dieser Welt. Und beide wissen auch von einer Zuflucht.

Das könnte uns mehr zusammenbringen als daß es uns trennt. Und dann könnte es uns am Ende dazu anhalten, daß wir, wie es Sure 103 sagt, einander zur Wahrheit mahnen und zur Geduld.

Montag, 13. Oktober 2008

Ein falsch Gebet

Sure 105: Der Elefant
Sure 106: Quraisch
Sure 107: Der Beistand
Sure 108: Der Überfluß
Sure 109: Die Ungläubigen

Betende Menschen müssen sich oft dagegen verteidigen, daß sie aus falschen Motiven heraus ihre Gebete sprechen. Gerade diejenigen, die für das Gebet wenig erübrigen können, halten mit der Kritik an "falschen Gebeten" nicht hinter dem Berg - wie etwa in Deutschland die Jäger, zwischen deren Jagdtrophäen unzählige Male der Spruch aufgehängt ist Im stillen Wald ein Blick zum Himmel, ist besser als ein falsch Gebet.

Gegen das falsche Beten hat aber auch der Koran strenge Einwände.

Wehe den Betenden,
die nachlässig in ihren Gebeten sind,
die nur gesehen sein wollen
und den Beistand (die Almosen) versagen.
(Sure 107, Verse 4 bis 7)

Diese Einwände klingen ganz ähnlich wie das, was auch Jesus über das vortäuschende Beten gesagt hat, das Beten der Heuchler, die an den Straßenecken stehen und beten, damit sie von den Leuten gesehen werden. (Matthäus-Evangelium, Kapitel 6, Vers 5). Wer beten will, soll in sein innerstes Gemach gehen, hat Jesus gelehrt, was Luther volkstümlich mit Kämmerlein übersetzt und damit die deutsche Eigenart begründet hat, das stille Kämmerlein als sprichwörtlichen Ort des Nachdenkens in Ehren zu halten.

Der Koran hat einen anderen Weg, das rechte und das falsche Gebet zu unterscheiden: ohne die praktische Zuwendung zum Mitmenschen - hier zu den auf Almosen angewiesenen Nächsten - wird ein Gebet verworfen und unter ein großes Wehe gestellt. Auch hierin ist der Koran der Bibel nahe, in der es heißt wie der Leib ohne Geist tot ist, so ist auch der Glaube ohne Werke tot (Jakobus-Brief, Kapitel 2, Vers 26).

Man kann hier lange darüber nachdenken, wie sehr dieser Jakobus-Vers die christlichen Kirchen getrennt hat - die Katholiken, die ihn lieben, und die Protestanten, die ihn nur zusammen mit anderen Versen über die Gerechtigkeit aus Glauben akzeptieren wollen. Man kann hier aber auch über alle Konfessions- und Relgionsgrenzen hinweg die Erwartung einer hilfsbedürftigen Welt sehen, daß die Frommen beten und handeln. Wenn sie es nicht tun, haben sie Koran und Bibel zum Zeugnis gegen sich.

Zur Wahrheit mahnen und zur Geduld

Sure 100: Die Renner
Sure 101: Die Pochende
Sure 102: Das Streben nach mehr
Sure 103: Der Nachmittag
Sure 104: Der Verleumder

Mit ihren drei Versen ist die Sure 103 Der Nachmittag die kürzeste Sure im Koran. Sie teilt diesen Rang zwar mit den ebenfalls dreiversigen Suren 108 und 110, nimmt aber trotzdem eine prominente Stelle ein, weil es unter den ersten Gefährten des Propheten wohl Sitte war, sich diese Sure beim Abschied zu sagen.

Bei dem Nachmittag!
Siehe der Mensch ist wahrlich verloren,
außer denen, welche glauben und das Rechte tun,
und einander zur Wahrheit mahnen und zur Geduld.


Andere Übersetzungen sagen Bei der vergehenden Zeit, das würde die Szene der zwei voneinander Abschied nehmenden Menschen noch deutlicher hervortreten lassen. Sie gehen mit dem Blick auf die sinkende Sonne auseinander. Dabei erinnern sie sich gemeinsam an einen weiten Weg, den die Sure mit ganz wenigen Worten beschreibt. Dieser Weg führt sie aus der Dunkelheit zum Licht – von der Vergänglichkeit der Zeit und der Verlorenheit des Menschen zum Trost des Glaubens und am Ende schließlich hin zu der Aufforderung, sich gegenseitig auf diesem Weg zu bestärken.

Sich gegenseitig zur Wahrheit zu ermahnen und zur Geduld, das könnte man als Aufgabe jeder Freundschaft ansehen, unabhängig davon, an was man glaubt. Wer alles drei kennt, Wahrheit und Geduld und dazu einen Freund, der mit gutem Rat den Weg zu beidem finden hilft, der wird eine Mitte halten können zwischen einer kalten und unduldsamen Wahrheitsbesessenheit und einer passiven, gleichgültigen Duldermentalität.

Ich bin sicher, daß wir in allen Religionen Menschen finden und bewundern können, die ihren Lebensweg auf einer solchen geraden Linie zwischen Wahrheit und Geduld gehen. Vielleicht ist es eine Aufgabe der Zukunft, nach solchen Menschen bewußt zu suchen und ihr Beispiel vielen zu zeigen. Nur so kann die Erkenntnis wachsen, daß glaubende Menschen nicht nach Radikalität streben. Sie streben nach Weisheit.

Iqra!

Sure 95: Die Feige
Sure 96: Das geronnene Blut
Sure 97: Die Macht
Sure 98: Der deutliche Beweis
Sure 99: Das Erdbeben

Das erste Wort der nach der Tradition ersten Sure des Korans, der Sure 96, lautet Iqra!, Lies! Mohammed soll nach der Überlieferung durch seine Frau Aischa diesen Befehl vom Erzengel Gabriel erhalten habe. Aischa hat später weitergegeben, daß Mohammed darauf geantwortet haben soll: ich kann nicht lesen. Mohammed war Analphabet.

Im Internet finden sich zu dem Wort iqra oder seinem Stamm qara die Spuren uralter Auseinandersetzungen zwischen Christen und Moslems. Wenn man das Wort eher als „Rezitiere!“ übersetzt, oder gar als „Preise!“, wie einige meinen, dann entfällt die Brücke zum Analphabetismus des Propheten und der Weg ist frei, ihm die Kenntnis früherer christlicher und jüdischer Schriften nachzuweisen, und damit möglicherweise ein Plagiat.

Ich kann mich an dieser Diskussion mangels solider Kenntnisse nicht beteiligen und will es auch nicht. Ich will statt dessen auf wörtliche Parallelen in der Bibel hinweisen, wo qara ebenfalls an prominenter Stelle vorkommt. Im Hebräishen ist die Bedeutung „rufen“, was natürlich auch gleichbedeutend sein könnte mit „laut lesen“, und damit also die traditionelle Interpretation des Korans bestätigen würde.

Beim Propheten Jesaja erscheint im berühmten Kapitel 40 im Vers 6 gleich zweimal ein Wort mit dem Stamm qara:

qol omer: qera!
wa amar: mah äqra?

Stimme eines Sprechenden: rufe!
Und einer sagt: was soll ich rufen?

Dies ist der Anfang von 40, Vers 6, es folgen als Antwort die häufig in Musik gesetzten gleichermaßen poetischen wie dunklen Worte Alles Fleisch ist wie Gras.

