Samstag, 30. August 2008

Gewiß bei Nacht, die Frage nur: wohin?

Sure 17: Die Nachtfahrt

Preis dem, der bei Nacht seinen Diener von der heiligen Moschee zu der fernen Moschee, deren Umgebung wir gesegnet haben, hinführte, auf daß wir ihm einige unserer Zeichen zeigten. Siehe, er ist der Hörende, der Schauende.

Und wir gaben Moses die Schrift [...]

(Vers 1 und der Anfang von Vers 2)

An den Folgen der in dieser Sure geschilderten nächtlichen Reise haben die Menschen bis heute zu tragen. Durch diese Reise wird der Anspruch auf Jerusalem als auf einen heiligen Ort des Islam begründet. Bekanntlich kreuzt er sich mit den Ansprüchen der Juden und Christen und führt in Jerusalem offenbar auf ewig zu Spannungen*.

Die Reise findet im Jahre 620 statt. Der Erzengel Gabriel führt Mohammed auf dem geflügelten, mit einem Menschengesicht versehenen Roß Buraq in der Nacht nach Jerusalem und läßt ihn dort auf andere Propheten treffen, die vor ihm gelebt haben. Auch Jesus ist unter ihnen.

Die Sure 17 ist die einzige im Koran, in der man von dieser Reise erfährt, streng genommen ist es sogar nur der erste Vers darin (und, wenn man will, auch der Vers 60, der allerdings nur ganz allgemein von einer Vision spricht). Alle Einzelheiten der Reise sind nicht im Koran, sondern in der Sammlung der den Koran begleitenden unzähligen Hadithe zu finden, das heißt, in der Form von Kommentaren und Apokryphen.

Wie man sieht, wird Jerusalem in dem fraglichen Vers nicht einmal erwähnt. Daß die ferne Moschee dort steht, ist ebenfalls nur aus den Kommentaren entlehnt. Ob damals überhaupt ein Gotteshaus auf dem Tempelberg stand, erscheint mir fraglich, denn der Tempel selbst war seit dem Jahre 70, also seit ziemlich genau 550 Jahren, zerstört, die Juden zerstreut. Ich weiß nicht, ob damals Christen in Jersualem siedelten oder Araber mit unterschiedlichen religiösen Bindungen, eine islamische Moschee im Sinne der von Mohammed begonnenen Erneuerungen dürfte es dort jedenfalls damals noch nicht gegeben haben.

Was ist dann aber die ferne Moschee in der gesegneten Umgebung? Wie so vieles im Koran erfährt man auch dieses nicht. Wie so oft schließt sich das Fenster eines Berichtes und statt dessen wird der Vorhang einer allgemeinen Aussage über Gott vorgezogen: Siehe, er ist der Hörende, der Schauende. Und ganz ohne Übergang beginnt sogleich ein anderes Thema Und wir gaben Moses die Schrift...

So sind die Äußerungen des Göttlichen! schrieb Peter Oberschelp in einem Kommentar zu diesem Blog zu einem von der Form her ähnlichen, mir ebenfalls rätselhaft und unklar erscheinenden Koran-Wort:

"Nach meinem Verständnis ist das doch eigentlich eine typisch religiöse Bewegung: Der Schritt Gottes heraus aus der Transzendenz mit einer Anweisung an uns Menschen und dann der Schritt zurück in das Reich seines unerschöpflichen Ratschlusses."

Mit anderen Worten: man erfährt ein wenig, und dann zieht sich alles hinter den unerforschlichen Ratschluß Gottes zurück.

Ich bin nicht ganz einverstanden damit, daß dies so sein soll.

* Mir bleibt allerdings der Januartag im Jahre 1999 unvergessen, wo wir zusammen mit einer großen Gruppe spanischer Pilger und anderen Touristen in Richtung Tempelplatz in der Jerusalemer Altstadt gingen, während eine nach Zehntausenden zählende Menge von Moslems aus der Al-Aqsa-Moschee strömte. Dort war gerade das Freitagsgebet des Fastenmonats Ramadan zu Ende gegangen. Das Gedränge in der Altstadt war beängstigend, aber der Friede zwischen den Religionen erschien zu keiner Sekunde gefährdet zu sein.

Mittwoch, 27. August 2008

Eine Offenbarung auch für Tiere

Sure 16: Die Bienen

Diese Sure preist Gottes Genialität anhand der Kreaturen, die Gott geschaffen hat, also anhand der Tiere und Pflanzen. Einige von ihnen sind, sagt mein kluger Kommentar aus Searchtruth, durch eine geheime Inspiration mit Gott verbunden und können mit diesem Wissen die bequemen Wege ihres Herrn ziehen (Vers 71), indem sie auf natürliche Weise dem folgen, was der Schöpfer ihnen in ihre Instinkte gegeben hat, wie wir heute sagen würden.

An der Biene und ihrem ausgeklügelten Staatswesen wird das besonders deutlich. Ihr hat Gott etwas eingegeben, was sie klug ausführt, ein wahi im Urtext, eine Inspiration, eine Offenbarung. Dieses Wort wahi wird in gleicher Weise auch für die Gedankenübertragung benutzt, die ein Prophet von Gott bekommt. Das geistige Phänomen einer göttlichen Leitung wird also unterschiedlos den niedrigsten Tieren und höchsten Menschen zugesprochen. Und abschließend wird gesagt: Siehe, hier ist wahrlich ein Zeichen für nachdenkende Menschen (Vers 71).

Auch die eher erdverbundene Liebe der Nomaden zu jeder Art von Vieh kommt zur Geltung, in einem Nebensatz. Zusätzlich zu allem, was an Nutzen in den Tieren steckt und über das der Koran lehrt:

Und das Vieh hat er erschaffen, ihr habt an ihm Wärme und andere Nutzen; und einiges davon esset ihr. (Vers 5)

gibt es auch eine ästhetische Komponente:

Und es ist Schönheit darin für euch, wenn ihr es abends eintreibt und morgens austreibt auf die Weide. (Vers 6)

Inspiriert durch ein wahi, und schön - so erlebt der Fromme die Welt der Tiere und Pflanzen. Das ist sicherlich eine der zentralen Aussagen des Koran. Die Bibel sieht es nicht viel anders.

Dienstag, 26. August 2008

Himmlischer Trost

Sure 15: Al-Hidschr

Das Volk aus dem Tal Al-Hidschr bei Medina ist ein im Koran mehrfach erwähntes Beispiel für ungläubige Menschen aus Mohammeds geographischer Nachbarschaft. Nachdem sich ihre geistigen Verwandten, die zahllosen Ungläubigen in den ersten Suren, in einer sicherlich auch für Moslems entmutigenden und ermüdenden Häufigkeit gezeigt haben, bekommt ein Teil von ihnen einen Namen und eine historische Gestalt: die Menschen aus Al-Hidschr, dem steinigen Tal, das Volk, wie man weiter hinten im Koran lesen kann, der Thamud.

Sie zeihen den Propheten nicht nur der Lüge, sie vergehen sich auch an seiner Kamelstute, schneiden ihre Fesseln durch oder töten sie sogar (ich fand hierzu zwei Lesarten).

Mohammed benötigt angesichts der Widerwärtigkeiten einen Trost, schreibt der Kommentar von Searchtruth, der wird ihm nun in einigen Stücken der Sure tatsächlich zuteil. Vielleicht hat es ihm ebenso wie mir gefallen (der Vergleich sei verziehen!), die Stelle zu lesen, wo den Gläubigen beim Betreten des Paradieses gesagt wird:

Tretet hinein in Frieden und Sicherheit!
Und wir wollen hinwegnehmen,

was an Groll in ihren Herzen sein mag;
brüderlich sollen sie
auf Ruhesitzen einander gegenüber sitzen.
(Vers 46 und 47)

Der Glaubende kann also unter Umständen mit einem Groll im Herzen im Himmel ankommen, der auch beim Anblick ewiger Schönheit nicht sofort verschwindet, sondern erst durch Gott selbst hinweggenommen werden muß.

Mich erinnert das an die Predigt eines alten Pastors im Oberbergischen, die sich mit Worten vom Ende der Bibel beschäftigte, ebenfalls über den Eingang ins Paradies:

Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen,
und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei
noch Schmerz wird mehr sein.
(Offenbarung 21,44)

Der Pastor sagte dazu: wir kommen also möglicherweise mit Tränen in den Augen im Himmel an.

Und ich ergänze frei: möglicherweise auch mit einem Rest an Groll im Herzen.

Heute ist Karl Pickhardt, einer der besten Freunde meines Schwagers und meiner Schwägerin und auch mir ein lieber Weggefährte, 61jährig an Krebs gestorben, im Glauben an ein Paradies. Daß man ihm dort die Tränen abwischen und den Groll wegnehmen wird, das ist ein Gedanke, der ihm gefallen hätte. Daß er am Abend seines Todes in einem Koran-Blog erwähnt werden würde, daran hätte er sich gewöhnen müssen. Karl trug gelegentlich auch Vorbehalte mit sich herum, Groll, wie wir alle.

