Samstag, 2. August 2008

Mit den Augen der Liebe

1. Sure: Die Eröffnende

Aus Sympathie zu Nureddin Öztaş, der mir in den letzten Wochen und Monaten mit viel Literatur und vielen persönlichen Gesprächen und eMails einen neuen Zugang zum Koran geöffnet hat, will ich dieses Buch der Muslime mit zwei unterschiedlichen Augen lesen, dem Auge des Verstandes und dem Auge der Liebe. Das ist nicht leicht, weil das Auge des Verstandes, das sich ein Leben lang daran gewöhnt hat, die Worte Gottes in einer bestimmten äußeren Form, der Form der Bibel gesagt zu bekommen, dem Koran wenig Verständnis entgegenbringt, und entsprechend auch wenig Sympathie.

Aber Herr Öztaş, ein 37jähriger Apotheker, ist ganz offenbar mit großer Liebe und Leidenschaft in seinem Leben auf einem Weg Gott zu finden. Darin ist er mir herzensverwandt, auch wenn er dabei, anders als ich, die Wege des Koran geht, nicht die der Bibel. Er findet ganz offenkundig im Koran einen Spiegel, der ihm eine von Gott erfüllte Welt zeigt. Im Ergebnis ist er damit dem Spiegel der Bibel sehr ähnlich, auch sie zeigt ja die Welt in der Gegenwart Gottes, unsichtbar aber erfahrbar. Dieser Blick verbindet uns bei allen sonstigen Gegensätzen, und er soll mir also im folgenden helfen, dem Koran eine gewisse Grundsympathie entgegenzubringen - und wenn schon nicht dem Koran, dann doch wenigstens seinem sympathischen Leser Nureddin Öztaş.

Ich habe den Blog mit "Wanderungen" überschrieben. Vielleicht ist Wanderungen ein richtiges Wort, weil es die Erwartung enthält, daß der Weg zu lohnenden Zielen führt, und auch, daß man nicht auf Anhieb gleich alles findet.


Im Namen Gottes, des Allerbarmers, des Barmherzigen.
Alles Lob gebührt Gott, dem Herrn der Welten,
dem Allerbarmer, dem Barmherzigen,
dem Herrscher am Tage des Gerichts.
Dir dienen wir, und dich bitten wir um Hilfe.
Führe uns den geraden Weg,
den Weg derer, denen du Gnade erwiesen hast,
nicht den Weg derer, die deinen Zorn erregt haben,
und nicht den Weg der Irregehenden.


Dieses Gebet könnte auch ein Christ sprechen oder bestätigen, genau wie Nureddin Öztaş den Psalm 1 bestätigen konnte, nachdem er bei seinem ersten Besuch in meinem Haus sein Gebet gen Mekka verrichtet hatte, und ich ihm aus einer gewissen Verlegenheit heraus danach einen frommen Text vorgelesen habe.

Ich habe die obige Sure 1 mit einer winzigen Veränderung aus dem Internet übernommen (Projekt Gutenberg), die Veränderung besteht darin, daß ich wie von der Bibel her gewohnt das Wort für Gott in meiner eigenen Sprache eingesetzt habe, nicht in der Sprache des Urtextes.

Eine Religion, die mich lehren wollte, an einen Gott mit dem hebräischen Namen Elohim zu glauben, würde ich vermutlich als fremd empfinden. Ganz ähnlich haben es auch die ersten Missionare der jungen christlichen Gemeinden gesehen und den Griechen also von Theos berichtet, obwohl sie als Juden sicherlich gewohnt waren, an Elohim zu denken.

Ich wende dieses Prinzip auch beim Zitieren des Koran an und will deshalb das Wort Allah dabei vermeiden. In diesem Wort ist - trotz seiner sprachlichen Verwandtschaft mit Elohim - bereits alles Fremde zusammengefaßt, das uns den Zugang zum Islam verbaut. Also will ich es, so gut es geht auch im Folgenden weglassen. Ich lasse auch allen arabischen Zierat weg, Schriftzeichen, Kultgegenstände etc. Das ist alles oft mehr Folklore als Kunde von Menschen, die mir in ihrer Gottessuche verwandt sind.

Ich schicke etwas von dem Wenigen voraus, was ich über den Koran weiß. Die insgesamt 114 Suren des Koran sind nach ihrer Länge sortiert, nicht ganz präzise, aber doch prinzipiell so, daß doe langen Suren vorne im Koran stehen. Die Sure 2 hat 286 Verse, die Sure 114 nur noch sechs. Die Sure 1 mit ihren sieben Versen nimmt als Eröffnende eine Sonderstellung ein.