Auch ganz am Anfang der Bibel steht qara – hier ist es ein benennendes Rufen, ähnlich wie in älteren deutschen Texten: „ich werde Wilhelm gerufen“, also Wilhelm genannt. Mit diesem Rufen gibt Gott dem Licht und der Finsternis Namen. Den folgenden Text dürfte auch ein Araber ohne Probleme verstehen:

wa jiqra elohim la’ur yom,
we la’choschäch
qara lailah

wörtlich:

und es rief Gott zu dem Licht Tag,
und zu der Finsternis rief er Nacht.
(Genesis 1,5)

Das prophetische Rufen des Jesaja und das einen Namen vergebende Rufen vom Anfang der Bibel haben mit dem das Prophetenamt Mohammeds einleitende iqra! gemeinsam, daß über das Aussprechen neuer Worte etwas Neues in die Geschichte eintritt, das sich über die Kraft dieser Worte seinen Weg bahnt.

Ich würde Mohammed das nie streitig machen wollen, daß er mit einer großen Botschaft an die Welt versehen wurde, auch einer neuen Botschaft. Sie weicht in vielem von der Botschaft ab, die ich als Christ gehört habe, und die für mich die Botschaft meines Herzens ist. Aber es ist doch eine Macht darin, die mit einem iqra! zu Beginn angemessen angekündigt wird. Diese Macht will ich in gleichermaßen angemessener Weise respektieren.

Sonntag, 12. Oktober 2008

Einreden

Sure 90: Das Land
Sure 91: Die Sonne
Sure 92: Die Nacht
Sure 93: Der lichte Tag
Sure 94: Dehnten wir nicht aus?

Der Benediktinerpater Anselm Grün hat ein schönes kleines Buch* über den Umgang mit negativen Gedanken geschrieben. Er wendet darin den Oberbegriff Einreden an – sowohl auf die dunklen Gedanken selbst als auch auf ihre positiven Entgegnungen. Das Wort Einreden hat ja in der juristischen Sprache eine ähnliche Bedeutung wie Einspruch – etwa in dem Sinn, daß man eine uralte Rechnung nicht mehr bezahlen muß, weil man dagegen die Einrede der Verjährung erheben kann.

Entsprechend kann man gegen das, was einen an niederdrückenden Gedanken quält, innerlich Einrede erheben. Ja, man kann sich bewußt machen, daß eigentlich jedes Wort, das unsere Gemütslage in eine bestimmte Richtung verändert – zur Zuversicht oder zur Depression, zum Optimismus oder zum Pessimismus – eine Einrede in einem allgemeineren, wörtlichen Sinn ist. Wir reden uns etwas ein, und das kann wahr oder falsch, passend oder unpassend sein, wir merken aber in jedem Fall, wenn wir aufmerksam sind, daß es eine Auswirkung auf unsere Grundstimmung hat.

Einreden beginnen bei den einfachen Worten der Kindheit – „meine Mutter hat immer gesagt…“ – und enden bei hohen Worten aus dem Schatz des Glaubens. Sie kommen und gehen in unserem Kopf meistens nach ihren eigenen Gesetzen, auf die wir keinen Einfluß haben. Allerdings besteht unsere Möglichkeit, ihren Strom zu steuern, immerhin darin, gute Einreden zu kennen, mit denen man den schlechten begegnen kann.

Wenn ich ein Koranwort für besonders geeignet halte, in diesem Sinn eine gute Einrede zu bilden, dann das folgende Wort aus Sure 94, Vers 5:

Denn siehe mit dem Schweren kommt das Leichte.

Ich erwarte deshalb mit Zuversicht die Bestätigung von Herrn Öztaş, daß die Übersetzung, die mir IslamiCity auch für die türkische Sprache liefert

Zorlukla beraber kolaylιk vardir.

zu seinem nationalen Schatz guter Einreden gehört.

Übrigens gibt es eine ganz ähnlich lautende Stelle in Sure 65, es heißt dort in Vers 7:

Nach Schwierigkeit gibt Gott Leichtigkeit.

Der Unterschied zu Sure 94 besteht in der Einbeziehung Gottes in das Naturgesetz des Wechsels von Schwer und Leicht. Man könnte fragen: ist das Wort nur mit Gott denkbar oder darf auch der Ungläubige sich an solchen und ähnlichen Worten trösten?

Ähnliche Parallelworte, die man im Wechsel mit oder ohne Gott denken kann, gibt es auch in der Bibel. So wollen etwa einige Verhaltensforscher herausgefunden haben, daß es auch ohne Einbeziehung Gottes vernünftig ist, sich an das Jesus-Wort zu halten wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar (Matthäus-Evangelium Kapitel 5, Vers 39) Angeblich soll das Anbieten eines schutzlosen Körperteils selbst im Reich der Raubtiere den „Beißreflex“ unterdrücken.

Ähnlich halten andere die Predigt, die Jesus über die falschen Sorgen hält, ebenfalls für allgemeingültig: Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. (Matthäus 6, 28 – 29)

In meiner Jugend haben wir darüber gestritten, ob solche und ähnliche Verse „mit Gott“ oder „ohne Gott“ zu interpretieren sind. Heute meine ich im Sinne der Einreden, daß es darauf gar nicht ankommt. Wenn die innere Stimme sich Gehör verschaffen will, muß ein bestimmter Glaube hinzutreten und der Stimme helfen. Vielleicht liegt hier der Anfang eines Weg zu Gott.


* Anselm Grün, Einreden, 2001 im Verlag der Abtei Münsterschwarzach bei Würzburg

Zeichen am Himmel

Sure 85: Die Türme
Sure 86: Der Nachtstern
Sure 87: Der Höchste
Sure 88: Die Bedeckende
Sure 89: Die Morgenröte

Wenn es stimmt, daß die großen Religionen aus der Wüste kommen, dann geben uns drei der oben genannten fünf Suren (Die Türme, Der Nachtstern und Die Morgenröte) mit ihrem an den nächtlichen Wüstenhimmel gerichteten Blick sicherlich einen sinnlichen Eindruck aus der Zeit der Entstehung des Korans. Reisende berichten uns ja immer wieder von den zum Greifen nahen Sternen am klaren Himmel der Wüste. Dies ist die Welt, aus der die ersten Suren kommen.

Die Türme sind nach einer anderen Übersetzung die Konstellationen der zwölf Sternbilder des Tierkreises, zwölf Burgen, zwölf Forts. Der Nachtstern (Sure 86) ist ein Bild für alle Sterne, die mit ihrem Licht den Weg zur Erde durchbohren und daran erinnern, daß wir im Universum nicht allein sind. Jede Seele hat über sich einen Hüter (Sure 86, Vers 3), das will das Zeichen des Nachtsterns bedeuten.

Die Tierkreiszeichen, der Stern und auch die Morgenröte (Sure 89) sind hier alle jeweils Teil einer Schwurformel, auf die dann immer eine Wahrheit folgt, die offenbar von den Gegnern Mohammeds zuvor bestritten wurde. In der Sure Morgenröte folgt auf den Schwur die Frage: Ist hierin ein Schwur für die Einsichtsvollen? (Vers 4)

Die Zeichen am Himmel werden als sichtbare Beweise, als ewige Wahrheitsschwüre für die Existenz Gottes angesehen. Deshalb führt die Betrachtung des Himmels zur Ehrfurcht. Das hat eine lange Tradition, die so lange wirkt, wie es Menschen gibt, die den Nachthimmel betrachten.

Selbst der rationale Philosoph Kant hat innerlich bewegt zum Himmel geschaut und die berühmten Worte geprägt: Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je älter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.

Nirgendwo ist der Himmel klarer und näher als über einer Einöde von Sand oder Wasser. Deshalb ist es gut vorstellbar, daß Mohammeds lange nächtliche Gebete in der Einsamkeit, in der Zeit vor seiner Berufung, immer wieder um die Bilder gekreist sind, die ihm der zum Greifen nahe Himmel über der Wüste geliefert hat.

Es sind die Bilder, die auch Mose in seiner Zeit als Schafhirte in Midian gesehen hat, ebenso wie Jesus bei seinem 40tägigen Fasten in der Wüste, Sternzeichen, Türme am Himmel, funkelnde Planeten, der rote Horizont des heraufziehenden Morgens. Ob die Bilder, die heute noch in vollkommen gleicher Weise am Himmel zu sehen sind, neue Generationen ebenso inspirieren können wie damals?

