Dienstag, 30. September 2008

Sich beraten und sich standhaft wehren

Sure 39: Die Scharen
Sure 40: Der Gläubige
Sure 41: Erklärt
Sure 42: Die Beratung

Sure 42 fügt in das islamische Glaubensbekenntnis ein bemerkenswertes neues Element ein: die Gläubigen verrichten nicht nur das regelmäßige Gebet und geben die Armenspende, sie sind außerdem dadurch charakterisiert, daß sie ihre Angelegenheiten in Beratung untereinander erledigen (Sure 42, Vers 36).

Das versteht mein frommer Kommentar von Searchtruth durchaus in einem partizipatorischen, demokratischen Sinn: Männer und Frauen, Eltern und Kinder sind ebenso zu einer offenen Beratung ihrer Angelegenheiten untereinander aufgefordert wie Könige und Fürsten, die weise genug sind, ihre Berater frei und ohne Einschränkungen für das Volk reden zu lassen.

Wenn man diese Sure mit den Augen von Searchtruth liest, dann stehen von hier aus alle Türen für ein Leben in einer modernen, auf Gleichberechtigung und freiem Wahlrecht fußenden Gesellschaft offen.

Eine Einschränkung könnte sich allerdings durch den unmittelbar folgenden 37. Vers ergeben. Dort werden die Gläubigen außerdem als solche bezeichnet, die, wenn sie eine Unbill trifft, sich rächen (Übersetzung Henning). Das hört sich weniger demokratisch an, wird aber durch zweierlei Überlegungen eingegrenzt.

Zum einen schreiben viele andere Übersetzer sich verteidigen statt sich rächen, zum anderen schränkt gleich der nächste folgende Vers die Möglichkeiten der Verteidigung oder Rache stark ein: Die Vergeltung für eine Schädigung soll nur eine Schädigung in gleichem Ausmaß sein; wer aber vergibt und Besserung bewirkt, dessen Lohn ist sicher bei Gott. (Vers 38) Vergeltung ist erlaubt, aber wenn man es Gott recht machen will, dann geht man besser den Weg der Vergebung.

Searchtruth sagt, daß hier eine Standhaftigkeit gelehrt wird, die jederzeit vergeben kann, aber im Bewußtsein der eigenen Rechte und der eigenen Festigkeit niemals gezwungen werden kann, kleinlaut und feige aufzugeben.

Auch das ist also eine Haltung, welche in einer modernen Gesellschaft jederzeit willkommen sein dürfte.

Ich lese aus diesen Versen, daß man seinem moslemischen Nachbarn ein Grundvertrauen in Bezug auf seinen guten Willen entgegenbringen darf, in einer offenen, demokratischen Gesellschaft zu leben. Sein Koran enthält - wie meine Bibel - offene Türen für ein Leben in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

Daß sich in beiden Büchern auch Türen für eine enge Haltung öffnen können, sollte man wissen und nicht aus den Augen verlieren. Man muß sich aber nicht bei jedem Frommen, der einem begegnet, gleich davor fürchten.

Montag, 29. September 2008

Ismael oder Isaak?

Sure 37: Die sich Reihenden
Sure 38: S.

Gott allein weiß es, sagte der weise Koran-Kommentator Allama Ibn Kathir zu der Frage, ob der in Sure 37 zur Opferung ausgewählte und dann doch gerettete Sohn Abrahams nun Ismael war oder Isaak. Ismael war der älteste, aber er war doch "nur" der von der Magd Hagar geborene Sohn, dagegen war Isaak, der zweite, der von der Hauptfrau Sara stammende. Die Bibel berichtet von Isaaks, des Juden, Beinah-Opferung, der Koran legt dagegen Ismael, den Araber, nahe, auch wenn viele namhafte moslemische Ausleger der biblischen Version folgen. In ihren Augen ermöglicht der Koran beide Lesarten.

An vielen Stellen ist der Koran tatsächlich für unterschiedliche Auslegung offen, das ist angesichts der Vorurteile, die vielfach gegen eine monolithisch erscheinende Religion von Feuer und Schwert bestehen, für manche Christen sicher überraschend. Ich denke mittlerweile anders. Nach 415 von 575 Seiten Koran verfestigt sich in mir das Bild von einem in poetische Worte verfaßten Buch, das genauso wenig zur Herbeiführung eines mit dem Schwert erzwungenen Glaubens taugt wie die Psalmen oder die Evangelien.

Nein, der Koran ist wie jedes alte Menschheitsbuch und wie überhaupt jedes für ein großes Publikum geschriebene Buch offen für verschiedene Rezeptionen, für verschiedene Umsetzungen in vielgestaltiges, menschliches Leben. Man greift nach dem Lesen weder automatisch zum Pilgerstab und wandert nach Mekka noch greift man automatisch zur Waffe und kämpt gegen die Ungläubigen. Die häufigste Reaktion ist und bleibt - folgt man dem eigenen Zeugnis des Koran - der Unglaube.

Nach 415 von 575 Seiten ist aber vielleicht auch ein Wort über das angebracht, was der Koran n i c h t enthält und was ich als Christ mehr und mehr vermisse. Das sind vor allen Dingen die vielen grundlegenden Berichte der Bibel über das Handeln Gottes an den Menschen, die der Koran nicht erwähnt oder bewußt anders erzählt als ich sie aus der Bibel kenne.

Ein Beispiel habe ich schon erwähnt - in Sure 28 diskriminiert der Pharao eine "Gruppe" seines Volkes, die er zuvor herausgeteilt und mit einer schlechteren Rolle versehen hat. Es handelt sich um Moses Leute, aber es ist keine Rede von einem besonderen jüdischen Volk, ganz zu schweigen von einem Volk, daß sich Gott erwählt haben könnte. Entsprechend kommt es zu keinem Bundesschluß am Sinai, zu keiner spannungsreichen Geschichte zwischen einem allmächtigen, aber in seinem Erdenhandeln auf ein kleines Nomadenvolk beschränkten Gott, zu keinem Auf und Ab in den teilweise emotionalen Reaktionen Gottes.

Im Koran gibt es die Zehn Gebote nicht. Zwar sagt Herr Öztaş mir, daß der Koran vieles Biblische unausgesprochen enthält und daß der Hinweis auf die neun deutlichen Zeichen, die Gott dem Mose gibt (Sure 17, Vers 103) die Verpflichtung auf alle zehn Gebote mit Ausnahme des Sabbat-Gebotes enthält. Aber gerade das würde ich gerne mit Herrn Öztaş einmal länger besprechen. Ich würde ihn etwa fragen: was ist das Verständnis Gottes ohne einen Anklang an den Rhythmus seiner Schöpferarbeit, diese sechs Tage und dann die Ruhe am siebten?