Mit meinen geringen Hebräisch-Kenntnissen kann ich einige verwandte arabische Worte darin ansatzweise verstehen. Im ersten Satz

Bismi Allahi al-rahmani al-rahemi
Im Namen Gottes, des Allerbarmers, des Barmherzigen

steckt zu Beginn Sm / Sem / Schem, was “Name” bedeutet und erinnert an Sem, den ersten Sohn des Noah, dessen Name die arabischen und hebräischen Semiten heute noch tragen. Mit dem b vor Sem / Schem / Sim wird das “im” bezeichnet, "im Namen" - in gleicher Weise wie zu Beginn der Bibel, wo es b’reschit „im Anfang“ heißt.

Auch das rachman, das in dem muslimischen Eigennamen Abdulrachman so furchterregend anklingt, hat eine hebräische Schwester, rechem. In beiden Sprachen bezeichnet das Wort die Barmherzigkeit, vom Hebräischen weiß ich, daß es auch Mutterleib bedeuten kann.

Daß Gott im Koran zuallererst als Barmherziger angesprochen wird, hat meinen frommen Onkel Johannes Runkel bewegt. Es entsprach zunächst so wenig seinen gängigen Vorstellungen von den essentials des Islam. Aber es entsprach dem weiten Herzen des Onkels, der mich am Ende seines Lebens immer wieder mit unerwarteten Erweisen von Toleranz überrascht hat.

1 Kommentar:

Nureddin Öztas hat gesagt…

Lieber Herr Runkel,

"die Eröffnende" ist ein Paradebeispiel von vielen anderen Versen, die ein Gläubiger der jetzigen christlichen Schule genauso übernehmen kann. Der Koran hat ohne Zweifel eine ganz eigene und unvergleichliche Sprache, wie auch Nichtmuslime bestätigen. Er ähnelt der anderen Offenbarungen mit z.B. seiner Geschichtserzählungen, aber unterscheidet sich doch sehr stark auch von Ihnen in vielen Belangen z. B. in der erhabenen Ansprache und den Wiederholungen.
Ich finde es sehr interessant wie Sie den Koran lesen und niederschreiben wie Sie es empfinden. Ihre Arbeit interessiert mich auch, weil das Empfinden des Koran durch einen Nicht-Muslimen mich interessiert.
2 Empfehlungen möchte ich geben. Zum Einen der Koran hat eine Seele. Diese Seele zieht den Einen an, der sich völlig urteilsfrei sich damit beschäftigt und öffnet sich dem jenigen mit seinen Geheimnissen. Diese Seele versperrt dem Anderen die Einsicht, der mit einer vorgefestigten Meinung sich ihm nähert. Wir Muslime sprechen daher von der Eifersucht des Koran.
Zum zweiten gebe ich Ihnen unbedingt auch den Rat den gesprochenen Koran von einem der gut rezitieren kann sich anzuhören. Die musikalichen und dichterischen Eigenschaften sind nicht weniger Wert als der reine Text und die gehen bei Selbststudium durch die Übersetzungen gänzlich verloren. Sie sind ein sehr musikalischer Mensch wie ich weiss und ich bin sicher diese Eigenschaft des Koran wird Sie auch interessieren. Mein Tipp schliessen Sie dabei die Augen, lauschen Sie einfach dem Klang und befreien sie sich von allen Zwängen. Sie werden sehr überrascht sein von der Wirkung. Ich will damit sagen, daß wir Menschen neben dem Intellekt noch mit vielen anderen genauso wichtigen Fähigkeiten und Gefühlen ausgestattet sind, die davon ebenfalls angeregt werden.
Desweiteren unterstelle ich Ihnen als Vertreter eines dichterischen Volkes, die Lyrik und Poesie des Koran zu untersuchen. Wie Sie wissen folgt der gesamte Koran Sure 1 bis 114 einer unvergleichlichen systematischen Lyrik mit Reimen. Wie Sie wissen war die Dichtkunst in Arabien in dieser Zeit die bestimmende Kultur der Menschen. Sie wetteiferten um die besten Gedichte und besiegten sich vor Ihren Stammeskämpfen zuerst mit ihren Gedichten. Um die Gemäuer der Kaba hingen die besten Gedichte über die Vorfahren und die Propheten etc. Berühmte Dichter galten als Volkshelden und wurden geehrt wie Fürsten. Der Koran kam mit seiner erhabenen dichterischen Art genau in dieser Epoche und übertrupfte alle bis dato bestehenden Gedichte. Viele dieser großen Dichter haben sogar nach dem sie den Koran gehört haben mit dem Dichten aufgehört, weil sie gesagt haben, daß alles was ihnen später noch einfallen könnte, selbst in der genialsten Form im Vergleich zu den Versen des Koran verblassen würde. Das ist auch ein weiterer sehr interesanter Aspekt wie ich finde.
Viel Erfolg bei Ihren Analysen und Reflexionen,

Nureddin Öztas