Samstag, 11. Oktober 2008

An jenem Tag

Sure 80: Er runzelte die Stirn
Sure 81: Das Zusammenfalten
Sure 82: Das Zerspalten
Sure 83: Die das Maß verkürzenden
Sure 84: Das Zerreißen

An jenem Tag werden strahlende Gesichter sein,
lachende und fröhliche.

(Sure 80, Verse 38 und 39)

So fröhlich wie hier findet man den Koran nicht oft, auch wenn man die Wonnen des Paradieses durcheilt von Bächen natürlich als mit ewiger Fröhlichkeit erfüllt immer vor Augen haben kann. Aber die andere Seite will ja ebenfalls gesehen sein, und sie soll als ernste Warnung wieder und wieder gepredigt werden:

Und an jenem Tag werden staubbedeckte Gesichter sein,
bedeckt von Schwärze.

(Sure 80, die unmittelbar folgenden Verse 40 und 41)

Das ist die ernste Kehrseite der Fröhlichkeit des Paradieses. Über den Tag, an dem sich die Wege der Menschen in eine der beiden Richtungen trennen sagt Sure 81:

Dann wird jede Seele wissen, was sie getan hat.
(Sure 81, Vers 14 )

Leider hat mein Searchtruth gerade zu diesem Vers keinen Kommentar, einem Vers, der fast wie eine Sterbeglocke ehern und düster über diesem letzten Tag erklingt (in Sure 82, Vers 5 wird er fast wörtlich wiederholt). Man würde gerne mehr erfahren, denn der an feste Gebote und Regeln gewohnte Christ fragt beim Lesen des Korans in zunehmendem Maße, was denn am Ende das Gute und Schlechte sein wird, das an jenem Tag gewogen wird und vor allem: wie es gewogen und bewertet wird.

Der Koran hat nach meinem Eindruck ein großes erzieherisches Ziel und entläßt den Gläubigen deshalb nicht aus der Unsicherheit, daß selbst ein ausreichendes Maß an guten Taten und selbst die Erwartung eines barmherzigen Gottes (wie er beginnend mit den ersten Worten von Sure 1 angerufen wird) ihn sicher sein lassen kann, eines Tages den Weg ins Paradies antreten zu dürfen. Er soll bis zum letzten Atemzug darum bemüht sein, sich dieses Paradieses würdig zu erweisen und genügend Abstand zu denen zu halten, denen Dschehenna beschieden sein wird.

Gerne würde man auch im Koran eindeutig die Erlösung garantierende Worte lesen wie alle, die an ihn glauben, gehen nicht verloren, sondern haben ewiges Leben (Johannes-Evangelium Kapitel 3, Vers 16). Aber diesen einfachen Weg lehnt der Koran ab. Es ist nicht auszuschließen, daß er dabei das Bild der Christen vor sich hat, die 600 Jahre nach dem Hören dieser Worte in gleichgültiger Erwartung eines garantierten Paradieses leben und aufgehört haben, ihrer Umgebung ein Licht zu sein.

Das ist natürlich Spekulation, aber über das Wissen, was jede Seele getan hat und was daraus folgt, könnten Moslems und Christen fruchtbar miteinander ins Gespräch kommen und sich gegenseitig fragen und sagen, was denn in Zukunft auf dieser Welt zu tun sei.

Am Ende von Sure 82 heißt es:

Was lehrt dich wissen, was der Tag des Gerichts ist?
(Vers 17)

Diese Frage hat eine gewissermaßen rhetorische Form, die am Ende des Korans häufiger vorkommt, bezogen auf verschiedene Inhalte. Sie ist rhetorisch, weil sie in der Regel nicht in ihrem direkten Sinn beantwortet wird. Am Ende von Sure 82 steht sie gleich zweimal .

Ja, möchte man sagen, wie kommen wir hier zu einem sicheren Wissen?

Freitag, 10. Oktober 2008

Kismet

Sure 75: Die Auferstehung
Sure 76: Der Mensch
Sure 77: Die Entsandten
Sure 78: Die Kunde
Sure 79: Die Entreißenden


Wer da will, der nimmt zu seinem Herrn einen Weg.
Doch könnt ihr ihn nicht wollen, es sei denn, daß Gott will.
(Sure 76, Verse 29 und 30)

In diesen beiden Versen begegnet dem Leser ein Anklang an das, was ein schicksalhafter, gottergebener, ja vielleicht sogar „fatalistischer“ Zug im Glauben der Moslems sein könnte – Kismet eben.

Bevor man sich sein ererbtes christliches Wissen über angeblich irrationale moslemische Charakterzüge an dieser Stelle vorschnell bestätigen läßt, sollte man daran denken, daß die obigen Koranworte – 34 Seiten vor Ende des fast 600 Seiten starken Buchs – nur wenige Parallelstellen im Koran haben, im Gegensatz zu vielen anderen Versen. Mir ist zumindest keine Stelle in Erinnerung, in der ich vorher etwas Einprägsames darüber gelesen habe, was geschieht, wenn der Wille eines Menschen mit dem Willen Gottes konkurriert.

Ich vermute deshalb nicht, daß wir hier vor einer sehr zentralen Aussage des Korans stehen. Gewiß, Gott ist allmächtig und kann auch unseren Willen bezwingen, aber die endlosen Ermahnungen an den Menschen, seine Macht doch nun endlich anzuerkennen, gehen alle ganz augenscheinlich davon aus, daß es eine Anerkennung unter Zwang nicht gibt. Der Mensch ist gerade gegenüber Gott in höchstem Maße frei und deshalb auch in höchstem Maße verantwortlich. Die Dschehenna wartet regelmäßig am Ende der Kette von menschlichen Fehlentscheidungen, und schlimm ist die Fahrt dorthin.

Entsprechend interpretiert auch mein kluger Kommentator in Searchtruth den Vers 30 so, daß Gott in die Entscheidungen des Menschen nur sozusagen eingrenzend eingreift. Der Mörder wird einen Mord begehen, vielleicht auch mehrere, aber Gott begrenzt seine Macht so, daß er am Ende nicht alle Menschen ums Leben bringt. Der Dieb kann stehlen, aber unter Gottes Oberaufsicht kann er sein übles Wirken nicht auf die ganze Welt ausdehnen.

Gott kann den Willen des Menschen begrenzen, kann wollen, daß der Mensch nicht will. Aber das stellt den Menschen nicht auf ein Schachbrett, auf dem nur Gott allein die Figuren bewegt. Für die meisten Spielzüge trägt der Mensch die ausschließliche Verantwortung.

Kismet ist deshalb vermutlich eher ein arabisches Wort, an dem sich volkstümliche Ängste und Hoffnungen festmachen lassen - so wie Schicksal ein ähnliches, vielleicht sogar typisches deutsches Wort ist.

Meine englische Koran-Konkordanz zeigt für fate nur insgesamt vier Einträge, alle vier meinen ein bestimmtes historisches Geschick, das einem Volk konkret widerfahren ist (wie etwa dem Volk Noahs in Sure 11, Vers 89). Die Transkription von IslamiCity legt nahe, daß hier im Arabischen auch nicht Kismet steht sondern ein anderes Wort. Entsprechend erscheint auch in der Transliteration der bereits erwähnten Konkordanz Kismet kein einziges mal.

Auch in der Lutherbibel findet sich das Wort Schicksal nicht. Nach meinem Eindruck ist der „Fatalismus“, der den Moslems (aber sicherlich auch manchen Christen) angedichtet wird, eher eine Erfindung von religionsfremden Menschen, denen es undenkbar erscheint, daß man unter Gottes Himmel frei leben kann.