Oder: was geht nicht alles verloren, wenn man das Gebot unerwähnt läßt, daß der Name Gottes heilig ist? Ich lese mit Ehrfurcht eMails eines israelischen Bekannten, der in Englisch G-d schreibt statt God, leise, still, fast flüsternd. Ich will keinem Moslem vorwerfen, daß er bei Gott schwört. Allah, Wallah, Tallah klingt es durch die orientalischen Abenteuergeschichten meiner Kindheit, aber das Ogottogott meiner eigenen Leute ist auch nicht besser. Da ist etwas verloren gegangen, was man besser bewahrt hätte.

Ich habe versprochen, den Koran mit Ehrfurcht zu lesen, dabei will ich bleiben. Aber nachdem ich drei Viertel gelesen habe, will ich doch auch vorsichtig sagen dürfen, was mir fehlt.

Sonntag, 28. September 2008

Das Herz des Korans

Sure 34: Saba
Sure 35: Die Engel
Sure 36: Ya-Sin



Mohammed hat die 36. Sure Das Herz des Korans genannt. So geht es aus einem der unzähligen Hadithe des Korans hervor, das sind zusätzliche Überlieferungen und spätere Auslegungen, die alle zusammen die Sammlung der Sunna ergeben. Ein weiteres Hadith empfiehlt es, diese Sure Sterbenden vorzulesen. Hinter beiden Aussagen steckt offenbar der Gedanke, daß diese Sure eine stärkende Wirkung hat, daß sie in besonderer Weise geeignet ist, bei Lebenden die träge Unentschlossenheit zu überwinden und Sterbenden die Kraft zum Weg ins Jenseits zu geben.

Die Sure wiederholt dann auch entsprechend alle Aussagen über das Wesen des Glaubens, die dem Leser bereits in ähnlicher Form, aber verstreut über unterschiedliche Passagen, in den 35 Suren zuvor vertraut gemacht worden sind. Es sind, in meinen eigenen Worten:

- die Menschen sind von Natur aus nicht geneigt, dem Wort Gottes Folge zu leisten,

- ihnen werden die Worte des Propheten als Warnung gegeben; sie reagieren aber aggressiv und bedrohen immer wieder die zu ihnen gesandten Propheten,

- der Gläubige dagegen sagt: Gott hat mich geschaffen, zu ihm kehre ich zurück, niemand außer ihm, dem Erbarmer, kann mir wirksam helfen, deshalb glaube ich; diesem Gläubigen wird Vergebung zuteil,

- Gott hat allen Menschen Zeichen gegeben, die auf sein Wirken hinweisen: er läßt Pflanzen aus der Erde sprießen, führt Sonne und Monde geordnet herauf, ermöglicht den Schiffen einen Weg über das Meer und erschafft die Tiere zum Nutzen des Menschen.

In der zweiten Hälfte der Sure wird das Weltgericht am Ende der Zeiten in Worten beschrieben, die den Worten der Bibel ähnlich sind - der Posaunenstoß, das Öffnen der Gräber, der Lohn guter und böser Taten, Paradies für die einen, ewiges Feuer für die anderen.

Der Prophet soll alles dies immer wieder in nüchternen, verständlichen Worten sagen, deshalb heißt es: und nicht lehrten wir ihn Posie (Sure 36, Vers 69). Die Moslems erfreuen sich vor dem Hintergrund dieser Worte vielleicht besonders daran, daß der Koran am Ende trotzdem ein Werk von großer poetischer Kraft geworden ist, wie die Kenner seiner Sprache immer wieder hervorheben.

Der Prophet soll sich - auch das ein wiederholt im Koran vorkommendes Anliegen - nach allem nicht betrüben, wenn er Widerstand erfährt (Vers 76). Er soll sich an dem Gott freuen, der groß und strahlend über dem Ende der Sure steht: der Schöpfer des Himmels und der Erde, der ins Sein rufende, und der, über den es mit den letzten Worten der Sure heißt: Zu ihm kehrt ihr zurück.

Wer einen Eindruck vom Klang der Sure 36 haben will, kann die ersten Verse in YouTube von einer bezaubernden Kinderstimme rezitiert hören. Bismi Allahi kann man zu Beginn verstehen, im Namen Gottes, und Ya-Sin, den Titel der Sure, der aus den beiden der Sure vorangestellten Buchstaben I und S besteht, über deren Bedeutung die Hadithe unterschiedliche Erklärungen haben. Ich danke Herrn Öztaş herzlich für den Hinweis auf dieses Video.

Eine kleine Beobachtung am Rande: die Sure 36 enthält, anders als die meisten Suren vor ihr, nur eine einzige kurze Erwähnung einer älteren Prophetenhandlung. Diese spielt sich in der Stadt ab (Vers 12), deren Name nicht genannt wird. Die traditionelle Annahme, die heute aber wohl wieder verworfen wird, sagte, gemeint sei Antiochien*, die Hauptstadt der Römischen Provinz Syrien, beherrschende Stadt des östlichen Mittelmeers im Altertum.

In die Stadt kommen zwei Prediger, die - wenn es tatsächlich Antiochien ist - nur christliche Prediger sein können, sie werden abgelehnt und mit dem Tode bedroht. Überraschend kommt aber dann ein Mann vom Ende der Stadt gelaufen (Vers 19), der die Botschaft der Prediger bestätigt und in einfachen, klassischen Worten das sagt, was ein Glaubender zum Ausweis seines Glaubens sagen muß. Ihm wird sogleich gesagt, geh ein ins Paradies (Vers 25). Er ist der Held dieser Sure, und sein klares Bekenntnis ist sicherlich das Herzstück des Herzens des Koran.

Die Auslegung mit Antiochien gefällt mir aus einem persönlichen Grund: Antiochien ist nach biblischer Überlieferung (Apostelgeschichte 11,26) die Stadt, in welcher die junge Bewegung der Jesus-Nachfolger einen neuen griechischen Namen bekommen hat. Dieser Name bedeutet wörtlich "Die Salber", weil die Jesus-Leute von Jesus als dem "Gesalbten" sprachen. Die Salber bekamen einen Namen, der vielleicht spöttisch klingen sollte, der aber wenig später als Markennamen um die Welt ging und nebenbei auch Grundlage für meinen Vornamen wurde: Χριστιανούς, Christianous, Christen.