Samstag, 23. August 2008

Alles zu seiner Zeit

Sure 14: Abraham

Manchmal schimmert aus den Worten des Koran etwas von älteren Worten der Bibel durch, die den frommen Zeitgenossen des Propheten damals sicherlich geläufig waren und die vom Koran ja als frühere Weisungen Gottes anerkannt werden. So ist es im 29. Vers dieser Sure, in der das bekannte Bild des Paradieses (durcheilt von Bächen) um ein ebenso bekanntes Bild aus dem ersten Psalm ergänzt wird: ein gesunder Baum gepflanzt an Wasserbächen (Psalm 1,3).

Meine Henning-Übersetzung verweist in einer Fußnote auf die Gleichheit der beiden Stellen. Sie zeigt sich am stärksten in den Worten der seine Frucht bringt (Vers 30 der Sure, Vers 3 des Psalms). Sie endet allerdings beim Subjekt des Satzes: während es es im Psalm der Mann ist (ha isch), bezieht sich der Koran auf ein Wort (kalimatin), welches schließlich aber, wenn es gut ist wie der Baum, ebenfalls auf die gläubigen Menschen wirkt, indem es sie festigt.

Einen Unterschied gibt es auch bei der Frucht. Im Koran wird sie vom Baum jederzeit hervorgebracht, im Psalm nur dann, wenn seine Zeit, die Reifezeit des Baumes herangekommen ist. Im Hebräischen steht hier das schöne kleine Wort eth, welches sich als zentraler Begriff auch in der berühmten Aufzählung Alles hat seine Zeit im Buch des Predigers Kapitel 3 findet.

Die Einleitung dort im Kohelet beginnt mit einem anderen Wort für Zeit, wörtlich heißt es: Für alles eine Zeit (seman*) und ein Zeitabschnitt (eth) für jedes Begehren unter dem Himmel. (Prediger 3,1)

Daß der Koran an dieser Stellemit dem Wort jederzeit die feine Spannung aufhebt, die dadurch entsteht, daß nicht immer und überall die Zeit für etwas da ist, hier die Zeit der Früchte, scheint mir nicht untypisch zu sein. Der Koran bezeugt einen allmächtigen Gott und redet zu tatkräftigen, gelegentlich ungeduldigen Gläubigen, ich schrieb gestern darüber.

Aber die fehlende, die unpassende Zeit macht schließlich die Dinge bemerkenswert und schön, wenn sie dann endlich doch eintreten. So sagt es mir mein Christenherz.

Unvergessen ist, daß Prediger 3 auch der Text eines berühmten modernen Liedes geworden ist:

To everything
Turn, Turn, Turn
There is a season
Turn, Turn, Turn
And a time for every purpose, under Heaven

Pete Seeger hat es in den 50ern komponiert, indem er den Text der King James und das geniale Wort season daraus übernahm, die Byrds haben 1965 einen Welthit aus dem Lied gemacht.


*Anklänge an das Zaman der Türken, eine große Zeitung heißt dort "Zaman", Die Zeit.

Freitag, 22. August 2008

Quran, Sermon on the Mount, Nietzsche

Sura 13: The Thunder

Translation of today's post for Erkan:

While the Quran in the Sura 13 continues its course with a kind of Credo (God is the creator of the glorious world, people should obey him, there is eternal reward and eternal punishment), my friend Erkan Saka in his highly frequented Blog* also discovers the Quran and reacts to a Quran-Blog in the British Guardian.

Erkan has picked up a comment of the journalist Andrew Brown (Staff of the Guardian, in care of the Blog). Brown had asked if the Quran, other than the biblical Sermon on the Mount where the meek underclass is addressed, mainly focuses on a strong upper class.

From this question Erkan develops the interesting theory that Nietzsche’s Religionskritik might only apply to (in my exaggerated own words) the loser mentality of those meek people of the Bible, but not to the proud Muslims of the Quran. The Bible was written among slaves, the Quran in contrary was written among free people, exposed to the strong pressure of their opponents, but successfully standing against them.

To me Erkan's idea was not strange, because I had already found it in Yaşar Nuri Öztürk "400 Questions to Islam. 400 answers" (not available in English). Öztürk says in his book that the first man's descent from Paradise was a voluntary act according to the Quran, not Adam's forced expulsion.

The biblical idea istead, a humiliating degradation would mirror to the Christians that they were kind of eternally born "with a hump" (Öztürk). This would lead to a "very angry subconsciousness" of western people. The Quran in contrary assumes the free birth of each human person, undisturbed by inherited sin or father’s guilt.

I can understand this argument but nevertheless do fear that the proud sons of Mohammed cannot take advantage of their freedom. I am firmly convinced that this freedom does not exist. It is the experience of most people that on the day of their birth the stage of their life is already completely decorated, often to their disadvantage. Many of us have to suffer from the wrong decisions of their parents, inherit the consequences of evil deeds.

In the Old Testament, an Israelian saying is cited: The fathers have eaten sour grapes, and the children’s teeth are set on edge. (Jeremiah 31, 29) Similar to the Quran the prophets of the Bible are turning sharply against the resignation that is included in these words, but unlike the Quran they refer to God’s rescue, which is the only way to be set free from that all-to-well-known curse.

Maybe this is also my main (abbreviated) objection against my unloved fellow-German Friedrich Nietzsche: you rarely find blonde Herrenmenschen in this world. But those who labour and are heavy laden (Matthew 11,29) can be found at every street corner.

*650.000 visitors in two years

Der Koran, die Bergpredigt, Nietzsche

Sure 13: Der Donner

Während der Koran in der 13. Sure mit einer Art Glaubensbekenntnis seinen gewohnten Gang geht (Gott ist der glorreiche Schöpfer der Welt, der Mensch soll ihm gehorchen, es gibt ewigen Lohn und ewige Strafe), hat Freund Erkan Saka in seinem vielbesuchten Blog* ebenfalls den Koran entdeckt und reagiert auf den bereits von mir erwähnten Koran-Blog im britischen Guardian.

Erkan hat eine Bemerkung des Journalisten Andrew Brown (Mitarbeiter des Guardian, der den Blog mit betreut) aufgenommen. Brown hatte gefragt, ob der Koran anders als die Bergpredigt, in der die sanftmütige Unterschicht angesprochen wird, die Gesellschaft eher von der starken Oberschicht her ins Visier nimmt.

Aus dieser Frage hat Erkan die These gemacht, die Religionskritik Nietzsches sei (mit meinen Worten) nur auf die Verlierermentalität der Menschen in der Bibel, nicht dagegen auf die stolzen Moslems des Koran anwendbar. Die Bibel sei unter Sklaven entstanden, der Koran dagegen unter Freien, die zwar dem Druck ihrer Widersacher ausgesetzt waren, diesem aber erfolgreich die Stirn geboten hätten.

Mir war die Idee nicht ganz fremd, weil ich sie bereits bei Yaşar Nuri Öztürk „400 Fragen zum Islam. 400 Antworten“ gefunden hatte.

Öztürk hat in diesem Buch gesagt, im Koran sei Adams Abstieg aus dem Paradies ein freiwilliger Akt, keine Vertreibung. Der biblische Gedanke an eine schmähliche Degradierung spiegele dagegen dem Christen vor, er sei „wie mit einem Buckel“ geboren (so Öztürk). Das führe zu einem „sehr zornigen Unterbewußtsein“ bei westlichen Menschen. Der Koran dagegen setze die freie Geburt eines jeden Menschen voraus, von keiner Erbsünde oder Schuld der Väter belastet.

Ich kann diese Argumentationsweise zwar nachvollziehen, fürchte aber, daß die stolzen Söhne Mohammeds wenig Vorteil aus ihrer Freiheit ziehen können. Nach meiner festen Überzeugung existiert sie in der Realität nicht. Es ist die Erfahrung der meisten Menschen, daß sie am Tage ihrer Geburt die Bühne ihres Lebens bereits fertig dekoriert vorfinden, oft zu ihrem Nachteil. Viele von uns haben unter den falschen Entscheidungen ihrer Eltern zu leiden, viele erben die Folgen böser Taten.

Im Alten Testament wird der israelischen Volksmund zitiert, der sagt: »Die Väter haben saure Trauben gegessen, und den Kindern sind die Zähne stumpf geworden.« (Jeremia 31, 29) Ähnlich wie im Koran wenden sich auch die Propheten der Bibel scharf gegen die darin enthaltene Resignation, aber sie verweisen anders als der Koran auf eine Rettung Gottes hin, die es erst möglicht macht, von diesem allbekannten Fluch befreit zu werden.

Vielleicht ist das auch der Haupteinwand gegen Nietzsche: es gibt den blonden Herrenmenschen gar nicht. Den Mühseligen und Beladenen findet man dagegen an jeder Ecke.


*650.000 Besucher in zwei Jahren

Dienstag, 19. August 2008

Vom Glauben außerhalb Arabiens

Sure 12: Yusuf / Josef

In Sure 12 steht erstmals eine einheitliche Geschichte im Mittelpunkt, sie wird ausführlich und lebendig erzählt. Von Josef in Ägypten wird berichtet, 102 Verse lang, wie er seine Karriere vom Strafgefangenen zum Berater des Pharao macht und wie er dem ganzen Land am Nil zum Segen wird. Nur die abschließenden Verse 103 bis 111 enthalten allgemeine Worte über den Glauben und auch die vertraute Klage über den Unglauben, alles andere ist eine große, zusammenhängende Erzählung.