Man kann es aber, und man sollte – das legt der Koran von der ersten bis zur letzten Seite nahe – dabei in gleichem Maße verantwortlich leben, wie man die Freiheit des eigenen Willens gegen Eingriffe von außen schützt.

Donnerstag, 9. Oktober 2008

Nicht so die Betenden

Sure 70: Die Stufen
Sure 71: Noah
Sure 72: Die Dschinn
Sure 73: Der Verhüllte
Sure 74: Der Bedeckte

Die Sure 74 ist nach der Tradition zusammen mit Sure 96 die älteste Sure, die Mohammed offenbart wurde. Dies geschah um das Jahr 610 herum, Mohammed war damals etwa 40 Jahre alt. Folgt man der Tradition, daß Sure 96 am Anfang steht, dann wäre Sure 74 als zweite erst nach einer monatelangen Pause gefolgt, einer Pause, in der Mohammed offenbar in tiefer Ungewißheit über sein Prophetenamt gelebt hat. Als ihm dann eines Tages der Engel Gabriel erneut erschien, ist Mohammed nach Haus geflüchtet, hat sich ins Bett gelegt und seinen Angehörigen befohlen „Deckt mich zu! Deckt mich zu!“

Aus dieser Situation ruft ihn Sure 74 heraus:

O du Bedeckter,
steh’ auf und warne.

(Vers 1 und 2)

Der Leser des Korans macht bei seinem Lesen einen zeitlichen Weg über etwa 30 Jahre zurück. Die ersten Suren beginnen in Medina, wo Mohammed zwischen 622 und 630 lebt, die letzten enden wie gesagt in dem Mekka der Jahre um und nach 610. Der Vorteil dieses Rückwärtslesens besteht darin, daß sozusagen die ausführliche und deshalb leichter verständliche Botschaft zuerst kommt und erst später eine Art Konzentrat folgt.

Wenn man gegen Ende des Korans zu den frühen Suren gelangt, dann kennt man also bereits viele Gedanken vom Beginn des Korans und lernt jetzt ihre ursprüngliche, oft in eher knappen Worten dargestellte Bedeutung kennen. So gibt es in Sure 70 ein Bild des jüngsten Tages, das in seiner Kraft und Prägnanz das meiste, was vorher gesagt wurde, noch übertrifft:

An jenem Tage wird der Himmel sein wie geschmolzenes Erz.
(Vers 8)

Diesem Urereignis werden in Sure 70 die Menschen in ihrer grauen Beschränktheit gegenübergestellt. Sie haben nichts vorzuweisen, was ihnen an diesem Tag Schutz bieten könnte. Im Gegenteil, sie sind schon hier auf der Erde kleinlichen Gefühlsschwankungen unterworfen, mutlos bei Schwierigkeiten, knauserig im Glück. So ist der Mensch! sagt Sure 70 in den Versen 19 – 21, fügt dann aber in einer plötzlichen Wendung an:

Nicht so die Betenden.
(Vers 22)

Man wird hier erneut daran erinnert, daß Mohammed den Gläubigen eigentlich neben der Furcht vor Gott und vor dem Gericht am Ende der Zeiten nur zwei Dinge unmittelbar ans Herz legt: das Gebet und die Armenspende. Dem wird wenig hinzugefügt, klare Gebote und Verbote im Sinne des mosaischen Gesetzes oder des Liebe deinen Nächsten wie dich selbst sind offenkundig nicht der Stil des Korans.

Mohammeds Lehre ist dafür aber eine Renaissance des Gebetes. Die Christen übersehen das oft, weil sie sich an den formalisierten Gebeten stören und die komplizierte Abfolge von unterschiedlichen Gebetshaltungen nicht verstehen. Sie vermuten dahinter eine weitestgehend von eigenen Gedanken und Wünschen befreite Haltung, die eher einem Untertanen ansteht, nicht aber einem freien Gegenüber Gottes.

Herr Öztaş sieht das ganz anders. Er betet, wie er mir sagt, für sehr konkrete Anliegen, er betet sogar – es rührt mich sehr – auch für mich und meine Familie. Sein Leben ist von Gebet durchdrungen, und ich glaube ihm, daß er nicht nur mit seinem Körper betet, sondern auch mit seinem hellwachen Geist.

Eine alte jüdische Tradition verlangt von den innerlich Betenden eine sichtbare äußere Beteiligung. Zumindest die Lippen sollen sich bewegen, am besten der ganze Mensch, und so beten die frommen Juden in Jerusalem an der alten Westmauer des Tempels oft in wiegenden, manchmal ruckartigen Bewegungen, gerade so, als wollte ihr Körper den Geist wach halten.

Daß ein solches Wachhalten notwendig ist, weiß niemand besser als ein Christ, der – gewohnt an stille, reglose Gebete – immer wieder den roten Faden seines stummen Gebets verliert und ihn dann wieder neu finden und aufnehmen muß. Nichts läßt den Geist unruhiger schweifen als der Vorsatz, eine bestimmte Zeit im Gebet zu verbringen.

Auch ich bete gelegentlich (laut, am Frühstückstisch bei der Morgenandacht mit meiner Frau) für Herrn Öztaş und seine Familie, bete auch für seine besondere säkulare Aufgabe in seiner Heimatstadt, über die an einem anderen Ort noch zu berichten wäre. Alle drei Religionen des Buches rufen zum Beten auf. Ich fühle mich denen, die diesem Ruf folgen, in meinem Herzen verbunden – egal ob sie es im Stehen, Sitzen, Knien oder Liegen tun, in Jerusalem in Rom oder Mekka, still oder bewegt.

Wer ernsthaft betet, sucht Gott, wer Gott sucht, von dem läßt er sich finden. So sagt es der biblische Prophet Jeremia in seinem Buch, Kapitel 29, Vers 13 und 14.

Mittwoch, 8. Oktober 2008

Der menschliche Prophet

Sure 65: Die Scheidung
Sure 66: Das Verbot
Sure 67: Das Reich
Sure 68: Die Feder
Sure 69: Die Unvermeidliche

Von den letzten 50 der insgesamt 114 Suren werden nur noch fünf (65, 66, 76, 98 und 99) der Zeit in Medina zugerechnet, alle anderen sind aus der frühen Mekka-Periode, also aus den anfechtungsreichen, ja gefährlichen „Gründerjahren“ des Propheten. Diese Jahre beginnen etwa 609 und enden 13 Jahre später mit der Auswanderung nach Medina im Jahre 622, dem Jahr 1 der islamischen Zeitrechnung.

Die Suren aus der Zeit in Mekka sind meist kürzer und enthalten in der Regel keine ausführlich ausgearbeiteten Lebens- und Verhaltensregeln, wie sie später für eine sich ständig vergrößernde Gemeinde in Medina notwendig waren.

Als eine typische frühe Mekka-Sure sieht mein, in seinen Fußnoten oft auch kräftig kommentierender Übersetzer von 1901, Max Henning, die Sure 68 an. Sie beginnt:

Bei der Feder und was sie schreiben,
du bist nicht, bei der Gnade deines Herrn, besessen!

(Vers 1 und 2)

Mohammed muß zu Beginn seines Wirkens also offenbar auf eine grundsätzliche Weise getröstet und bestärkt werden. Wenn er das alles an sich heranläßt, was seine Gegner an Bösem über ihn verbreiten, ist er mit seiner Kraft bald am Ende. Deshalb bestärkt ihn die Sure:

Du bist wahrlich von edler Natur,
und du sollst schauen und sie sollen schauen,
wer von euch der Verrückte ist.

(Verse 4 bis 6)

Hier ist der Prophet als ein ganzer Mensch sichtbar, dessen Anfechtungen durch üble Nachrede genauso wenig verschwiegen werden wie die Kritik der jüdischen Zeitgenossen am Fresser und Weinsäufer Jesus (Matthäus 11,19). Bibel und Koran sind sich hier in ihrer schnörkellosen Aufrichtigkeit durchaus ähnlich.