* heute Antakya in der Türkei

Donnerstag, 25. September 2008

Häusliche Querelen

Sure 33: Die Verbündeten

In dieser Sure besteht offenbar Klärungsbedarf, nach einigen Querelen im Hause des Propheten . Erneut wird er für etwas angegriffen, gegen das er sich verteidigen muss, diesmal im Zusammenhang mit seinen vielfältigen Ehen.

Er hat die geschiedene Frau seines adoptierten Sklaven Seid geheiratet, das war nach altem Recht nicht gestattet, so daß die Sure hier neues Recht schaffen muß. Sie tut das, indem sie gleichzeitig eine Reihe von neuen Regeln aufstellt, die ab jetzt für den Hausstaat des Propheten gelten sollen – etwa das Gebot, nicht einfach ohne Einladung sein Haus zu betreten, und das Gebot, nach dem Besuch dort still und ruhig auseinanderzugehen. Es ist nach allem ein Haus eines Fürsten, in welchem man sich dezenter verhält als in den Häusern von Bürgern.

Mohammed darf bis zu einer bestimmten Grenze weitere Ehen eingehen, und darf aus bestehenden Ehen auch wieder Frauen entlassen. Seine Frauen gelten allerdings, auch wenn sie entlassen worden sind, als Mütter der Gläubigen (Vers 6) und sind als solche nicht mehr berechtigt, erneut zu heiraten.

Das alles kann man mit etwas Fantasie für ältere Kulturen, in denen es die Polygamie gab, sicherlich verstehen und einordnen. Was allerdings als Frage übrig bleibt, ist, ob ein realistisches Bild vom menschlichen Auf und Ab im Leben des Propheten nicht angemessener wäre als das ewig schöne und ewig tugendhafte Bild, an dem die Moslems festhalten. Friede sei allezeit mit dem Propheten! Aber war er nicht am Ende doch - ein Mensch?

In Sure 27 gab es ja die Stelle, wo ein etwas unfreundliches Auftreten des Propheten Salomon gegenüber einer kleinen Ameise ganz offenbar aus der Geschichte „geschnitten“ wurde. Propheten sind zur Kreatur nicht unfreundlich, das soll dieser Schnitt verdeutlichen.

Propheten sind auch zu ihren Gattinnen nicht unfreundlich, selbst wenn es viele sind und die Liebe zu der einen oder anderen erkaltet sein mag. Das will ich gerne akzeptieren und insofern in Frieden mit meinen moslemischen Nächsten leben.

Ich denke aber, daß ich mein Verständnis meiner eigenen christlichen Propheten ebenfalls offenlege sollte. Auch das dient ja dem Frieden. Bei uns haben die Propheten häufig ein wenig Dreck am Stecken, und unsere Verehrung baut eher darauf, daß sie mitten in ihrer eigenen Unvollkommenheit eine göttliche Wahrheit über ihrem Leben gefunden haben.

Es gibt im Koran, sagt Herr Öztaş in seinem Kommentar zu Sure 28, keine Widersprüche zur Geschichte oder Wissenschaft. Aber es gibt Stellen, die ausgelassen werden, damit ein Bild eindeutiger und sozusagen runder wird – wie das Bild des Salomo / Suleiman in Sure 27.

Übrigens hat Herr Öztaş einen wunderbaren Kommentar zu Sure 18 geschrieben, in dem er das mystische Sehen von geheimnisvollen Lichtgestalten beschreibt. Sie werden uns nicht direkt präsentiert, sondern wie hinter einem Vorhang. Hier bin ich wieder ganz bei Nureddin Öztaş (sein Vorname ist ein Programm, mir nur, dem Licht, und din, der Religion) – aber zwischendrin, da wo man noch nicht so weit ist, den mystischen Blick zu entwickeln, zwischendrin – mit welchen Augen liest man da?

Dienstag, 23. September 2008

Volksweisheiten

Sure 30: Die Römer
Sure 31: Luqman
Sure 32: Die Anbetung

Unter den vielen Zeugen, die schon vor der Zeit Mohammeds den richtigen Glauben erkannt und angenommen hatten, ist Luqman, der weise Spruchdichter, vielleicht der redegewandteste von allen. Später, im Mittelalter, wuchs sein Ruhm noch weiter, und es wurden ihm Fabeln zugeschrieben, die auf den Griechen Äsop (um 600 v. Chr.) zurückgehen, weshalb ihn mein Koran in der Fußnote mit Äsop gleichsetzt. Das dürfte ein wenig weit hergeholt sein, aber er war auf jeden Fall bereits eine bekannte historische Person, als der Koran entstand.

Es könnte also eine Lebensweisheit aus vorkoranischer Zeit sein, die Luqman in einem Gespräch mit seinem kleinen Sohn weitergibt, von dem Sure 31 erzählt. Es ist eine Weisheit, die im Islam (sagt Wikipedia) als allgemeine Ermahnung und als guter Rat für junge Leute weit verbreitet ist. Sicherlich dürfen Luqmans Worte auch in anderen Kulturen und anderen Religionen beherzigt werden: Halte das rechte Maß in deinem Gang und sänftige deine Stimme. Siehe, die unangenehmste Stimme ist die der Esel. (Sure 31, 18)

Angesichts vieler lärmender Hoffärtigkeit in der heutigen Welt möchte man diesen Ayat nachts heimlich mit der Sprayflasche auf viele Häuserwände schreiben.

Auch Goethe, der sich im Alter dem Islam angenähert hat, kannte Luqman (als Lokman) und hat im West-östlichen Divan über ihn gedichet. Ich schweife etwas ab, wenn ich die Begeisterung manche Moslems dämpfe, die Goethe zu einem Glaubensgenossen machen wollen. So wie man den alten Meisterdichter kennt, hat er außer an sich selbst kaum von ganzem Herzen an ein anderes höheres Wesen geglaubt. Außerdem ist der "Divan" ein vertracktes Spiel, mit dem der damals 70jährige sich die Zuneigung der Marianne von Willemer erobern wollte, das macht ihn als Glaubensbekenntnis zusätzlich fragwürdig.

Zwei Zitate aus dem Divan, das erste zu Luqman / Lokman:

Was brachte Lokman nicht hervor,
den man den Garst'gen hieß!
Die Süßigkeit liegt nicht im Rohr,
der Zucker, der ist süß.

Und ein berühmtes Wort, das auch im "Divan" steht, der eine Sammlung ist:

Getretner Quark
wird breit, nicht stark.

Ich lese letzteres als eine an mich ergehende Mahnung, mich nächstens kürzer zu fassen.