Einige Details weichen vom biblischen Bericht ab. So wird die Unschuld Josefs an der behaupteten Verführung von Frau Potiphar sogleich erwiesen (sein bei der Flucht aus dem Zimmer der Frau zurückgelassenes Hemd ist von hinten zerrissen, das kann nur sie gemacht haben, wäre es vorne zerrissen, wäre Josef der Unzucht überführt). Offen bleibt dann allerdings, warum er schließlich doch ins Gefängnis geworfen wird. Auch wird die gottergebene Stärke des Erzvaters Jakob anders als in der Bibel hervorgehoben, wie er über den Verlust seines Sohnes Josef nicht verzweifelt, sondern in der festen Hoffnung bleibt, ihn eines Tages durch Gottes Gnade wiederzubekommen. Diese Hoffnung erfüllt sich, wie man weiß.

Josef steht am Ende als ein leuchtendes Vorbild da – standfest in der Versuchung, weise und vorausschauend in seinen Handlungen. Er ist damit ein ganzer moslemischer Mensch, ein Vorbild für alle Gläubigen. Daß er historisch ein Jude ist, und daß er wie kaum ein zweiter das jüdische Schicksal repräsentiert, als Mitglied eines ungeliebten Gastvolkes zu einem weisen und vorausschauenden Handeln fast schon verurteilt zu sein, interessiert den Koran nicht. Josef ist ein Moslem, ohne Wenn und Aber.

Das Judentum geht im Islam als nationale Frömmigkeit noch radikaler unter als im Christentum, das die jüdischen Geschichten immerhin noch in der Form beibehält, wie die Juden sie selbst überliefert haben. Im Koran gibt es nur noch Moslems, und ihre nationale Herkunft zählt nicht.

Die guten, die vorbildlichen Juden wie Moses, Abraham oder Josef waren deshalb auch von Anfang an alle Moslems, das wird mehrfach im Koran gesagt. Moslems gab es schon vor Mohammed, es gab und gibt sie auch ohne die Erleuchtung durch den Koran.

In Bezug auf die Juden mag das sehr vereinnahmend klingen, ist dabei aber dem christlichen Denken nicht unverwandt, das ebenfalls eine große Vereinheilichung kennt:

Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus. (Galaterbrief 3,28)

Man darf an dieser Stelle allerdings die Frage stellen, welche Rolle die neue fromme Nation, die Nation der Araber für den Glauben spielt. Wenn der Koran ein arabischer Koran ist (quranan aarabiyyan, Vers 2 der Sure 12), erhebt er dann nicht die arabische Nation zum neuen auserwählten Volk über die anderen Nationen?

Möglicherweise ist ein solcher Gedanke dem Koran fremd, weil die Araber sich nie als Nation empfunden haben und es bis heute selbst da nur unzureichend sind, wo sie arabische nationale Einheiten gebildet haben. Im Hebräischen heißt „Araba“ die Steppe oder Wüste, es wären von daher also ganz allgemein die Wüstenbewohner, welche den Namen „Araber“ tragen. Viele von ihnen sind Nomaden (in früheren Zeiten war laut Wikipedia der Begriff Araber im Arabischen synonym mit Nomade) und schon von daher an nationalen Zusammenschlüssen nicht interessiert.

Setzt der Koran also mit seiner Hervorhebung des Arabischen jeder nationalen Besonderheit ein Ende, gerade so, als ob er sagen will, daß wir alle Araber sein könnten, zumindest auf spirituelle Weise, wenn wir nur unsere Bindung an befestigte Städte inmitten grüner Wälder aufgeben und als Wüstenpilger durch die Lande ziehen würden?

Einem Europäer, dem seine jüdischen und christlichen Wurzeln die ewige Idee mitgegeben haben, daß der Glaube aus der Wüste kommt, mag der Gedanke an eine gottgeweihte Wüstenexistenz nicht ganz unvertraut sein. Was er allerdings für einen Menschen aus einem entfernten Kulturkreis bedeutet, schildert V.S.Naipaul in seinem 1998 erschienen Reisebericht Beyond Belief - Islamic Excursions Among the Converted People (deutsch: Jenseits des Glaubens).

In diesem Buch berichtet Naipaul an einer Stelle aus dem überwiegend moslemischen Sumatra. Er besucht dort in einem alten Kulturland in vulkanischen Bergen die Stadt Pariangan, die an einem See mit einer Thermalquelle gelegen ist. Aus dieser Quelle sind nach dem Glauben der Ureinwohner Sumatras die ersten Menschen gestiegen.

Naipual beobachtet mit finsterem Blick eine leuchtend rot gestrichene Moschee am Rande des Sees, die von der späten Missionierung Sumatras (um 1300) zeugt. Seit sie dort steht, ist es veboten, sich an der vormals heiligen Quelle mit Sembahyang ("betet den Gott an") zu grüßen, weil es Götzendienst ist. (Man tut es aber weiterhin.)

Später schreibt Naipaul über den Verfall alter moslemsicher Gebäude in Indien. Niemand kümmert sich um sie, auch die Moslems nicht. Naipaul folgert aus diese Achtlosigkeit eine generelle Fremdheit, die aus dem Wissen entsteht, daß es im Vaterland eines Moslems niemals heilige Orte geben kann - sofern er kein Araber ist.

To the [muslim] convert his land is of no historical importance; its relics are of no account; only the sands of Arab are sacred.

Sonntag, 17. August 2008

Die Not eines Propheten

Sure 11: Hud

Der Prophet Hud, gesandt zu seinen Schwestern und Brüdern aus dem Volk der Ad ist einer von sechs Proheten, die in dieser Sure erwähnt werden als ein Beispiel für erfolglose Mahner, die vor tauben Ohren zu predigen haben. Vier der Propheten (Noah, Lot, Schua'ib / Jethro und Mose) sind aus der Bibel bekannt, zwei weitere (Hud und Salih) gehören offenbar zum Bereich der arabischen Geschichte und sind keiner biblischen Person zuzuordnen.

Wieder ist es eine Mekka-Sure und wieder wird deutlich, daß hinter den alten Klagen über die Völker, die Noah und seinen Nachfolgern keine Gehör geschenkt haben die aktuelle Klage Mohammeds über das ungläubige, halsstarrige und am Ende wohl sogar zum Mord an Mohammed entschlossene Volk der Mekkaner steht. So sagt es auch mein Kommentar von Searchtruth.

Mohammed ist offenbar so verzweifelt darum bemüht, seinen Prohetenworten mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen, daß er selbst solche Männer zu Propheten erklärt und damit zu Zeugen seiner Sache macht, die es nach dem Bericht der Bibel gar nicht waren. Noah etwa, der in der Bibel nur schweigend seine Arche baut, wird im Koran zum beredten Bußprediger für sein Volk.

Auch in dieser Sure vermischt sich eine beständig wiederholte und grundsätzliche Lehre über die essentials des Glaubens mit einzelnen, neuen Erkenntnissen über Besonderheiten. Wiederholt wird:

- die Botschaft des Proheten ist Warnung und Freude zugleich,
- jedes Leben ist in allem, was es hat und ist, auf Gott bezogen,
- allen Menschen kehren am Ende zu Gott zurück und müssen sich vor ihm verantworten,
- Gott ist barmherzig.

Neu dagegen ist, daß der Mensch als ein Wesen gesehen wird, das dazu neigt, sowohl auf eine Belohnung als auch auf eine Strafe uneinsichtig zu reagieren:

Wenn wir dem Menschen unsere Gnade zu kosten geben und sie ihm daraufhin fortnehmen, ist er verzweifelt und undankbar. Und wenn wir ihm nach einer Drangsal, die ihn getroffen hat, eine Gabe bescheren, sagt er sicherlich: Das Übel ist von mir gewichen. Siehe, er ist frohlockend und prahlend. (9 und 10)

Neu ist, auch ein Argument der Gegner des Glaubens, das bis in die heutige Zeit in ähnlicher Weise gegen jede Art religiöser Erneuerung vorgebracht wird, daß nämlich nur die Armen und Niedrigen sich der neuen Bewegung angeschlossen haben:

Die Vornehmen seines Volkes, die nicht glaubten, sagten: "Wir sehen in dir nur einen Menschen unseresgleichen und wir sehen, daß dir keine als jene gefolgt sind, die aller äußeren Erscheinung nach die Niedrigsten unter uns sind, [...]" (27)

In der Kosequenz sieht es offenbar so aus, daß die Frommen in einem sie umgebenden Meer von Unglauben leben müssen. Diese Erfahrung deckt sich mit einem Wort des Paulus, das Luther ein wenig frei* aber sehr sprachbildend übersetzt hat: der Glaube ist nicht jedermanns Ding (2. Thessalonischer 3,2)

In der Sprache des Koran heißt das:

Siehe der Koran ist die Wahrheit von deinem Herrn; jedoch glauben die meisten Menschen nicht. (20)

*im griechischen Original heißt es denn nicht aller ist der Glaube

Samstag, 16. August 2008

Von denen, die nicht umkehren

Sure 10: Yunus (Jonas)

Mein Kommentar von Searchtruth siedelt die Sure in die Zeit in Mekka an, in der Mohammeds Übersiedlung nach Medina unmitelbar bevorsteht. Schwer lastet die Feindschaft der Mekkaner auf dem Propheten, man verfolgt ihn und seine Anhänger massiv. Alles im Text dieser Sure dreht sich um eine Beschreibung des hartgesottenen Unglaubens der Mekkaner, des Widerstandes gegen den richtigen Glauben. Es wird um eine notvolle Gegenargumantation gerungen, die alle Qualen der Hölle auf den Unglauben herniederprasseln läßt - um ihn aber offenbar trotzdem am Ende immer wieder desto stärker sprießen zu sehen.