Anders als bei Jesus muß allerdings bei Mohammed die Kritik nicht bis zum Ende widerlegt werden. Mohammed behauptet ja nicht, von göttlichem Ursprung zu sein, deshalb kann er eigentlich auch Fehler machen. Das geschieht etwa in Sure 66. Dort hat er aufgrund von Vorwürfen seiner Frauen von sich aus den Trennungsstrich zu einer schönen Sklavin gezogen, mit der er ehelich verkehrte. Aber die Sure korrigiert ihn:

O Prophet, warum verbietest du, was Gott dir erlaubt hat?
(Vers 1)

Ein irrender, ein über das Ziel hinausschießender Prophet ist also vom Koran her durchaus denkbar.

Vor diesem Hintergrund ist mir weiterhin nicht klar, warum die Moslems trotzdem an einer fast göttlichen Unfehlbarkeit und Makellosigkeit Mohammeds festhalten. Er wird ja doch einerseits immer wieder ganz fest in eine irdische Geschichte eingebunden, die historische Situation jeder Sure wird von den Kommentatoren genauestens abgeklopft. Aber andererseits entsteht am Ende dann doch das Bild eines Mannes, den man wie einen mittelalterlichen christlichen Heiligen im milchigen Lichtschein seiner Heiligkeit ohne Einschränkungen und Makel verehrt.

Heilige haben eine sie verklärende „Legende“, so war es früher. Aber damit hat zunächst die Evangelische Kirche ab 1500 und dann die Aufklärung ab 1750 gründlich aufgeräumt und historische Fakten an den Stellen gefordert, wo man früher Sagenbilder hatte. Ich will nicht sagen, daß auch die Geschichten von Mohammed ins „legendäre“ abdriften, dafür arbeiten die Kommentatoren wie gesagt zu kritisch an den historischen Details. Aber mir erscheint am Ende ein Glaube zu stehen, der sich von den eben noch erarbeiteten historischen Details dann doch wieder vollkommen löst. Er wird zu einem reinen Glauben, einem bewußt unhistorischen Glauben, der Mohammed in einem so hellen Licht sieht, daß ihn kein anderes menschliches Wesen auch nur annähernd erreicht.

Ich sehe darin ein Paradox, für das es allerdings eine christliche Parallele gibt. Vielleicht gehen in dieser Frage das Dogma und der Glaube ganz ähnlich überkreuz wie bei einer wichtigen, die beiden großen Kirchen trennenden Frage: die Katholischen behaupten, daß man nur durch gute Werke in den Himmel kommt, die Evangelischen dagegen sagen allein durch den Glauben. Aber - platt gesagt - die Katholiken tun dann gar nichts (und glauben an Gottes Gnade), während die Evangelischen rastlos werkgerecht sind*.

Behaupten also entsprechend auch die Christen einen Gott Jesus und lassen ihn in der Praxis so sehr Mensch sein, daß er gegen jede Art von kritischer Herabsetzung hier auf Erden völlig ungeschützt und ohen Hilfe ist? Und glauben die Moslems an den Menschen Mohammed, aber machen ihn dann doch so über alles Menschliche erhaben, daß selbst die kleinste Beleidigung seiner Person eine weltweite Empörung auslöst?

Ich kann nicht beweisen, daß es so ist. Aber ich sehe hier doch andeutungsweise einen Ansatz für zukünftige Strategien, mit denen man Streit vermeiden und gegenseitiges Vertrauen erneuern kann.


* den Gedanken zitiert Carl Friedrich von Weizsäcker in seinem Buch Der Garten des Menschlichen" (1978) als Aussage von Wilhelm Kütemeyer

Dienstag, 7. Oktober 2008

In fremden Gärten

Sure 62: Die Versammlung
Sure 63: Die Heuchler
Sure 64: Der gegenseitige Betrug

Der Titel der Sure 64 At Taghabun ist offenbar schwer ins Deutsche zu übertragen. Der Übersetzer Rassoul hat "Die wechselseitige Ab- und Zunahme" gewählt, Henning mit seiner Vorliebe für farbige Formulierungen schreibt "Der gegenseitige Betrug". Richtig ist an beiden Versionen, daß der Tag des jüngsten Gerichts als ein Tag des Ausgleichs zwischen Guten und Bösen angesehen wird, in dem tatsächlich den einen das weggenommen wird, was den anderen zusteht, und umgekehrt. Vielleicht sollte man modern "Die Transaktion" übersetzen und damit die negative Assoziation verhindern, die das Wort Betrug mit sich bringt.

Allerdings legt auch der wie immer ausführliche und einleuchtende Kommentar von Searchtruth an dieser Stelle nahe, daß es zumindest einige Lesarten gibt, welche den für viele überraschend kommenden Tausch der Plätze in Himmel und Hölle wie ein falsches Geschäft erscheinen lassen, eben wie einen Betrug.

Ich halte mich hier nur aus einer gewissen Beharrlichkeit weiter an der Henning-Übersetzung, es ist bei Wanderungen wie dieser besser, wenn man nicht ständig springt. Was allerdings mein Urteil über die Korrektheit der Überlieferungen und meine Kritik an einzelnen Auslassungen und Zufügungen des Korans betrifft, so will ich in Zukunft vorsichtiger sein als bisher. Ich befinde mich da, wie ich mehr und mehr verstehen lerne, in einem fremden Garten.

So hat meine voreilige Erwähnung der angeblich weggelassenen Verse in Sure 53 Herrn Öztaş nicht gefallen, ich habe mich bei ihm dafür entschuldigt und tue es hier nochmals. Er empfindet sie als Diffamierung seines Glaubens und ich folge ihm darin. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß sowohl Searchtruth in einem Kommentar zu Sure 22 als auch Wikipedia in einem Artikel über die Frage dieser Verse seriöse islamische Quellen zitiert, welche zumindest das Gerücht in die Welt gebracht haben, Mohammed habe sich - möglicherweise sogar aus Versehen - an einer bestimmten Stelle einmal zu gunsten dreier polytheistischer Gottheiten geäußert.

Ohne in den Streit darüber eingreifen zu wollen, kann klar gesagt werden, daß es sich um einen Gedanken handelt, der im krassen Gegensatz zu allem steht, was Mohammed sonst gepredigt hat. Nun ergreife ich hier allerdings auch im eigenen Interesse die Partei der in ihren Gefühlen gekränkten Moslems*, denn auch manches an meinen Gefühlen wird angegriffen, wenn es umgekehrt die moslemischen Gelehrten allzu bunt mit der Bibel treiben. Auch sie sollen, wenn sie in meinem Garten arbeiten, den nötigen Respekt erkennen lassen.

Um es konkret zu sagen werbe ich dafür, die Prophezeiungen über den Propheten aus Deuteronomium (5. Mose) 18, Vers 15 und folgende - Einen Propheten wie mich (Mose) wird dir JHWH, dein Gott aus deiner Mitte, aus deinen Brüdern, erstehen lassen - nicht vorschnell den Juden und Christen streitig zu machen und auf Mohammed zu übertragen. So tut es der von mir sehr geschätzte moslemische Theologe und Philosoph Fethulla Gülen (siehe Herrn Öztaş Kommentar zu Suren 58 - 61, der Gülen zitiert).

Ich lade ein, das einleitende Kapitel zum Buch des Papstes über Jesus, das im vergangenen Jahr erschienen ist, in seiner schönen, anschaulichen Sprache zu lesen**. Hier wird auf wenigen Seiten entfaltet, warum man Jesus nur versteht, wenn er als der Moses-Nachfolger und -Vollender begriffen wird. Vielleicht wird man es eines Tages als das Geschenk der Christen an alle Welt ansehen, daß sie es gewagt haben, zu glauben, Gott könne die unendliche Distanz zwischen ihm und den Menschen dadurch aufheben, daß er erneut einen Freund erstehen lassen würde wie es Mose einer war***.