Montag, 22. September 2008

Was ist wirklich geschehen?

Sure 28: Die Geschichte
Sure 29: Die Spinne

Wir verlesen dir etwas von der Geschichte Moses und Pharaos der Wahrbeit gemäß für ein gläubig Volk. So steht es am Anfang der Sure 28 in Vers 2.

Wem die häufige Nennung des Mose im Koran auffällt, der kann in der Suchmaschine von Serchtruth bestätigt finden, daß er tatsächlich in 134 Versen des Korans vorkommt, überwiegend in den ersten 40 Suren. Abraham folgt mit 80 Versen, Noah mit 56, dann Maria und Jesus. Die Geschichten von Mose haben meistens einerseits einen festen, immer gleichen Kern - die Gegenüberstellung mit dem Pharao, die beiden Wunder mit Stock und Schlange und der plötzlich aussätzigen Hand - und andererseits eine Fülle von Varianten in Bezug auf den Blickwinkel, aus dem die Geschichte erzählt wird.

In Sure 28 wird ausführlich die Geburt und Kindheit des Mose erzählt, seine Aussetzung im Nil, seine Erziehung am Hof des Pharao. Ich kann mir vorstellen, daß hier Passagen vorkommen, denen man in der Moschee sitzend gerne zuhört, es wird teilweise sehr lebendig erzählt. Der Koran verfügt, wenn man es rein historisch betrachtet, offenbar über andere Quellen als das Alte Testament und bringt neue Farben in die alten Bilder, erzählt bekannte Geschichten anders.

Eine der einschneidensten Änderungen findet sich gleich zu Beginn der Sure, wo in Vers 3 gesagt wird: Siehe, Pharao war hoffärtig im Land und machte sein Volk zu Parteien; einen Teil davon schwächte er, indem er ihre Söhne schlachtete und nur die Mädchen leben ließ. Andere Übersetzungen sagen "Gruppen" oder "Sektionen", es ist jedenfalls klar, daß hier kein jüdisches Fremdvolk unter den Ägyptern lebt, gar nicht zu reden von einem auserwählten Volk mit einer besonderen Gottesoffenbarung.

Das wäre also die Wahrheit des Koran, eine andere Wahrheit als die der Bibel. Dort bemüht sich ein mit Namen genannter Stammesgott JA oder JHWH darum, seinem kleinen Volk beizustehen, es aus Ägypten zu führen, ihm eine ethische Grundordnung zu geben und ihm später einmal das Leben in einem Land zu ermöglichen, in dem Milch und Honig fließt (2. Mose 3,8). Auch er nennt sich mit vollem Recht Allah, Elohim, Gott, denn er hat die Welt erschaffen. Er hat sich aber zu seinem Dienst und zu seiner Ehre nur ein einziges, mit ansonsten keinen Vorzügen gesegnetes Volk erwählt und den anderen Völkern seine Barmherzigkeit dadurch unzugänglich gemacht.

Die Propheten des JHWH verkünden allerdings eine Ahnung davon, daß Gott sich eines Tages auch so offenbaren wird, daß alle Menschen ihn anbeten können. Als dann in Jesus diese Öffnung real möglich wird, spaltet sich das Judentum auf - in einen messianischen Flügel (die Christen) und einen Flügel, der die sozusagen internationale Ausweitung des JHWH-Glaubens erst in der Zukunft erwartet und "exklusiv" jüdisch bleibt.

Der Koran erzählt die Geschichte anders. Der Gott, der schon den Stammvater Abraham, viele Generationen vor Mose, zu einem gläubigen Moslem gemacht hat, unterscheidet nicht nach Juden und anderen Völkern. Er wählt sich Propheten aus, die allen Menschen sagen, daß Gott nur einer ist, daß man das Gebet verrichten, die Armenspende geben und im Bewußtsein leben soll, daß es eines Tages eine Heimkehr zu Gott geben wird - unterschiedslos für alle.

Im Reden des moslemischen Propheten Mose mit dem skeptischen, ungläubigen Pharao wird wieder - ähnlich wie im Beispiel der Ameise aus Sure 27 - eine komplizierte menschliche Geschichte durch eine Auslassung vereinfacht. Ein Prophet (wie Salomo) hat keine menschlichen Schwächen, die ihn verächtlich mit einer Kreatur sprechen lassen würden. Ein Gott (wie der Gott des Koran) hat keine wechselvolle Geschichte mit einem zweit- oder drittklassigen Volk, in dem immer wieder seine eigene Ehre (Gottes Ehre!) auf dem Spiel steht.

Sollte man diese Gegensätze so stehen lassen und dem einen Teil der Menschen erlauben, an einen sozusagen dialektischen, ja widersprüchlichen Gott zu glauben und dem anderen Teil seinen in sich geschlossenen, undialektischen Gott lassen? Ich fürchte, daß das zu einfach ist und möchte die Frage deshalb zunächst so nicht stellen.

Aber was macht der Koran, wenn sich seine Darstellung als falsch erweist? Schon das Beispiel der Ameisen-Geschichte enthält eine offenkundige Kürzung und Schönung. Das Beispiel des Mose-Volkes enthält ebenfalls Korrekturen, die nicht stimmen können - etwa die Erwähnung des Haman (Vers 5), der in die Geschichte der Königin Esther gehört, Jahrhunderte später spielend. Wie lebt man damit und glaubt, wenn die "äußere" Wahrheit, der wirkliche Verlauf der Geschichte so offenkundig gegen den eigenen Glauben steht?

Sonntag, 21. September 2008

Lücken, offen und gefüllt

Sure 27: Die Ameise

In den Erzählungen des Koran gibt es immer wieder rätselhafte Lücken, so auch in der Geschichte der Ameise aus dieser Sure. Es wird zunnächst die Klugheit eines dieser kleinen Tiere vorgestellt, das beim Anrücken der Armee des Königs Salomo seine Genossen warnt: O ihr Ameisen, geht hinein in eure Wohnungen, auf daß euch nicht Salomo und seine Heerscharen zermalmen! (Vers 18)

Diese Worte hört - eigenartige Wendung der Geschichte - der König Salomo, und er lächelt. Daß er die Rede der Ameisen verstehen kann, ist einer der vielen bewunderungswürdigen Kenntnisse des weisen Königs. Zuvor war bereits berichtet worden (Vers 16), daß er auch die Sprache der Vögel beherrscht. Nun hört er die Worte der Ameise, lächelt - und spricht Gott an und bittet ihn um den göttlichen Antrieb deiner Gnade zu danken (Vers 19) und einiges Demütige mehr.