An eine Stelle (65) muß der Prophet sogar angesichts dessen, was die Feinde vorbringen, getröstet werden:

Und sei nicht betrübt über ihre Rede. Alle Erhabenheit gebührt Gott allein. Er ist der Allhörende, der Allwissende.

Yunus / Jonas wird in diesem Zusammenhang als einer der glücklichen Propheten erwähnt, dem die Zuhörer ausnahmsweise einmal gefolgt sind. In der Bibel wird beschrieben, wie Jonas der großen assyrischen Stadt Ninive predigt und wider Erwarten deren Umkehr erwirkt - was in der Bibel ausführlich erzählt wird, mitsamt den Skrupeln des Propheten, der anfangs seinen Auftrag nicht annehmen will und am Ende offenbar lieber gesehen hätte, daß die Leute von Ninive bestraft statt bekehrt worden wären.

Noah wird in der Sure dagegen als einer der eher typischen Propheten geschildert, auf den man wie so oft nicht gehört hat. Mose und Aaron erscheinen ebenfalls und versuchen es nicht einmal, die Ägypter zu bekehren. Statt dessen bitten sie Gott, die Herzen der Ägypter zu verhärten, daß sie nicht glauben, ehe sie die schmerzliche Strafe erleben (88). Das Gebet wird auf eigenartige Weise erhört: der die Israeliten verfolgenden Pharao bekehrt sich angesichts des Wunders der sich teilenden Wasser und wird - offenbar kurz vor dem Ertrinken - noch ein Glaubender:

... bis er nahe daran war, zu ertrinken, und sprach: Ich glaube, daß kein Gott ist als der, an den die Kinder Israels glauben, und ich bin einer der Moslems. (90)

Der Koran und die Bibel sind sich darin gleich, daß sie die Probleme von Zweifel und Unglaube nicht verleugen, sondern klar ansprechen. Allerdings erscheint mir ein Unterschied darin zu liegen, daß die Bibel - etwa in der Jonas-Geschichte - die Verästelungen und Verstrickungen menschlicher Auflehnung gegen den Glauben ausführlicher berichtet, manchmal gerade so, als ob die Bibel einen heimlichen Pakt mit dem Unglauben gemacht hätte und ihn von innen her versteht.

Der Koran vertraut dagegen eher darauf, daß man dem Unglauben mit klaren Erweisen der göttlichen Macht begegnen muß und mit einer immerwährenden Drohung mit dem jüngsten Gericht. Dessen Realtät existiert auch in der Predigt der Bibel. Allerdings haben die Christen, zumindest die neuzeitlichen, längst gelernt, den Gedanken daran zu verdrängen.

Mittwoch, 13. August 2008

Wenn einer umkehrt

Sure 9: Die Reue

Ob eine Hinwendung zum Glauben echt ist oder nicht, das kann in einer Gesellschaft mit scharfen religiösen Grenzen eine Frage auf Leben und Tod sein. Der Feind von früher, der seine Glaubensdifferenzen mit mir aufgibt, kann das nur zum Schein tun und mir dann bei Gelegenheit in den Rücken fallen.

Entsprechend ausführlich wird auch in dieser Sure - immer noch im historischen Umkreis der Schlacht von Badr - darüber Rat erteilt, wie man mit Freund und Feind und auch, wie man mit einem reumütigen Feind umgehen soll. Gott ist barmherzig mit ihnen allen, aber Vorsicht scheint trotzdem geboten zu sein.

Zwischen den verschiedenen Formen des Unglaubens wird unterschieden, wobei die Polytheisten der Dschehennah am nächsten sind. Und schlimm ist die Fahrt dorthin (3:156).

Für die Juden gibt es noch Hoffnung, Umkehr vorausgesetzt. Sie glauben wie die Muslime an nur einen Gott, auch wenn sie wie die Polytheisten die Tendenz haben, diesem einzigen Gott Gefährten an die Seite zu stellen, etwa den Messias zu Gottes Sohn zu erklären und ebenso einen Mann namens Esra (eine rätselhafte Stelle, 9: 30). Den Juden wird sogar vorgeworfen Rabbinen und Mönche (31) als Herren neben Gott zu stellen, die fressen das Gut der Leute unnütz (34).

Eine schöne Stammverwandtschaft gibt es beim Wort für die Gegenwart Gottes - als Schechinah berühmt in den Erzählungen der Chassiden (Martin Buber), als Sakina in dieser Sure (26) ähnlich gebraucht. Die englischen Koranübersetzer wählen an dieser Stelle calmness, tranquillity and reassurance, was in einem gewissen Gegensatz zu den Heerscharen steht, die in gleicher Weise als von oben herab gesendet beschrieben werden.

Im Hebräischen heißt sch-ch-n zunächst nur "sich niederlassen". Das Verb kommt in einem schönen Psalmwort vor, dort auf einen fliehenden, fliegenden Menschen bezogen:

Nähme ich Flügel der Morgenröte und ließe mich nieder (ä'schechenah) am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen. (Psalm 139,9)

Sonntag, 10. August 2008

Gottes Kriegszüge

Sure 8: Die Beute

Sie werden dich über die Beute fragen. Sprich: die Beute gehört Gott und dem Gesandten.

So beginnt die achte Sure, und man muß hier erneut tiefer in die Geschichte der acht wechselvollen Jahre zwischen der Vertreibung der jungen muslimischen Gemeinde nach Medina (622 n. Chr.) und ihrer siegreichen Rückkehr nach Mekka (630 n. Chr.) eindringen. Wikipedia hilft, wie so oft, hier besonders wenn es um Einzelheiten zur Schlacht von Badr (624 n. Chr.) geht, in der die Medineser um Mohammed die Mekkaner erstmals in größerem Stil besiegen konnten. Wenn man die Geschichte der Schlacht in epischer Breite nachlesen will (in Englisch), kann man den Tafsir (Korankommentar) zu Sure 8 bei Searchtruth aufsuchen.

Ob die Schlacht ein Ruhmeskapitel war oder eher ein frecher Raubzug gewesen ist, kann vermutlich nur der beurteilen, der die angestammten Rechte der Städter, Bauern, Nomaden und in Stämmen organisierten Menschen der Arabischen Habinsel um das Jahr 600 herum genau kennt. Offenbar haben sich die Muslime in Medina im Recht gesehen, wenn sie gelegentlich Karawanen der Mekkaner ausplünderten, die eine Straße in der Nähe von Medina benutzten, um Handel mit Damaskus zu betreiben.

Einer der Angriffe stieß auf den unerwarteten Gegenschlag einer eilends aus Mekka herbeigerufenen Schutztruppe, und Mohammeds Gefolgsleute hatten plötzlich statt einer wehrlosen Karawane eine überlegene Heeresmacht gegen sich. Es müssen an die 2.000 Mekkaner gewesen sein, denen ein paar hundert Medineser optisch stark unterlegen waren. Daß sie trotzdem in der "Schlacht von Badr" zum Sieg kamen, haben die Gefolgsleute Mohammeds als einen deutlichen Beweis dafür angesehen, daß Gott auf ihrer Seite war.

Die Sure nun nimmt diesen Sieg zum Anlaß, allgemeine Regeln für den Krieg aufzustellen. Daß die Beute Gott gehört, wird weiter hinten in der Sure konkretisiert: 20 % davon. Praktisch bedeutet dies, daß Mohammed als der Gesandte diesen Anteil erhält, er muß davon aber den Bedürftigen etwas abgeben (den Waisen und Armen und dem Sohn des Weges, Vers 42).

Zu der Beute gehören wohl oft auch Sklaven und Sklavinnen, jedenfalls werden einige davon bei späteren Kämpfen von Mohammed übernommen und gelegentlich auch zu Nebenfrauen gemacht.

Die Gegner in dem in Sure 8 als Bürgerkrieg bezeichneten Konflikt bekommen Aussicht auf Schonung, wenn sie ihren Widerstand gegen Mohammed aufgeben und ihrerseits Muslime werden. So geschieht es dann auch im Jahre 630, in dem Mekka ohne großes Blutvergießen von Mohammed und seinen Leuten eingenommen wird.

Zwei Führer der Mekkaner werden nach der Schlacht von Badr hingerichtet, die meisten anderen kommen frei, da mag die vielfache Verwandtschaft der im medinesischen Exil lebenden früheren Mekkaner eine Rolle gespielt haben.

Charakteristisch für die Anweisungen, die Mohammed erhält, sind am Ende der Verse immer wieder die Wendungen ins Allgemeine, die einem außenstehenden Leser wohl auf ewig unverständlich bleiben. Ich schreibe als Beispiel den Vers 63 ab. Was hat hier der Halbsatz nach dem Semikolon mit dem Vordersatz davor zu tun?

Sind sie aber zum Frieden geneigt, so sei auch du ihm geneigt und vertrau' auf Gott; siehe, er ist der Hörende, der Wissende.