Dieser Freund sollte allerdings von den Beschränkungen des Mose frei sein und deshalb Gott von Angesicht zu Angesicht sehen und einen neuen und höheren Bund zwischen Gott und Menschen vermitteln können (Hebräerbrief 9, Vers 15 im Neuen Testament). Dies war nur in der Wesensgleichheit mit Gott möglich. Für diese Gleichheit steht Jesus.

Das also ist "mein" Garten. Wer ihn betrachten will, soll die Pflanzen darin leben lassen. Aber das gilt auch für den Garten, den meine moslemischen Nächsten kultivieren. Auch ihre Pflanzen will ich achten, ja mich dafür einsetzen, daß sie geschützt werden.



* natürlich nicht die Partei der Fatwa, die 1989 als eine Art Todesurteil von Teheran gegen Salman Rushdie verhängt wurde, der aus der ganzen Sache bekanntlich einen kompletten Roman gemacht hatte.
** gerne verschicke ich eine pdf-Datei der acht Seiten, der Herder-Verlag möge mir verzeihen (Anfragen an runkel at runkel.de). Ich habe seinerzeit auch zu diesem Buch einen eigenen Blog geschrieben, der einiges verkürzt zusammenfaßt, der aber das Leseerlebnis in keiner Weise ersetzt.
*** Exodus (2.Mose) 33, Vers 11 sagt Und JHWH redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, so wie ein Mann mit seinem Freund redet, allerdings muß es eine verhüllte Nähe gewesen sein, wie Vers 23 im selben Kapitel nahelegt.

Montag, 6. Oktober 2008

Missing Link

Sure 58: Die Streitende
Sure 59: Die Auswanderung
Sure 60: Die Schlachtordnung
Sure 61: Die Versammlung

In der Welt der drei "Religionen des Buches" ist es selbstverständlich, daß die ältesten Mitglieder, die Juden, nur eins der drei Bücher als gültig anerkennen, die Christen zwei und die Moslems drei.

Ebenso selbstverständlich ist es, daß die Christen Hinweise im ersten Buch, dem Alten Testament, finden, die das zweite Buch, das Neue Testament, mit seinem Vorläufer verbinden.

Für einen Moslem ist dann konsequenterweise auch der nächste Schritt logisch: Altes und Neues Testament enthalten nach seiner Vorstellung auch Hinweise auf das dritte und letzte Buch, den Koran. An dieser Stelle reiben sich allerdings Juden und Christen ausnahmsweise einmal gemeinsam ungläubig die Augen. Wo, fragen sie, sollen solche Hinweise zu finden sein?

Daß die Christen im Alten Testament wörtliche Hinweise auf den Messias, den Christus, wie er griechisch heißt, in reichem Maße finden, bestreiten die Juden nicht. Sie deuten die entsprechenden Stellen nur fundamental anders, indem sie Jesus die Messias-Würde absprechen. Aber wo, so fragt man sich sozusagen in Jerusalem und Rom gleichzeitig, wo findet sich ein Hinweis auf einen Propheten namens Mohammed in einem der beiden Bibelbücher?

Ich hatte vor einigen Jahren schon einmal gehört, daß ein Prophetenwort des Alten Testamentes als Prophezeihung auf Mohammed gedeutet worden war, und zwar las ich es bei einem zum Islam bekehrten christlichen Priester. Er wies im Propheten Haggai auf eine Stelle hin (Kapitel 2, Vers 7), in der es heißt, daß Gott die Welt erschüttern wird und daß dann aus allen Enden der Erde die Kostbarkeiten aller Nationen kommen und den Tempel in Jerusalem füllen werden. Hebräisch liest sich die Stelle von den Kostbarkeiten aller Nationen als chemdat kol ha-gojim, und tatsächlich erinnert der Konsonantenstamm CH-M-D* von chemdat an den gleichen Stamm von achmad, von Mohammed. Der wäre also als Person die kostbare Erfüllung des heiligen Ortes.

Der Koran enthält in Sure 61 diese Verbindung nun noch sehr viel expliziter, er baut sie verglichen mit der biblischen Verbindung aber nur "rückwärts", indem er eine in der Bibel nicht vorhandene Prophezeiung erstmals im Koran berichtet. Die Kommentatoren wiederum setzen alle Kräfte daran, um auch "vorwärts" den missing link nachzuweisen. Hier zunächst der Koran:

Und da Jesus der Sohn der Maria sprach: "O ihr Kinder Israel, siehe ich bin Gottes Gesandter an euch, bestätigend die Thora, die vor mir da war, und einen Gesandten verkündigend, der nach mir kommen soll, des Name Ahmed."
(Vers 6 in der Henning-Übersetzung)

Was die Kommentatoren hierzu ergänzend erarbeitet haben, ist die folgende Theorie: auch nach dem Zeugnis der Bibel, und zwar dem des Johannes-Evangeliums, hat Jesus einen prophetischen Nachfolger verheißen. Er wird im griechischen Originaltext Paraklet genannt, Tröster, wie Luther in Johannes 14 und an weiteren Stellen in den beiden Folgekapiteln übersetzt:

Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen andern Tröster geben, daß er bei euch sei in Ewigkeit.
(Johannes 14, Vers 16 in der Luther-Übersetzung)

Dieser Paraklet ist nach dem Selbstzeugnis von Johannes 14,26 der Heilige Geist:

Der Tröster, der heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.
(Johannes 14, Vers 26)

Dieser Deutung widerspricht Searchtruth und mit ihr wohl auch anderen moslemische Kommentatoren, die bereits zu Zeiten der Henning-Übersetzung 1901 bekannt waren. Sie behaupten, daß das schwer übersetzbare Wort Paraklet falsch überliefert wurde und in Wirklichkeit Periklyt, heißt, "der Gepriesene", was die gleiche Bedeutung wie Ahmed hat.

Unterstützung findet diese These, die also eine Parallele zwischen der in Sure 61 überlieferten Prophezeiung des Ahmed und der Verheißung aus Johannes 14 herstellen würde, in einem Evangelium Barnabas, das sich in der islamischen Welt großer Beliebtheit erfreut. Es liefert eine in vielen Punkten andere, dem Islam nahestehende Version des Lebens Jesu. Wikipedia hat hierzu einen ausführlichen Artikel, in dem allerdings erhebliche Zweifel an der Echtheit dieses Evangeliums erhoben werden.

Umgekehrt kennt Searchtruth eine Reihe von Gründen für die Zweifel an der Echtheit der vier biblischen Evangelien und bedient sich dabei moderner Ergebnisse der historisch-kritischen Methode westlicher Theologen**. Diese Theologen, die den gegenwärtigen mainstream zumindest der protestantischen Theologie bilden, datieren die Entstehung aller Evangelien sehr spät, und zwar auf die Zeit nach dem Jahre 70. In diesem Jahr fand die in den Evangelien vorausgesagte Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch die Römer statt, ein Ereignis, das man historisch-kritisch betrachtet gar nicht voraussagen kann.

Niemand wird mir verübeln, daß ich als Christ an der Glaubwürdigkeit meiner verehrten vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes festhalte und deshalb weiterhin ein missing link zwischen Koran und Bibel sehe. Da, wo die Moslems eine Verbindung von Jesus zu Mohammed nachweisen wollen, steht für mich die Einzigartigkeit des Retters und Erlösers Jesus Christus.

Ich sehe aber auch, daß der Wunsch nach einer Brücke zwischen den beiden Büchern im Grunde genommen ein Baustein für den Frieden zwischen Moslems und Christen ist.