Nichts davon steht im Zusammenhang mit der Rede der Ameise. Mein Kommentar von Searchtruth berichtet allerdings von einer jüdischen Legende, die das fehlende Stück enthält: Salomo habe nämlich, so erzählen es sich die Juden untereinander, verächtlich zu der Ameise heruntergeredet, aber die habe ihm ebenso verachtungsvoll erwidert: was bist du schon? Das Ergebnis eines Samentropfens! Dieses Stück fehlt im Koran, es macht aber klar, warum Salomo lächelt und warum er im Anschluß ein demütiges Gebet spricht.

Die Pointe der Searchtruth-Interpretation ist nun, daß der Koran es demnach besser als die Juden macht, indem er die "schmutzigen Flecken" auf dem Bild reinigt, das sich die Juden von einem ihrer Propheten gemacht haben. Propheten sprechen nicht verachtungsvoll mit Kreaturen Gottes! Und Salomo ist ein Prophet.

Für mich und meinen Dialog mit Herrn Öztaş, der im Moment sehr intensiv parallel zu diesem Blog weitergeht, wird hier etwas deutlich, was wir schon früher gemeinsam festgestellt haben: mein dialektisches Bild der Bibel ist auf den Koran nicht anwendbar. Die Bibel will die menschliche, manchmal unangenehme Wahrheit über die Bannerträger der großen Versprechungen Gottes zeigen, wie etwa bei David und Salomo, also auch die Kehrseite ihrer Charaktere. Sie will sogar in Extremsituationen (wie bei Hiob und beim Kreuzestod Jesu) offen auch von der Kehrseite der Gnade Gottes reden dürfen. Nichts davon darf man im Koran erwarten, hier regiert der reine Glaube.

Reine Schönheit regiert manchmal auch - wie in Vers 44. Da kommt die legendäre Königin von Saba zu Besuch in den Palast des Königs Salomo, auch die Bibel berichtet davon. Sie ist durch einige Ereignisse im Vorfeld schon weitestgehend davon überzeugt, daß Salomo den richtigen Glauben besitzt (sie selbst und ihr Volk haben bislang nicht den wahren Gott sondern die Sonne angebetet), und ergibt sich endgültig dem neuen Glauben beim Anblick des prächtigen Palastes von Salomo.

Dieser Palast ist, für die Königin nicht sogleich erkennbar, über und über mit Glas und Spiegeln versehen, so daß die Königin für einen Moment annimmt, sie müsse durch Wasser gehen, um hineinzugelangen.

Hier läßt der Koran keine Lücke in der Erzählung. Im Gegenteil, er schmückt die Augentäuschung mit einer kleinen Geste aus, die davon zeugt, daß der Koran nicht als leibfeindlich angesehen werden kann: die Königin hebt in Erwartung des Fußbades ihren Rock hoch und entblößte ihre Schenkel (Vers 44). Die sagenumwobene Königin des Südreiches mit geschürztem Rock! Auch das ist ein Bild, das man aus einer Wanderung durch den Koran mitnehmen kann.

Freitag, 19. September 2008

Ein Gesang

Sure 26: Die Dichter

Bevor ich dazu komme, die Poesie dieser Sure zu loben, möchte ich den Eindruck wiedergeben, der mich überkam, als auch in dieser Sure gleich wieder die alten, bekannten Propheten vor ihren bekannt ungläubigen Zuhörern auftraten. Das alles war mir so vertraut, daß ich meinte, es langsam schon singen zu können, wie man im Volksmund sagt.

Das bedeute natürlich zunächst eine innere Ablehnung, aber dann war es mir, als ob die Sure sagen wollte: genau das will ich bei meinen Zuhörern erreichen, daß sie die Geschichten von Mose und Abraham, Noah und Ad, Salih und Lot und ihren bereits mehrfach im Koran genannten Prophetenkollegen wie in einem rituellen Gesang zu wiederholen lernen.

Die Sure verfällt deshalb wohl auch von Anfang an in einer Art Litanei, die durch auffallend kurze und in vielerlei Hinsicht gleichförmige Verse auch im Deutschen rhythmisch strukturiert wird. Siebenmal beginnt die Geschichte des jeweiligen Propheten mit Und siehe dein Herr – wahrlich er ist der Barmherzige, danach wird immer eine ähnliche Geschichte erzählt, oft mit gleichen Motiven (der Prophet verlangt keinen Lohn, er wird von seinem Volk als Lügner dargestellt), sie endet immer mit Siehe hierin ist wahrlich ein Zeichen, und dennoch glaubten die meisten nicht.

Dies alles macht den Eindruck eines Liedes, eines Gesangs, der durch ständige Wiederholung seinen Leitgedanken vertiefen will. Am Ende soll man wohl fast automatisch mitsingen Siehe hierin ist wahrlich ein Zeichen…

Ich schwanke weiterhin in der Antwort auf die Frage, warum im Koran bislang erheblich mehr vom Unglauben als vom Glauben die Rede ist. Der Trost für den Propheten steht in dieser Sure noch einmal als Hauptgrund vorneweg: Vielleicht härmst du deine Seele zu Tode, daß sie nicht gläubig werden (Vers 2). Aber die Wirkung des Gesangs zielt nach meinem Eindruck eher auf die späteren Hörer und sagt ihnen: werdet nur nicht so verstockt wie der Pharao!

Die Dichter, nach denen die Sure benannt ist, kommen am Ende schlecht weg. Und die Dichter, es folgen ihnen die Irrenden. (Vers 234). Der Koran dagegen wird erneut nicht als Dichtung, sondern als Prosa dargestellt, obwohl er gerade in dieser Sure besonders dichterisch durchgestaltet erscheint.

Er kam, wie er von sich selbst sagt, klar und deutlich herab in offenkundiger arabischer Zunge (Vers 195). Es wird ergänzt und wahrlich, verkündet ist er in den Schriften der Früheren (Vers 196), was ich so verstehe, daß auch die prophetischen Worte der Bibel als eine Art von Koran, was ja "Lesung" oder "Vortrag" bedeutet, verstanden werden können.