Ich habe jetzt rund 160 Seiten von 580 gelesen, also ein Viertel des Korans, die ersten Suren sind ja die längsten, und ich kann sagen, daß ein solcher Satz für viele Aussagen des Korans typisch ist - ein konkreter erster Halbsatz mit einer Anweisung, eine eher unkonkrete allgemeine Erkenntnis über Gott im zweiten Halbsatz. Das hinterläßt den Leser oft ratlos, zumindest den christlichen.

Donnerstag, 7. August 2008

Mekka und Medina

Sure 7: Der Wall

In seinem schönen Koran-Blog im englischen "Guardian" erklärt der Londoner Islamexperte Ziauddin Sardar auch die Klassifikation der einzelnen Suren. Sie lautet entweder „geoffenbart zu Mekka" oder "geoffenbart zu Medina", wobei von den 114 Suren die Mehrzahl (85) in Mekka offenbart wurde, nur eine Minderzahl (29) stammt aus der späteren Zeit in Medina.

Sardar benennt den Unterschied wie folgt. In Mekka ist der Islam entstanden und mußte sich dort vornehmlich seiner wichtigsten Gründe bewußt werden. In Medina hat sich dann die aus Mekka vertriebene junge muslimische Gemeinschaft gesammelt und erste Regeln für ihr Zusammenleben aufgestellt. Entsprechend handeln die Suren aus Mekka mehr vom „warum“ und die Suren aus Medina mehr vom „wie“ des muslimischen Lebens.

Durch die Zusammenstellung des Korans, bei dem die langen Suren nach vorne gerückt wurden und die kurzen nach hinten, hat sich dieser historische Zusammenhang weitestgehend verkehrt, denn gerade die späteren Suren, also die aus Medina, sind oft besonders lang und stehen deshalb vorne.

Sardar beginnt seine Interpretation der langen zweiten Sure, einer Medina-Sure, mit einer Überlegung zum Begriff der „ Gottesfürchtigen“ des ersten Verses der Sure 2:

Dies Buch, daran ist kein Zweifel, ist eine Leitung für die Gottesfürchtigen.

Diese im Arabischen muttaqi genannten Menschen sind von taqwa erfüllt, davon leitet sich muttaqi sprachlich her. Sardar übersetzt dieses Wort mit „God conscious“ also eher mit „gottesbewußt“ als mit „gottesfürchtig“. Ein von Gott geleiteter Mensch ist sich der Existenz Gottes bewußt, erfährt die Gegenwart Gottes auf vielfältige Weise, mit seinem Verstand und seinem Gefühl.

Sardar leitet aus den ersten Worten der zweiten Sure fünf Erkenntisse ab, die den Gottesbewussten prägen:

- Gott ist die sich selbst genügende Quelle alles Seins,
- das Faktum der Existenz Gottes, von Prophet zu Prophet immer wieder berichtet, ist dem menschlichen Intellekt zugänglich,
- rechtschaffenes Leben - und nicht nur der Glaube allein - ist die notwendige Konsequenz der vorgenannten Erkenntnis,
- dem körperlichen Tod folgen Auferstehung und Gericht,
- wer sich seiner Verantwortung vor Gott bewußt ist, kann ohne Furcht leben.

Ich gebe diese Punkte zunächst einmal ohne eine Ahnung davon weiter, inwieweit die moderne Sprache Sardars die alten Gedanken des Koran richtig wiedergibt. Nachvollziehbar erscheint mir, daß es ein charakteristisches muslimisches Streben nach einer dauerhaften Erkenntnis Gottes in den sichtbaren und unsichtbaren Dingen um uns herum gibt. So hat mir Nurefddin Öztas von seinem Glauben erzählt, so bezeugen es die Schriften, die er mir gegeben hat.

Noch kurz zur heutigen Sure 7: sie ist eine der wenigen Mekka-Suren vom Anfang des Korans und zeichnet ein deutliches Bild von Paradies und Hölle. Ihr Titelwort „Wall“ bezeichnet einen Erdwall als Grenze zwischen den beiden Räumen der Ewigkeit, der ewiges Glück von ewigem Fluch voneinander trennt.

Himmel und Hölle liegen so nahe nebeneinander, nur durch den besagten Wall getrennt, daß die Bewohner der beiden Bereiche miteinander reden können. Dies ist eine Vorstellung, die es auch an einer Stelle im Neuen Testament gibt, wo Jesus vom armen Lazarus erzählt, der aus seiner himmlischen Position heraus mit dem reichen Mann reden kann, vor dessen Tür er früher einmal gebettelt hat.

Die Vorstellung eines Gerichtes am Ende der Zeit (Punkt 4 der fünf obigen Punkte von Sardar) nimmt im Koran offenbar eine noch stärkere Rolle ein als im Neuen Testament. Im Alten Testament findet sie sich so gut wie gar nicht, so daß man sich fragt, nach welchen Gesetzen das Denken der Menschen sich im Verlauf der Geschichte immer stärker auf ein Jenseits hin ausgebildet hat – und warum der Gedanke in den Köpfen und Herzen der modernen Menschen nur noch so wenig Raum findet.

Mittwoch, 6. August 2008

In der Nacht gehen die Seelen zu Gott

Sure 6: Das Vieh

Immer wieder findet man im Koran auch solche Stellen, die aus ihrem Zusammenhang treten können und dann einzelne, schöne Gedanken bilden. In Sure 6 ist es der Vers 60:

Und Gott ist es, der eure Seelen in der Nacht abruft und weiß, was ihr am Tage begeht, an dem er euch dann wieder erweckt.

Meine Henning-Übersetzung von 1901 kommentiert in einer Fußnote: "In der Nacht gehen die Seelen zu Gott." Mir ist dieser Gedanke lieb und im Herzen verständlich. Ich habe den Schlaf in seinem Herausgelöstsein aus der Zeit oft als ein kleines Vorspiel der Ewigkeit zu erleben versucht.

Daß die Seelen in der Nacht offenbar an einen anderen Ort gehen oder zumindest sehr weit verreisen, hat Marcel Proust wunderbar auf den ersten Seiten von "Auf der Suche nach der verloren Zeit / In Swanns Welt" beschrieben. Er erzählt, wie er erwacht, ohne daß er sogleich erkennen kann, wo er ist. Verschiedene Erinnerungen und Vorstellungen kommen in ihm auf und vergehen wieder, er sagt: "wie nach der Seelenwanderung die Gedanken einer früheren Existenz".

Das Gedächtnis seines Körpers bietet Proust zur Wiedergewinnung der Orientierung "nacheinander eine Reihe von Zimmern, in denen er schon geschlafen hatte, an, während rings um ihn herum die Wände im Dunkel kreisten und ihren Platz je nach der Form des vorgestellten Raumes wechselten."

Später, in "Die Welt der Guermantes" wundert Proust sich bei einem ähnlichen Erwachen, "Wie bringt man es überhaupt fertig, wenn man dann seine Gedanken, seine Persönlichkeit wie einen verlorenen Gegenstand sucht, sein eigenes Ich und nicht statt dessen ein anderes wiederzufinden?"

Der Weg vom Gedanken der Sure zu Proust ist sicherlich ein wenig länger, aber ist er nicht trotzdem gangbar?


Zur Sure selbst ist zu sagen, daß ihr Titel nach "Kuh", "Haus", "Frau" und "Tisch" erneut einen Begriff aus dem alltäglichen Leben hat: das Vieh. Es soll - so der Themenvers 136 - nicht, wie die ungläubigen Polytheisten es fordern, in bestimmter, unsinniger Weise das eine mal Gott geweiht, und deshalb nicht eßbar, und das andere mal profan sein. Der Koran sagt dagegen recht frei (143) und liberal esset von dem, was euch Gott beschert. Das wenige, was verboten ist, Schweinefleisch etc., ist nichts im Vergelich mit dem, was anderswo (auch bei den Juden, denen "wir" es anders geboten haben) als unrein und deshalb zu meiden erklärt worden ist.

Eigenartig ist auch hier erneut, wie dicht im Koran Dinge nebeneinander liegen, die sich thematisch auf ganz unterschiedliche Gebiete beziehn. So gibt es an der Stelle mit den Vorschrifetn über das Vieh einen weiteren Vorwurf gegen die Polytheisten: in Vers 137 wird ihre üble Sitte angesprochen, neugeborene Kinder zu töten, aus vermutlich wirtschaftlichen Gründen, wie später* deutlich wird . Dieses Morden wird nun aber nur kurz erwähnt, dann geht es weiter (138) mit der Kritik an den unsinnigen Vorschriften zum Vieh. An denen reibt sich der Koran sehr viel stärker als an der Kindestötung.

Zu meinen Koranquellen ist zu sagen, daß die am Bildrand zitierte neuere Übersetzung von Rassoul offenbar die in Deutschland und im deutschen Internet am weitesten verbreitete ist. Sie wird von den offiziellen islamischen Stellen hierzulande offenbar bevorzugt. Die Orientalisten bemängeln bei Rassoul eine manchmal "beschönigende" Wortwahl. Mein alter Henning aus dem Reclam-Verlag mit seinen braunen Blättern, den ich vor Jahren in einem holländischen Antiquariat, erwarb, gilt nach wie vor als "sprachlich nahe am Original". Nur daß er "Weiber" statt "Frauen" schreibt, das wird ihm nicht verziehen.