* in den semitischen Sprachen, zu denen Hebräisch und Arabisch gemeinsam gehören, definiert sich eine Vielzahl von Bedeutungen über Dreiergruppen von Konsonanten, zu denen sich die Vokale dann nur noch zur Nuancierung des Wortsinnes hinzugesellen
** ob die Leute von Searchtruth wissen, auf was sie sich da einlassen? Wenn historische Kritik erlaubt ist, dann muß man sie auch auf den Koran anwenden dürfen - mit allerdings vorhersehbar verheerenden Folgen!

Sonntag, 5. Oktober 2008

Der poetische Koran

Sure 55: Der Erbarmer
Sure 56: Die Eintreffende
Sure 57: Das Eisen

Die letzten 100 Seiten von insgesamt 575 liegen vor mir, die Suren werden kürzer, es beginnen vom optischen Eindruck her jetzt mehr und mehr die in Gedichtform gedruckten, eher rhythmischen Abschnitte.

So wird in Sure 55 in den 78 Versen insgesamt 29 mal wiederholt:

Und welche der Wohltaten eures Herrn wollt ihr wohl leugnen?

Das erinnert entfernt an die Psalmen 118 und 136, in denen das Volk aufgefordert wird, nach jeder Erwähnung der Größe Gottes zu sagen: denn seine Güte währet ewiglich.

Die Tradition der Auslegungen legt nahe, daß hier - als einzige Stelle im Koran - mit dem Wort ihr die Menschen und die Dämonen gleichzeitig angesprochen werden. Letztere sind die Dschinn, gute und böse Mächte im unsichtbaren Bereich, die als Personen gedacht werden und ebenso Gottes Schöpfung sind wie die Menschen. Ihre Anwesenheit durchzieht den ganzen Koran, ihre Geschöpflichkeit wird in Sure 55 Vers 14 noch einmal hervorgehoben, zusammen mit der Geschöpflichkeit des Menschen, und dann wird in Vers 15 Menschen und Dämonen gesagt: Und welche der Wohltaten eures Herrn wollt ihr (beide) wohl leugnen?

Mohammed hat später - so berichten es die Hadithe, die apokryphen Schriften - davon erzählt, daß er die Sure 55 tatsächlich den Dschinn gepredigt habe, und daß diese sogleich und viel freudiger als die Menschen geantwortet hätten: Wir leugnen keine der Wohltaten unseres Herrn!

Die Predigt, die von der rhythmischen Wiederholung der besagten Frage unterbrochen wird, enthält die bekannten Wunder der Schöpfung, die Schrecken der Hölle und (ausführlich) die Schönheit des Paradieses. Durch die ständige Widerholung des Verses und welche der Wohltaten eures Herrn wollt ihr wohl leugnen? werden die Aussagen dichter und drängender, das ist die poetische Wirkung dieser Sure.

Bemerkenswert fand ich ein kleines Detail über das Paradies in der ebenfalls in kurzen Versen gedichteten Sure 56. Dort werden unsterbliche Jünglinge den Gästen aufwarten und einen Trank kredenzen, von dem es heißt: nicht sollen sie Kopfweh von ihm haben und nicht das Bewußtsein verlieren. Ich schließe zwei Dinge daraus: das Alkoholverbot gilt nicht im Himmel, und die manchmal üble Wirkung des Alkohols hier unten auf der Erde ist offenbar auch in den frommen Welten bekannt.

Über die Christen finden sich schöne Worte in Sure 57. Wir legten, heißt es in Vers 27, in die Herzen derer, die ihm (Jesus) folgten, Güte und Barmherzigkeit. Einschränkend folgt dann allerdings eine milde Kritik: das Mönchtum jedoch erfanden sie selber. Das hat Martin Luther vermutlich ähnlich gesehen.

Samstag, 4. Oktober 2008

Kompromisse

Sure 53: Der Stern
Sure 54: Der Mond

Mohammed hat in seinem Leben viele Höhen und Tiefen erlebt, das läßt ihn bei aller Verehrung, welche die Muslime seinem untadeligen Wesen entgegenbringen, trotzdem menschlich und erdverbunden erscheinen. Bitter für ihn war die Kritik seiner Anhänger nach dem Friedensschluß von Hudaibiya (628), einem Vorort von Mekka, wo Mohammed und seine Schar aus Medina kommend an einer friedlichen Pilgerfahrt zur Kaaba gehindert wurden. Zu kläglich erschienen den Mitstreitern damals die Vorteile des Vertrages im Vergleich zu seinen Nachteilen. Später erwies sich die Vereinbarung dann als klug und nützlich, die Erinnerung an den Mißmut der Nachfolger blieb aber offenbar tief in allen haften, die dabei gewesen waren.

Auch die "satanischen Verse", die in Sure 53 Vers 19 ursprünglich gestanden und eine freundliche, allerdings vom Satan eingeflüsterte Wertschätzung für arabische Stammesgöttinnen enthalten haben sollen (Das sind die erhabenen Kraniche. Auf ihre Fürbitte darf man hoffen.), gehören zu den Geschichten, in denen Mohammed als jemand dargestellt wird, der in seiner Mission auch gelegentlich Umwege gehen mußte, um zum Ziel zu gelangen.

Den Christen ist dies alles eher sympathisch, auch ihre Helden - Mose, David, Petrus, Paulus - sind Menschen mit bisweilen sehr krummen Lebenswegen. Einzig Jesus ist von dieser Betrachtung ausgeschlossen. Ihm z.B. eine Frau anzudichten oder ihm (wie es zu Lebzeiten offenbar geschehen ist) ein lockeres Verhältnis zum Alkohol nachzusagen, ist für einen Christen schwer zu ertragen.

Christen und Moslems sollten sich deshalb nicht gegenseitig damit quälen, den jeweils größten Vertreter ihres Glaubens auf der Erde klein zu machen. Diese Aufgabe kann man den Atheisten überlassen.

Freitag, 3. Oktober 2008

Die Nähe Gottes

Sure 50: K.
Sure 51: Die Zerstreuenden
Sure 52: Der Berg

Nach wie vor empfinde ich es als einen der größten Unterschiede zwischen Bibel und Koran, daß der Gott des Korans mir distanziert und fern erscheint, während der Gott der Bibel seine Nähe zu den Menschen dadurch erwiesen hat, daß er in der Gestalt Jesu Christi selbst Mensch geworden ist.

Ich habe Herrn Öztaş natürlich nach dieser Differenz gefragt. Er hat sie verneint, und zwar mit dem Hinweis auf einen Vers, der mir in Erinnerung geblieben ist. Heute fand ich ihn wieder, er steht in dieser Form wohl nur einmal im Koran, in Sure 50, Vers 15*, wo über den Menschen gesagt wird: wir (Gott) sind ihm näher als die Halsader.

Herr Öztaş liebt dieses Wort und liest es als eine starke Aufforderung, sein tägliches Leben in die Nähe Gottes zu bringen, es im Bewußtsein von Gottes beständiger Gegenwart zu leben und mit Gottes Interesse an seinem Leben zu rechnen. Für mich hat von daher manches, was Herr Öztaş sagt und schreibt, Ähnlichkeit mit den pietistischen Gedanken der frommen Menschen, unter denen ich aufgewachsen bin. Auch ihre Frömmigkeit basierte auf einem Glauben, der jederzeit mit der Nähe Gottes rechnete und diese Frömmigkeit, diese pietas, nicht nur sonntags in der Kirche sondern im praktischen Alltag als praxis pietatis** leben wollte.

Auch in den Begriffen und Bildern des Korans ist etwas enthalten, das die physische Nähe Gottes hier unten bei den Menschen auf der Erde nahelegt. Es ist dabei für den Koran nicht notwendig, daß Gott sich auf dem Weg, den die Bibel beschreibt, ein sozusagen intimes Wissen von den Menschen verschafft, also auf ihre Ebene herabsteigt und Mensch wird wie sie. Solche Gedanken werden im Koran zugunsten der Größe Gottes ausgeschlossen.