Donnerstag, 18. September 2008

Gute Absicht, böse Aufnahme

Sure 25: Die Unterscheidung

Gesegnet sei der, welcher die Unterscheidung hinabsandte auf seinen Diener. So beginnt die Sure 25 – und unterbricht sogleich den hellen Gedanken wieder, was da alles an Weisheit möglich wäre, wenn man zu unterscheiden lernt zwischen Gut und Böse, Recht und Unrecht, wahren und falschen Wegen. Al-Furqa heißt die Unterscheidung in Arabisch, ein ehrfurchtgebietendes Wort. Aber nichts von ihr – es beginnt sogleich in Vers 2 die erneute Klage über die Menschen, die Gott Gefährten an die Seite stellen und ihm nachsagen wollen, er habe ein Kind gezeugt. Die Schilderung der Gedanken und Taten der Ungläubigen durchzieht die ganze Sure, die Unterscheidung dagegen wird nicht mehr erwähnt. Was in guter, klärender Absicht herabgesandt wurde, findet bei den Menschen eine böse Aufnahme.

Man sollte nicht vorschnell über das ewige Lamentieren des Korans über die Ungläubigen urteilen. Auch die Evangelien der Bibel haben ja ihre Aufmerksamkeit dem Stand der Pharisäer und Schriftgelehrten gegenüber so sehr ausgeweitet, daß man sich oft fragt, was deren ständiges Auftreten eigentlich bewirken soll.

Die Christen haben sich darauf geeinigt, daß die Pharisäer eine beständige Mahnung auch an zukünftige Generationen von Gläubigen sein sollen, ihr Leben nicht in kalter Gesetzlichkeit und Menschenferne zu führen. Vielleicht steckt etwas Ähnliches im Negativmuster der Ungläubigen des Korans.

Sie werfen Mohammed vor, er lebe ein natürlich Leben, mit Essen und Trinken und Wandeln auf den Bazaren (Vers 8). Kräftige Erweise seiner Gottgesandtheit will man sehen, einen Klumpen Gold vom Himmel gefallen, einen von Gott herabgeworfenen Garten, um davon zu essen. Ja, wenn es ein Engel wäre, der einem den Koran vorliest, dann würde man glauben!

Alles das kann Mohammed nicht bieten, will es auch nicht. Er verkündet weiter unbeirrt den Gerichtstag Gottes – da wird das Reich des Erbarmers sein (Vers 28), ihm gehören, was aber im gleichen Atemzug bedeutet, daß es dies Erbarmen nur für die Gläubigen gibt, denn derselbe Vers sagt, und es soll ein Tag für die Ungläubigen sein, ein harter.

Ob es die Ungläubigen hören? Als selbst unter dem Vorwurf des Unglaubens stehend sage ich: mich würde es eher umstimmen, von der segensreichen Wirkung zu hören, die von der ins praktische Leben eingebrachten Unterscheidung ausgeht.

Mittwoch, 17. September 2008

Der Schutz der Privatsphäre

Sure 24: Das Licht

In dieser Sure wird erstmals ein echtes Gesetz verkündet. Wer seine Vorstellungen von heiligen Dokumenten an der Bibel orientiert, hat lange darauf gewartet. Du sollst nicht ist normalerweise nicht die Sprache des Koran. Hier wird nach meinem Eindruck eine Ausnahme gemacht, und es wird auch bald deutlich, warum.

Das Gesetz (Eine Sure, die wir herabsandten und zum Gesetz erhoben. Vers 1) lautet im ersten Satz: außerehelicher Geschlechtsverkehr ist strafrechtlich verboten. Aber es läuft sehr bald auf ein zweites Thema hinaus: die üble Nachrede, es habe außerehelicher Verkehr stattgefunden, ist ebenfalls strafrechtlich verboten, und dann, als drittes, bricht es aus dem Propheten ganz konkret heraus: Warum seid ihr der Lüge nicht entgegengetreten? (Vers 12)

Es ist eine allbekannte üble Nachrede gemeint, die dem Propheten bis heute schadet: er halte es mit der Kontrolle seiner sexuellen Begierden nicht so genau und sein Hausstand sei ihm darin gleich. Zwei konkrete Verfehlungen nennen meine Kommentare: die Ehe Mohammeds mit der geschiedenen Frau seines Stiefsohnes Said bin Haritah und das nächtliche Alleinsein seiner Lieblingsfrau Ayscha mit einem fremden Mann. Für beides wurden dem Propheten offenbar Vorhaltungen gemacht, deren Zielsetzung klar war, es sollte seine moralische Integrität in Frage gestellt und damit sein Führungsanspruch in Zweifel gezogen werden.

Seine Antwort ist menschlich gesprochen eine donnernde Gesetzesverschärfung. Auf außerehelichen Geschlechtsverkehr steht ab sofort eine öffentliche Strafe, Peitschenhiebe! Das betrifft ihn natürlich auch selbst: wenn je bei ihm und in seinem Haushalt etwas Ähnliches vorfiele, gäbe es keine Gnade. Aber sofort heißt es dann aber auch: wehe denen, die in dieser Beziehung Gerüchte streuen, ihnen wird es nicht besser gehen. Peitschenhiebe auch für sie!

Im späteren Verlauf bleibt die Sure beim Problem der sexuellen Beziehung von Mann und Frau und nimmt sich deren Kern vor: der Austausch von körperlichen Reizen. Hier wird die Sure sozusagen präventiv und schränkt die Möglichkeiten ein, daß Männer und Frauen Reize austauschen oder sich in verfänglichen Situationen begegnen. Die gläubigen Frauen sollen ihre Reize nicht zur Schau tragen (Vers 31), sie sollen einen Schleier über ihren Busen schlagen und ihre Reize nur einem begrenzten Teil von Menschen zeigen – einem Kreis, der in westlichen Gesellschaften in etwa unter das Inzestverbot fallen würde. Nichten und Neffen etwa dürfen eine gewisse Nacktheit der Tante sehen, das schadet nicht.

Zu den Tageszeiten, in denen sich Menschen für gewöhnlich weitestgehend entkleiden, und die in Vers 57 genau bezeichnet werden, sollen selbst die eigenen Kinder und die Sklaven das Zimmer nicht ohne Anklopfen betreten, bzw. ohne eine vorherige Frage.

Der Schleier wird hier eingeführt, allerdings zunächst wohl als Schleier über dem Busen (Vers 31), der in vorislamischen Zeiten laut meinem Kommentar nur durch ein dünnes Hemd bedeckt war. Wie auch immer, daß man seine Reize nicht zur Schau tragen sollte, ist eine verständliche, wenn auch heute in westlichen Kulturen weitestgehend unbekannte Lebensregel. So, wie sie hier dargelegt wird, begründet sie nach meinem Verständnis keine drakonischen Vermummungsregeln für Frauen. Ein gute Portion Dezenz, wenn man es nüchtern sieht, nicht mehr und nicht weniger.