Die Zählung der Verse ist von Übersetzung zu Übersetzung nicht immer gleich, wer also das eine oder andere anhand meiner Verszahlen nachliest, muß gelegentlich springen, manchmal einen oder zwei Verse vorwärts, ein anderes mal zurück.

* Vers 153

Dienstag, 5. August 2008

Ein rätselhafter Tisch für Jesus

Sure 5: Der Tisch

Auf der Suche nach der Bedeutung des Tisches, der dieser Sure ihren Namen gibt, bin ich erstmals tiefer in den Wald der im Internet verfügbaren Koranerläuterungen eingedrungen. Ich habe am rechten Bildrand einen Kasten eröffnet, in dem einige meiner Entdeckungen festgehalten sind.

Der Kommentar von Searchtruth (englisch) stellt den Tisch mit Essen, den die Jünger Jesu sich "aus dem Himmel herab" wünschen (114) in den Zusammenhang der Mahnung an die Christen, Jesus nicht als den Sohn Gottes zu verehren und ebenso Maria nicht als Mutter Gottes. Die Jünger haben Gott, den Geber des Tisches, sozusagen hoch oben gesehen und Jesus, den Empfänger, tief unten - wie können sie danach noch Jesus neben Gott stellen?

Was allerdings dieser Tisch bedeutet, wird in diesem Kommentar nicht erklärt. An einer anderen Stelle fand ich den Hinweis, es könne der Abendmahlstisch gemeint sein. Aus dem Korantext ergibt es sich nicht.

Auch diese Sure steht geschichtlich in der Auseinandersetzung mit Juden und Christen, die teilweise unterworfen und tributpflichtig, teilweise zu Rechtgläubigen gemacht werden sollen. Die ausführlichen Erklärungen von Searchtruth, was die historische Situation betrifft, in welche die Suren hineingesprochen werden, verstärkt bei mir den Eindruck, daß auch der Koran auf eine für mich sympathische Weise nicht überall in Stein gehauenes Gotteswort ist, sondern von seiner jeweiligen Offenbarungsgeschichte her verstanden werde will. Was im Kampf um Mekka gesagt wird, muß im Zusammenhang der Kampfereignisse gehört werden, was nach der Eroberung Mekkas aufgeschrieben wird, bedeutet anderes und mag dann auch anders klingen.

Natürlich bleibt das alles "Gottes Wort" für den frommen Moslem. Aber es will dahingehend bedacht sein, an wen es bei seinem ersten Offenbarwerden gesprochen wurde. Diese Betrachtung schließt also ein gewisses Verständnis von Inkarnation, von Vermischung göttlicher Rede mit irdischen, zum Empfangen und Begreifen notwendigen Elementen nicht aus.

Auf der Suche nach Kommentaren habe ich an einigen Stellen die Frömmigkeit der Schreiber so altmodisch und so von keinen modernen Zwiefeln angekränkelt gefunden wie bei meinen eigenen frommen Vorfahren im evangelisch-pietistischen Bereich.

Einer schreibt so: Liebe Geschwister, wir wissen alle aus eigener Erfahrung, daß im Leben eines jeden Menschen unterschiedliche Ereignisse stattfinden. Manche Ereignisse erfreuen uns und machen uns glücklich, andere Ereignisse bringen uns in Schwierigkeiten und verursachen große Traurigkeit. Und fährt dann fort, wie kann der Gläubige trotzdem ein zufriedenes und glückliches Leben führen? In dem er sich an dem freut, was Dauer hat, an Gott.

Das könnte so auch im Kalenderblatt von württembergischen Gemeinschaftschristen stehen. Für mich bildet es eine wichtige Brücke zum Verstehen.

Sehr gelungen finde ich den aktuellen Koran-Blog der linksliberalen englischen Zeitung Guardian, begonnen im Februar 2008, mit wöchentlich neuen Einträgen und Möglichkeit zu eigenen Fragen und Kommentaren . Hier erklärt der in Pakistan geborene Schriftsteller Ziauddin Sardar (Bild links) abschnittsweise Stellen aus dem Koran. Laut Wikipedia ist Sardar so etwas wie ein "Rudolf Bultmann des Koran".

Ein 31jähriger Mathematiker aus Berlin hat in den letzten Monaten den Koran in - wie er verspricht - "schönes Deutsch" übersetzt. Er ist wie er sagt ein "Kulturmuslim" und hat sich selbst einen schönen arabischen Vornamen gegeben: Jamaluddin.


Es steckt "din" in dem Namen, das arabische Wort für Religion. Das steckt auch in Zinedin Zidane, ebenso wie in dem gerade erwähnten Ziauddin Sardar. Jamaluddin Heiligenlay heißt der Mathematiker und Übersetzer mit den blonden Haaren und dem sympathischen Gesicht (Bild rechts). Thomas Mann hätte sich den Namen notiert und später in eine gute Geschichte eingebaut.

Montag, 4. August 2008

Wenn du zum Weibe gehst

Sure 4: Die Frauen

Nein, eine Unterstützung für Nietzsche, der die Peitsche mitzunehmen geraten hat, wenn man als Mann zur Frau geht, gibt es in dieser Sure 4 nicht. Das Recht der Frauen, das in den ersten 40 Versen ausgebreitet wird, ist vor allen Dingen ein Erbrecht, und es schützt offenbar die schlechter gestellten Waisen und Zweitfrauen und Schwestern usw. im Falle eines unzeitigen Todes des Versorgers.

Pflichtteile werden eingeführt und sorgfältig voneinander unterschieden. Die Summe der einzeln aufgeführten Pflichtteile läßt in der Regel nur eine freie Verfügung des Erblassers über 33 % seines Vermögens zu, zwei Drittel muß er so vererben, wie es das Gesetz befielt: Zum Vergleich: bei uns sind es heute 50 %, die an den Pflichtteilen vorbei frei und nicht ans Gesetz gebunden vererbt werden können.

Die weiblichen Mitglieder einer Familie erben durchweg nur die Hälfte dessen, was ihren Brüdern und Männern zusteht, aber der Koran hat in einem eigenartigen Zirkelschluß diese Ungleichheit begründet: die Männer haben Autorität über die Frauen und sind ihnen (nach der Henning-Übersetzung) überlegen, weil sie von ihrem Vermögen hingeben (34), also aus ihren Mitteln die Versorger der Frauen sind. Die Männer erben also mehr, weil sie es wieder weitergeben müssen.

Das könnte man von einem modernen Standpunkt der Gleichberechtigung aus gesehen auch anders regeln, aber es mag in alten Gesellschaften zur natürlichen Ordnung gehören, daß man die Menschen je zwei und zwei in die Welt schickt und dem einen mit der Maßgabe etwas mehr in den Geldbeutel steckt, daß er für den anderen aus dem ererbten Vermögen in verantwortlicher Weise ein laufendes Einkommen erwirtschaften soll.

Das Gott außerdem, zweiter Grund für die männlichen Vorrechte, dem einen mehr als dem anderen gegeben hat (34) wird nicht näher ausgeführt und bleibt vage – körperliche Kraft dem Mann? die Fähigkeit, Leben aus sich hervorzubringen der Frau? wer hat dabei mehr? Jedenfalls ruft der Anfangsvers der Sure in der Übersetzung Hennings dazu auf, Gott und eurer Mutter Schoß zu fürchten, keine Rede also vor zu geringem Respekt vor den Frauen.

Man darf sie schlagen, ja, das steht hier auch (ebenfalls in 34), aber es bezieht sich nur auf bestimmte Widerspenstige, und zwei Schiedsrichter soll man holen, wenn eine Ehe in die Krise gerät, auch das ist geregelt, gleich im nächsten Vers.

Hurerei wird mit Hausarrest bestraft (15) nicht mit Steinigung, der Inzest wird mit vielen detaillierten Verboten belegt (23), Ammen und Milchschwestern sind darin einbezogen, das Haus der Großfamilie ist ein inzestfreier Raum. Die Sexualität soll den Menschen dazu bringen, sich auf den Weg zu machen und außerhalb des Hauses auf Suche zu gehen.

Was im späteren Verlauf der Sure erneut überrascht, ist der enorme Druck, unter dem die Gläubigen stehen, die sich von ihrer jüdischen, christlichen und polytheistischen Umgebung absetzen müssen. Zwar kennt auch das Judentum und das Christentum die permanente Konkurrenz durch Abgötterei, aber die Situation der Moslems um das Jahr 600 herum ist offenbar diesbezüglich viel dramatischer, die vielen Ermahnungen und Abgrenzungen sprechen eine deutliche Sprache.

Man denkt darüber nach, ob im Feuer dieser Anfechtungen und Auseinandersetzungen der Islam härter geschmiedet wurde als andere Religionen und deshalb vielleicht auch bis heute konsequenter darauf hinzuwirken sucht, daß er an den Orten, wo er seine Herrschaft ausbauen kann, am Ende möglichst allein am Platze ist.

Die Heuchler begegnen uns als die ersten, die der Koran für vogelfrei erklärt, schlagt sie tot, wo immer ihr sie findet (91). Aber wer sind sie? Zwei Verse vorher wirft der Koran den Gläubigen vor, sich zu viel Mühe mit ihnen zu machen, man hat sich bezüglich der Behandlung der Heuchler in zwei Parteien gespalten. Unnötig! sagt der Koran, schlagt sie lieber tot.