Und trotzdem wird Gott auch von Moslems als nah empfunden. Das Bild von der Halsader legt sogar nahe, daß es eine warme, lebendige Nähe ist und nicht das Wissen eines allgegenwärtigen Kontrolleurs, sozusagen mit der Überwachungskamera aufgezeichnet. Ich empfinde diese Nähe als etwas, das meinem Denken und Glauben verwandt ist und mich deshalb in meiner Sehnsucht nach einer solchen gelebten Nähe mit den Moslems verbindet. Daß ihre Art von Nähe sie auf einen Gott verweist, der in vielen Aussagen über sich selbst etwas grundlegend Anderes sagt als der Gott der Bibel, soll mich nicht davon abhalten, ihre Suche und meine Suche als verwandt anzusehen.

* als Kinder lernten wir in einer Art Eselsbrücke 5015 als die Telefonnummer Gottes - in Psalm 50, Vers 15 heißt es Rufe mich an in der Not. Diese Eselsbrücke wäre also auch für Moslems gangbar.

** der erste "Pietist", war der Frankfurter Pastor Philipp Jacob Spener, dessen grundlegendes Buch Pia Desideria 1675 erschien, ein Buch mit dem Titel Praxis Pietatis kam wenige Jahre zuvor als Übersetzung aus dem Englischen heraus (Autor: Lewis Bayly).

Donnerstag, 2. Oktober 2008

Regeln für den Kampf

Sure 46: El-Akhaf
Sure 47: Mohammed
Sure 48: Der Sieg
Sure 49: Die Gemächer

Die Sure 47 enthält die unter Christen häufig zitierten Drohworte: wenn ihr die Ungläubigen trefft, dann herunter mit dem Haupt. (Vers 4) Andere Übersetzungen sagen: schlagt ihren Nacken, zerschlagt ihn. Es ist deutlich, daß es sich hier um eine kriegerische Haltung handelt, um Aggression.

Gilt diese blutige Anweisung auch in Friedenszeiten? Ruft sie die Moslems auf, sich sozusagen kollektiv als sleeper unter die Ungläubigen zu mischen und auf die Gelegenheit zu warten, den Befehl aus Sure 47, Vers 4 auszuführen?

Drei Dinge sprechen gegen diese Auslegung. Zunächst die Ausleger: sie sagen, daß diese Sure für den historischen Kampf gegeben wurde, den Kampf der Moslems in Medina gegen ihre Feinde in Mekka, in den Jahren zwischen 622 (Auswanderung nach Medina) und 630 (siegreiche Rückkehr nach Mekka). Für das friedliche Zusammenleben verschiedener Religionen in anderen Phasen der Geschichte haben die Nachfolger Mohammeds ganz andere Regeln.

Der zweite Grund ergibt sich beim Lesen des Korans eigentlich von selbst. Etwa 460 Seiten (von insgesamt 575) hat man gelesen, wenn man zu Sure 47 Vers 4 gelangt, das sind vier Fünftel. Bis auf ganz wenige von ihnen enthält jede einzelne Seite davon die immerwährende Klage gegen den starren Widerstand der Ungläubigen. Dieser Widerstand soll durch die Predigt des Propheten überwunden werden, durch sein Ringen um geistige und geistliche Anerkennung, durch seine Bilder von Himmel und Hölle und letztlich - durch die Herabsendung des Korans.

Wäre die Ausbreitung des Glaubens unter Anwendung von Gewalt eine Alternative zu dieser mühseligen Missionarsarbeit, so hätte man sich - platt gesprochen - diese 460 ersten Seiten sparen können. Herunter mit dem Haupt - die Ungläubigen werden dezimiert und der eingeschüchterte Rest von ihnen wird Moslem unter Zwang.

Aber so denkt der Koran nicht. Er will den Menschen der rechtschaffen handelt (Sure 46, Vers 14), und das heißt, sagt mein Searchtruth-Kommentar, daß er in Übereinstimmung von guten Taten und lauteren Motoven lebt. Dazu kann man niemanden zwingen.

Als Drittes und Wichtigstes sehe ich das Zeugnis der Moslems selbst. Sie sagen uns immer wieder, das der Glaubenskampf sich nicht gegen die Un- oder Andersgläubigen richtet. Ich glauben vor allen Dingen denjenigen gerne, die es mir als meine langjährigen Nachbarn und Mitbürger meiner Stadt sagen und bin davon überzeugt, daß ein in friedlicher Absicht gelesener Koran ebenso wie eine in friedlicher Absicht gelesene Bibel helfen können, das aggressive Potential, das in einzelnen Menschen und in ganzen Gesellschaften steckt, in Grenzen zu halten.

Mittwoch, 1. Oktober 2008

Monotheismus vs. Sektierertum

Sure 43: Der Goldputz
Sure 44: Der Rauch
Sure 45: Das Knien

Es wird im Koran erst nach und nach deutlich, was die Kritik Mohammeds an den Juden ist. Im Gegensatz zu den arabischen Polytheisten, deren Sünde darin besteht, Gott Gefährten zu geben, und zu den griechischen Christen, die Gott einen Sohn zuschreiben, wird den Juden eigentlich keine klar erkennbare Verfehlung vorgeworfen. Ihnen wird lediglich nachgesagt: sie wurden uneins. So sagt es Sure 45, Vers 16, ähnlich steht es aber auch schon in Sure 2, Vers 213 und in andren Suren. Die Juden wurden zu Sekten, sagt etwa Sure 6, Vers 160.

Man muß folgern: auch Sektierer sind auf ihre Weise Gegner des Monotheismus. Was auf der Welt unten auseinanderfällt, arbeitet gegen den Einen oben im Himmel.

Was ist die Sünde der Sektierer? Zunächst ist es ihre Überheblichkeit. Sie halten sich für ebenso weise wie Gott selbst, indem sie die klaren Regeln, die Gott den Menschen zu Beginn der Welt gegeben hat, abändern und zur Diskussion stellen. Der Koran denkt hier übrigens genau umgekehrt wie die Darwinisten: am Anfang war nicht dunkler Animismus und diffuses Gottesdenken sondern helle Offenbarung. Wer diese Offenbarung später durch zusätzliche Theorien verdunkelt, arbeitet gegen den Monotheismus, selbst wenn er in gutem Willen und um des Glaubens willen eifert.

Sektiererum verhindert aber außerdem noch etwas Anderes, und das ist noch schwerwiegender. Es betrifft nach meinem Eindruck die Spiegelung Gottes in seinen Geschöpfen hier unten auf der Welt. So wie Jack Miles es sieht (ich habe über ihn bei Sure 19 etwas geschrieben), fordert der in sich spannungsreiche Gott der Bibel den in sich ebenso spannungsreichen Menschen auf, daß er sich trotz mancher Widersprüche als eine einzige Person versteht und dadurch selbst annimmt. Der Gott des Koran tut etwas Ähnliches aber mehr nach außen Gerichtetes: er hält den Menschen dazu an, sich zu einer einzigen großen Gemeinschaft, der Einheit der Gläubigen zusammenzufinden.

Beide Aufforderungen sind jeweils von einem großen geschichtlichen Erfolg gekrönt worden - die jüdisch-christliche durch ein weit verbreitetes Menschenbild, das in verschiedenen Ausprägungen über viele Jahrhunderte in großen Teilen der Welt Gültigkeit hatte, die muslimische Aufforderung in der großen wundersamen Einigung aller arabischen Stämme zu einer einzigen, ebenfalls über viele Jahrhunderte dominanten Weltmacht.

Über letzteres will ich noch mehr lesen und dann berichten. Diese Einigung gehört offenbar zu den Mysterien der islamischen Frühgeschichte wie das Mysterium der unendlich tapferen Urchristen angesichts der Verfolgung in Rom. Über beidem steht erhaben das Bild eines Gottes, der mit sich selbst eins ist.