Dienstag, 16. September 2008

Der andere Teil

Sure 23: Die Gläubigen

Wohl ergeht es den Gläubigen, so beginnt diese Sure und faßt zu Beginn noch einmal das zusammen, was die Gläubigen ausmacht: das Gebet (in dem man sich demütigt), die Armenspende, das Hüten der Zunge und der anvertrauten Dinge, und schließlich eine Keuschheit, die zunächst mönchisch wirkt – sich der Frauen enthalten (Vers 5) – dann aber nach einer Schrecksekunde in Vers 6 doch diejenige Frau, ja diejenigen Frauen benennt, derer man sich glücklicherweise nicht enthalten muß.

In den Versen 12 bis 14 wird die Erschaffung des Menschen aus reinem Ton geschildert und Gottes Schöpfermacht gepriesen, es wird an das Sterben erinnert und, wie so oft im Koran, an die Auferstehung der Toten. Von Vers 17 an wird die gesamte äußere Schöpfung gepriesen, auch hier mit einem vielfältig im Koran vorkommenden Motiv, dem wundersamen und segensreichen Weg, den das Wasser geht.

Allerdings ist das Thema der Gläubigen mit Vers 22 abrupt zu Ende, und es erscheint Noah mit seinem Prophetenamt, das darin besteht, den Ungläubigen zu predigen. Diese Ungläubigen beherrschen thematisch die kompletten restlichen Verse 23 bis 118. Sie, der andere Teil der Menschen im Blickfeld des Propheten, sind offenbar wieder einmal in der Überzahl.

Hier und an vielen anderen Stellen beansprucht der Unglaube der Menschen offenbar das vollständige Interesse des Koran – nicht der Glaube. Wenn man hierfür eine vordergründige Absicht in der Themenwahl vermuten will, dann kann diese Absicht nur in der Tröstung des Propheten über den seine Kräfte verzehrenden Widerspruch bestehen – oder eine Botschaft für die Ungläubigen sein. Ich halte letzteres für weniger wahrscheinlich, weil es einem Ungläubigen nicht hilft, wenn man ihm etwa vom Unglauben der Zeitgenossen Noahs (Vers 24) berichtet.

Die Absicht ist wohl eher ein Wort an den Propheten, zu seiner Stärkung. Es macht den späteren Leser, der also einem Dialog zwischen Gott und dem Propheten zuhören darf, zu einem privilegierten Dritten, zu einer Art Lauscher, der Dinge hören darf, die eigentlich nicht für seine Ohren bestimmt sind.

Über die Ungläubigen wird in dieser Sure dreierlei bekannt, das ich bemerkenswert finde: Sie leugnen einerseits die Auferstehung (Vers 37), sie zerstückeln außerdem die „eine“ Wahrheit und bilden Splittergruppen (Zerrissen ihre Sache untereinander in Sekten; Vers 55) und reden schließlich viel achtloses Zeugs (schwatztet Unsinn in nächtlichem Geplauder; Vers 69).

Das Thema der Sekten kommt auch in früheren Suren vor, als Vorwurf besonders für die Juden, die ansonsten ja eigentlich alles richtig gemacht haben mit ihrem strengen Monotheismus. Offenbar soll man auch das Hochhalten von Lehrmeinungen, das am Ende zu Spaltungen und zu neuen Glaubensgemeinschaften führt, als etwas ansehen, das dem einen Gott neue Götter beigesellt, Gefährten, wie der Koran sagt und dies als eine der Ursünden darstellt..

Samstag, 13. September 2008

Im Haus Abrahams

Sure 22: Die Pilgerfahrt

Was ist der Sinn der Pilgerfahrt nach Mekka? In dieser Sure wird einiges dazu gesagt. Das wichtigste davon erscheint eher in einem Nebensatz. In einer Passage mit den Opfervorschriften, nach denen Kamele geschlachtet und verspeist werden (die Armen nehmen am Essen teil), wird über die Mekka-Pilger gesagt: Laß sie zu dir kommen […] auf daß sie Zeugnis ablegen von den Vorteilen, die sie davon haben. (Vers 29)

Zwei Motive kommen hier zusammen, die sich auch in der Bibel finden: das zeugnishafte Bekenntnis zu seinem Glauben und die Erwartung, daß Gott die Gläubigen auch auf Erden materiell segnet. Denen hilft er, die […] das Gebet verrichten und die Armenspende entrichten und das Rechte gebieten und das Unrechte untersagen (Vers 42). Das ist ein irdisches Versprechen für die Frommen. Zwar wird im Koran nach meinem Eindruck insgesamt mehr auf den himmlischen Lohn verwiesen als auf den irdischen, aber auch auf der Erde wirkt Gottes Vorsorge sich positiv auf das Wohlergehen der Gläubigen aus.

Was sollen sie tun, um sich dieser Vorsorge sicher zu sein? Das Gebet verrichten und die Armenspende entrichten und das Recht einhalten! So wird es in Vers 42 gesagt – und es durchzieht den ganzen Koran. Wenn man danach fragt, was dieses Recht ist, dann findet man erstaunlich wenig konkrete Antworten – außer einigen Sondervorschriften wie etwa in Sure 4 über das Erbrecht und das Recht der Witwen und Waisen.

Dieser Mangel hat einen Sinn. Der Koran setzt offenbar eine Art Naturrecht voraus, von dem jeder Mensch einen Begriff hat. „Gewissen“ würden wir im Deutschen sagen, es ist vermutlich kein Wort, das man im Koran finden wird, aber es drückt etwas dem Koran Verwandtes aus.

In Vers 66 gibt es ein Gebot über die Sitten und Gebräuche anderer Völker, denen der Prophet die Lehre von dem einen und einzigen Gott verkünden wird: Jedem Volk gaben wir Gebräuche, die sie beobachten, drum laß sie nicht mit dir hierüber streiten sondern rufe sie zu deinem Herrn. […] Streiten sie jedoch mit dir, so sprich: ‚Gott kennt am besten euer Tun. Er wird richten zwischen euch […]’ Offenbar sollen dem Propheten die natürlichen Vorstellungen von Recht und Unrecht genügen, die das fremde Volk bereits hatte, bevor ihm der Prophet seine Botschaft überbrachte. Das Endgericht Gottes wird jeden nach seinen Sitten und Gebräuchen beurteilen.

Im Ergebnis finde ich im Koran bislang nichts, was den Zehn Geboten der Bibel in irgendeiner Weise ähnlich wäre. Es entsteht der Eindruck, daß man solche Gesetze zu Mohammeds Zeiten als bekannt voraussetzen konnte* und jetzt nur noch den Dreiklang von Einem Gott, der Verrichtung des Gebets und der Armenspende als neue Inhalte der Prophetenpredigt hören sollte.