Es erscheint mir relativ klar zu sein, daß hier keine größere Gruppe von Menschen gemeint sein kann, eher eine kleine, aber unbequeme Minderheit. Bombenattentate in U-Bahn-Stationen lassen sich mit dieser Sure nicht rechtfertigen. Der Eindruck bleibt allerdings, daß eine gespannte, nervöse Atmosphäre hier und in vielen anderen Versen herrscht, in denen es um die Konflikte mit den ungläubigen oder andersgläubigen Nachbarn in Mekka oder Medina geht.

Zwischen den thematischen Versen wird schließlich aber immer wieder an das erinnert, was über allem anderen gilt: Gott allein zu dienen, das Recht zu üben, das Böse zu meiden. Wahrlich sei es gesagt. So reden Propheten, und sie empfinden, wie es der Apostel Paulus in Philipper 3,1 sagt, keinen Verdruß dabei, sich zu wiederholen.

Viel Volk unter einem einzigen Dach

3. Sure: In Imrans Haus

Das Haus des Imran, welches der dritten Sure seinen Namen gibt, ist mit Menschen gefüllt, die alle auch in der Bibel vorkommen. Dort werden sie aber doch recht unterschiedlich zugeordnet, das kann man nicht übersehen, bei aller Liebe.

Imran / Amram ist der Vater des Mose und damit gleichzeitig auch der Vater von dessen legendärer Schwester und Mitstreiterin Miriam, die hier als Maryamu / Maria vorgestellt wird, der Mutter Jesu. In dieser Personengleichheit wird also ein Sprung über 1000 Jahre gemacht. Gleichzeitig wird die auch in der Bibel berichtete Verwandtschaft zwischen Jesus und Johannes dem Täufer insofern kurzerhand vereinfacht, als auch Mutter des Täufers, Elisabeth, und sein Vater Zacharias zu Imrans Haus gezählt werden, Jesus und Johannes sind also direkte Vettern.

Über Jesus werden zwei Begebenheiten berichtet, wie sich nicht in den vier Evangelium, wohl aber in außerbiblischen Quellen finden: er hat schon in der Wiege gepredigt und er hat, gerade wie Gott zu Beginn der Schöpfung es mit dem Menschen getan hat, einem Vogel aus Ton Leben eingehaucht.

Alle diese klaren Zeichen halten aber erneut die Menschen nicht davon ab, in den Unglauben zu verfallen. Gleich zu Beginn der dritten Sure wird auch eine eigenartig offene Erklärung dafür gegeben: das von Gott gegebene Wort enthält auch dunkle Verse (Übersetzung Henning, Reclam), bzw. verschieden zu deutende (Übersetzung Gutenberg). Nicht alle Menschen verstehen sie, und gerade diejenigen, die von Natur aus auf Zwist und Spaltung aus sind, werden dadurch auf falsche Wege geleitet. Eigentlich ist Abraham der Stammvater aller Gläubigen (60), aber daran halten sich die Spalter nicht.

Von diesen Spaltern wird nun ausgiebig berichtet, wobei die kundigen Leser des Korans an vielen Stellen die Konflikte, Kämpfe und militärischen Auseinandersetzungen wiedererkennen, die Mohammed in seinem Leben auszustehen hatte. Wenn ich das, was ich im Internet über Mohammeds Geschichte gelesen habe, richtig deute, dann ist der Koran gleichzeitig auch die wichtigste Quelle für das zeitliche Geschehen zwischen 610 dem Jahr der ersten Offenbarung des Koran und 632, dem Todesjahr Mohammeds.

Vermutlich muß man in einer Art von Zirkelschluß den Koran aus der Geschichte Mohammeds verstehen und Mohammeds Geschichte aus dem Koran. Ohne diese Geschichte bleibt in Sure 3 viles fremd, was über die konkreten Anforderungen an die Kämpfer im Heere Mohammeds gesagt wird. Sie haben sich in verschiedenen Situationen als tüchtig erwiesen, sind in anderen zurückgewichen, haben geglaubt und gezweifelt, sind Mohammed gefolgt und in den Rücken gefallen.

Den Getreuen wird immer wieder das Paradies versprochen und immer wieder ist die schöne Redewendung zu finden, daß dort Gärten, durcheilt von Bächen (Übersetzung Henning) zu finden sind.


Inhaltsübersicht Sure 3

1 - 29 das Buch kommt, trifft auf Glauben und Unglauben
30 – 53 Die Zeugen der jüdischen und christlichen Traditionen von Adam über Noah zu Jesus
54 – 96 Streit über Glauben und Unglauben im „Volk der Schrift“, Einigkeit in der gemeinsamen Wurzel Abraham, der weder Jude noch Christ war (60)
97 – 116 Rede an die Glaubenden
117 - 200 Niederlage in der Schlacht am Berge Ohod, Verhalten im Kampf, Regeln für den Tribut, den ein geschlagener Feind leisten muß

Besondere Stellen

12 Eine der Vorlieben des Menschen: Rassepferde
30 Das Haus Imrans
42 Maria gebiert als Jungfrau – aber durch ein Wunder Gottes, nicht durch die körperliche Berührung durch den heiligen Geist
43 Jesus erschafft einen Vogel
73 Ein Prophet darf sich nicht neben Gott stellen, auch Jesus nicht
114 keine Freundschaft mit den Ungläubigen
125 und 126 weitere Beispiele für typische „Vielleicht“-Aussagen
182 Das Leben als ein trügerischer Nießbrauch
194 Gärten, durcheilt von Bächen

Sonntag, 3. August 2008

Die Farbe der Kuh

Sure 2: Die Kuh

In der zweiten Sure wird die Geschichte der Gottesoffenbarungen erzählt, und dazu die Geschichte der Menschen, die sehr unterschiedlich auf diese Offenbarungen reagierten. Zunächst wird dies als Geschichte des jüdischen Volkes erzählt.

Was in der ersten Sure mit wenigen Worten angedeutet wird, ist hier ausführlich entwickelt, das große Thema der Abweichung: aus Gottes Gnade zu fallen, heißt, im Irrtum leben zu müssen und Gottes Zorn zu verdienen. Die Geschichte der Menschen wird als eine Geschichte ihrer Begegnungen mit den Propheten Gottes geschildert, welche alle mit klaren Zeichen ihrer Berufung auf die Welt kommen, aber immer wieder von den Menschen verkannt und sogar verfolgt werden.

Hier schließt der Koran an eine alte biblische Tradition an, welche besonders bei der Berufung des Propheten Jesaja in einem grandiosen Bild vorgestellt wird (Jesaja 6, Link auf die ziemlich wörtliche Elberfelder Übersetzung). Es endet in der nüchternen Einsicht, daß der Prophet zu einem Volk geschickt wird, das mit seinen Augen nicht sieht und mit seinen Ohren nicht hört und in seinem Herzen nicht einsichtig wird, daß es umkehrt und Heilung für sich findet.

Auch in Sure 2, 17 und 18 heißt es,

...ließ Gott ihr Licht verschwinden und ließ sie in Finsternissen zurück, und sie sahen nichts, taub, stumm und blind; und so kehrten sie nicht um.

Deshalb reagieren die irrenden Menschen auf die Anweisungen, die Gott ihnen durch Moses gibt, mit Ironie: „Treibst du Spott mit uns?“ fragen sie, als das Gebot ergeht, eine Kuh zu opfern –eben die Kuh, die dem ganzen Kapitel seinen Namen gibt. Dann fragen sie Mose aus: was für eine Kuh soll es sein? welche Farbe? wie beschaffen? Nachdem Mose alles berichtet hat, sagen sie spöttisch „nun kommst du mit der Wahrheit“ – und opfern, aber unwillig.

Interessant ist hier die Farbe der Kuh, nach der ausdrücklich gefragt wird. „Gelb!“ ist die Antwort, safrao, wenn ich meine arabische Transkription im Internet richtig lese, das klingt nach „safran“. Könnte das eine bewußte Abkehr von der jüdischen Tradition sein, die von einer roten Kuh spricht (4. Mose 19)?

Vor einigen Monaten ging die Meldung durch die Presse, israelische Rabbiner hätten eine Kuh mit einer offenbar seltenen Rotfärbung gefunden und sähen das als ein endzeitliches Zeichen an. Will der Koran solchen Überlegungen durch eine Umfärbung begegnen, so wie Mohammed mit seiner nächtlichen Entrückung nach Jerusalem dieser Stadt ihr ausschließlich jüdisch-christliches Gesicht nahm?

Die Frage ist angesichts des hebräischen Wortes, das hier mit „rot“ übersetzt wird, vielleicht weniger kontrovers: es lautet adamah, das bedeutet „erdfarben“. Das könnte dann also auch gelb sein, oder braun bis schwarzbraun, die Erde sieht ja von Landstrich zu Landstrich anders aus.

Auch der König David wird in seiner Schönheit (1. Samuel 17,42) als „bräunlich und schön“ (so Luther, dagegen in der Elberfelder Übersetzung: „rötlich“) beschrieben, hebräisch: admoni im jepheh. Im ersten Wort admoni steckt der Anklang an Adam und an Adamah, die Ackererde. Sie hat viele Farben - und vielfarbig wie sie ist auch Adam, der erste Mensch, der von der Ackererde seine Substanz und seinen Namen hat.

Rätselhaft dann aber die Anweisung des Koran, in Streitfragen bei Mord, ihn (den Beschuldigten?) mit einem Stück der Kuh zu schlagen damit Gott herausbringt, was ihr verheimlicht. Der Vers 68 fährt fort:

So macht Gott die Toten lebendig und weist euch seine Zeichen, vielleicht werdet ihr verständig.

Hier wendet sich der Koran deutlich von 4. Mose 19 ab, denn dort bleibt einerseits nur Asche von der Kuh und keine Stücke, mit der man „schlagen“ kann – und andererseits geht es bei dem jüdischen Reinigungsopfer gerade darum, eine klare Linie gegenüber den unreinen Toten zu ziehen, nicht sie zu neuem Leben zu erwecken.


Inhaltsverzeichnis Sure 2

1 – 27 Lob der Gottesfürchtigen, Tadel für die Ungläubigen

28 – 82 Geschichte der Offenbarungen, Adam, die Kinder Israel, Moser(48), Geschichte der Gesetze, darunter das Gesetz über die Kuh (63), Jesus (81),

83 – 117 das Kommen des Koran, interne Konflikte (Mekkaner), Unglauben

118 – 135 Abraham, Ismael und seine Nachkommen

136 – 246 Vorschriften über die Gebetsrichtung, über die Pilgerfahrt, Schweinefleisch (168), Blutrache, Erbrecht, den Monat Ramadan (181), Kriegsführung, erneut die Pilgerfahrt, Almosen (211), Alkohol (216), Ehescheidung (226), das Gebet unterwegs(2039),

247 – 262 Geschichte Israels, Samuel, Saul, David

263 – 283 Vorschriften über Spenden, über Wucher, über das Ausstellen von Schuldscheinen

284 – 286 Bestätigung des Glaubens und abschließende Bitten

Besondere Stellen

21 die Aufforderung an die Ungläubigen" bringt eine gleiche Sure hervor"
38 die Erwähnung des Bundes mit Israel und seiner Bevorzugung (44)
80 Sünde: das irdische Leben für das Jenseits erkaufen
110 Allah hat keinen Sohn
112 die Menschen fordern Zeichen
132 die Taufe
148 Allah ist mit den Standhaften
159 Gott ist in der Natur erkennbar
173 die Blutrache ist „vorgeschrieben“ - wie etwa auch das Verbot für das Schweinefleisch
175 Blutrache: „in der Wiedervergeltung liegt Leben“
185 Undeutliches, hier wie oft das „Vielleicht“: „vielleicht ergeht es euch wohl“
193 Bekanntes wird vorausgesetzt: die Pilgerfahrt „in den bekannten Monaten“
216 unklare Stelle: und sie werden dich befragen, was sie ausgeben sollen als Almosen. Sprich: den Überfluss. So macht euch Allah die Zeichen klar. Vielleicht denkt ihr nach.
240 das Beten zu Pferde, eingeschoben in das Erbrecht
249 die Schechina (Gegenwart Gottes, seine Einwohnung), Arabisch möglicherweise ähnlich: „sakeenatun“
250 Verwechslung von Gideon und Saul
256 laut meiner Ausgabe: ein berühmter Thronvers
274 Muhammed wird direkt angeredet
282 sehr genaue Anweisungen, wie man einen Schuldschein schreibt

Samstag, 2. August 2008

Mit den Augen der Liebe

1. Sure: Die Eröffnende

Aus Sympathie zu Nureddin Öztaş, der mir in den letzten Wochen und Monaten mit viel Literatur und vielen persönlichen Gesprächen und eMails einen neuen Zugang zum Koran geöffnet hat, will ich dieses Buch der Muslime mit zwei unterschiedlichen Augen lesen, dem Auge des Verstandes und dem Auge der Liebe. Das ist nicht leicht, weil das Auge des Verstandes, das sich ein Leben lang daran gewöhnt hat, die Worte Gottes in einer bestimmten äußeren Form, der Form der Bibel gesagt zu bekommen, dem Koran wenig Verständnis entgegenbringt, und entsprechend auch wenig Sympathie.

Aber Herr Öztaş, ein 37jähriger Apotheker, ist ganz offenbar mit großer Liebe und Leidenschaft in seinem Leben auf einem Weg Gott zu finden. Darin ist er mir herzensverwandt, auch wenn er dabei, anders als ich, die Wege des Koran geht, nicht die der Bibel. Er findet ganz offenkundig im Koran einen Spiegel, der ihm eine von Gott erfüllte Welt zeigt. Im Ergebnis ist er damit dem Spiegel der Bibel sehr ähnlich, auch sie zeigt ja die Welt in der Gegenwart Gottes, unsichtbar aber erfahrbar. Dieser Blick verbindet uns bei allen sonstigen Gegensätzen, und er soll mir also im folgenden helfen, dem Koran eine gewisse Grundsympathie entgegenzubringen - und wenn schon nicht dem Koran, dann doch wenigstens seinem sympathischen Leser Nureddin Öztaş.

Ich habe den Blog mit "Wanderungen" überschrieben. Vielleicht ist Wanderungen ein richtiges Wort, weil es die Erwartung enthält, daß der Weg zu lohnenden Zielen führt, und auch, daß man nicht auf Anhieb gleich alles findet.


Im Namen Gottes, des Allerbarmers, des Barmherzigen.
Alles Lob gebührt Gott, dem Herrn der Welten,
dem Allerbarmer, dem Barmherzigen,
dem Herrscher am Tage des Gerichts.
Dir dienen wir, und dich bitten wir um Hilfe.
Führe uns den geraden Weg,
den Weg derer, denen du Gnade erwiesen hast,
nicht den Weg derer, die deinen Zorn erregt haben,
und nicht den Weg der Irregehenden.


Dieses Gebet könnte auch ein Christ sprechen oder bestätigen, genau wie Nureddin Öztaş den Psalm 1 bestätigen konnte, nachdem er bei seinem ersten Besuch in meinem Haus sein Gebet gen Mekka verrichtet hatte, und ich ihm aus einer gewissen Verlegenheit heraus danach einen frommen Text vorgelesen habe.

Ich habe die obige Sure 1 mit einer winzigen Veränderung aus dem Internet übernommen (Projekt Gutenberg), die Veränderung besteht darin, daß ich wie von der Bibel her gewohnt das Wort für Gott in meiner eigenen Sprache eingesetzt habe, nicht in der Sprache des Urtextes.

Eine Religion, die mich lehren wollte, an einen Gott mit dem hebräischen Namen Elohim zu glauben, würde ich vermutlich als fremd empfinden. Ganz ähnlich haben es auch die ersten Missionare der jungen christlichen Gemeinden gesehen und den Griechen also von Theos berichtet, obwohl sie als Juden sicherlich gewohnt waren, an Elohim zu denken.

Ich wende dieses Prinzip auch beim Zitieren des Koran an und will deshalb das Wort Allah dabei vermeiden. In diesem Wort ist - trotz seiner sprachlichen Verwandtschaft mit Elohim - bereits alles Fremde zusammengefaßt, das uns den Zugang zum Islam verbaut. Also will ich es, so gut es geht auch im Folgenden weglassen. Ich lasse auch allen arabischen Zierat weg, Schriftzeichen, Kultgegenstände etc. Das ist alles oft mehr Folklore als Kunde von Menschen, die mir in ihrer Gottessuche verwandt sind.

Ich schicke etwas von dem Wenigen voraus, was ich über den Koran weiß. Die insgesamt 114 Suren des Koran sind nach ihrer Länge sortiert, nicht ganz präzise, aber doch prinzipiell so, daß doe langen Suren vorne im Koran stehen. Die Sure 2 hat 286 Verse, die Sure 114 nur noch sechs. Die Sure 1 mit ihren sieben Versen nimmt als Eröffnende eine Sonderstellung ein.

Mit meinen geringen Hebräisch-Kenntnissen kann ich einige verwandte arabische Worte darin ansatzweise verstehen. Im ersten Satz

Bismi Allahi al-rahmani al-rahemi
Im Namen Gottes, des Allerbarmers, des Barmherzigen

steckt zu Beginn Sm / Sem / Schem, was “Name” bedeutet und erinnert an Sem, den ersten Sohn des Noah, dessen Name die arabischen und hebräischen Semiten heute noch tragen. Mit dem b vor Sem / Schem / Sim wird das “im” bezeichnet, "im Namen" - in gleicher Weise wie zu Beginn der Bibel, wo es b’reschit „im Anfang“ heißt.

Auch das rachman, das in dem muslimischen Eigennamen Abdulrachman so furchterregend anklingt, hat eine hebräische Schwester, rechem. In beiden Sprachen bezeichnet das Wort die Barmherzigkeit, vom Hebräischen weiß ich, daß es auch Mutterleib bedeuten kann.

Daß Gott im Koran zuallererst als Barmherziger angesprochen wird, hat meinen frommen Onkel Johannes Runkel bewegt. Es entsprach zunächst so wenig seinen gängigen Vorstellungen von den essentials des Islam. Aber es entsprach dem weiten Herzen des Onkels, der mich am Ende seines Lebens immer wieder mit unerwarteten Erweisen von Toleranz überrascht hat.