Und dazu natürlich die Pilgerfahrt! Ihr Ziel ist das Haus Abrahams, das Gott ihm zur Wohnung gab (Vers 27), die Kaaba. Abraham wäre demnach viele Tagereisen weit aus Palästina nach Süden gewandert, nicht nur nach Ägypten, wie die Bibel berichtet, sondern auch weit hinein in das Innere der Arabischen Halbinsel, und hätte dort im steinernen Tal die Kaaba als Haus zugewiesen bekommen, er, der Zeltbewohner.

Damals, in Abrahams Zeiten, hat Gott nach der Vorstellung des Korans die Gläubigen für sich auserwählt – mit einem Auftrag, den sie ohne Probleme erfüllen konnten: Er hat euch erwählt und hat euch in der Religion nichts Schweres auferlegt, nämlich die Religion eures Vaters Abraham. (Vers 77) Auch Abraham kannte, so kann man ergänzen, noch keine Zehn Gebote und begnügte sich mit der einfachen Anweisung: Ich bin der allmächtige Gott, El-Schaddaj. Wandle vor mir und sei fromm. (1. Mose 17,1)

*Herrn Öztaş werde ich bei unserem nächsten Treffen fragen, warum der Koran nicht deutlicher auf die alten Gesetze hinweist, wenn er sie doch offenbar als richtig und notwendig voraussetzt. Enthalten muslimische Bibliotheken die Bibel oder Teile davon?

Donnerstag, 11. September 2008

Ein gewitzter Abraham

Sure 21: Die Propheten

Mit dieser Sure bin ich in etwa bei der Mitte des Korans angelangt. Jedenfalls habe ich von der Seitenzahl meiner Koranausgabe die Hälfte des Buches erreicht. Eigenartigerweise findet sich gerade hier das nach meinem Kommentar einzige wörtliche Zitat aus der Bibel. Es ist ein Vers aus Psalm 37: Die Gerechten werden das Land besitzen (Vers 29). Im Koran heißt es: Erben sollen die Erde meine gerechten Diener (Vers 105). Nimmt man die dritte Seligpreisung aus Matthäus 5,5 hinzu, Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben, so ergibt sich ein eigenartiger Dreiklang von ähnlichen, im Ergebnis aber doch auch unterschiedlichen Aussagen.

Sicherlich wäre dieser Vers ein geeigneter Ansatzpunkt für ein Gespräch mit Vertretern aller drei Religionen.

Die Vorstellung des Korans über das, was ein gerechter Diener ist, wird auch in dieser Sure in Einzelheiten entwickelt. Sie erhält eine lange Aufzählung, ähnlich wie in Sure 4, in der die verschiedenen Propheten des Alten Testamentes und Jesus aufgeführt werden. Es beginnt wie häufig im Koran mit Mose, von dem hier gesagt wird, ihm und Aaron sei El-Furkan, die Unterscheidung, gegeben worden. Aber auch Abraham, vor ihm, wurde eine Rechtleitung offenbart, wie es in meiner alten Übersetzung von Henning schön heißt.

Woran hat man gesehen, daß Abraham ein Gerechter, ein Rechtgeleiteter gewesen ist? In Vers 73 wird über ihn und über Isaak und Jakob gesagt, daß sie in das Tun von Gutem und die Verrichtung des Gebets und das Entrichten von Almosen eingeweiht waren. Der Koran macht damit in gewisser Weise die bekannten moslemischen Vorschriften zu ewigen Ordnungen, die den Menschen schon sehr früh geoffenbart worden sind.

Eine wichtige Rolle hat in dieser Sure Abraham insofern inne, als von ihm eine Geschichte erzählt wird, die nicht in der Bibel enthalten ist, aber in ihrer witzigen Pointe auch den Juden und Christen gefallen kann.

Es wird erzählt, daß Abraham als junger Mann gegen die Verehrung von Götzen in seinem Heimatland opponiert. Er läßt es nicht gelten, daß bereits die Vorfahren diese Götzen verehrt haben und zerschlägt heimlich ihre Statuen. Listigerweise läßt er dabei die Statue des größten Götzen unversehrt und behauptet den erschrockenen Mitbürgern seiner Vaterstadt gegenüber, nicht er habe die Statuen zerschlagen sondern der große Götze habe es getan. Als man das in Zweifel zieht, fordert er sie auf, den Götzen doch einfach zu fragen. Aber der kann ja nicht reden! sagen die Leute und Abraham entgegnet: genau das habe ich euch ja immer sagen wollen.

Übrigens benutzt der Koran eine Erzähltechnik, welche die Aufmerksamkeit der Zuhörer offenbar genau im Auge behält. Er beginnt nach meiner Beobachtung oft mit Stellen, in denen lange und ausführlich erzählt wird, und endet mit Stellen, wo bekanntes Wissen nur gestreift wird. So wird am Ende der langen Ahnenreihe der Propheten auch Maria und Jesus erwähnt. Er sei ein Zeichen geworden für alle Welt wird in Vers 91 ehrfürchtig gesagt, aber sein Name wird nicht genannt. Er wird offenbar als bekannt vorausgesetzt.

Dienstag, 9. September 2008

Wer ist Es-Samiri?

Sure 20: Teha

Die zwanzigste Sure macht den Interpreten einige Mühe. Das beginnt mit dem Titel, der nur aus den Buchstaben T und H besteht. Man weiß ebensowenig, was das bedeutet wie bei den anderen Suren, die ebenfalls ihren Versen eine Kombination von Buchstaben voranstellen, A.L.M etwa bei der zweiten und bei vielen anderen Suren. Die Bedeutung dieser Buchstaben ist dabei immer unklar, vergleichbar dem „Sela“ in den Psalmen, über dessen Sinn man ebenfalls über die Jahrhunderte vergeblich spekuliert hat. Möglicherweise wurde beides durch die Arbeit eines Archivars hinzugefügt, der Ordnung in die ihm vorliegenden Papiere bringen wollte.

Noch schwieriger wird es mit dem später auftauchenden Mann namens Es-Samiri, der zusammen mit Mose und Aaron in der Geschichte vom Goldenen Kalb eine Rolle spielt.

Zu Beginn der Sure wird zunächst die Geschichte von Mose und dem Pharao erneut erzählt, diesmal mit der überraschenden Variante, daß sich die Zauberpriester Ägyptens am Ende zum wahren Glauben bekehren und die Überlegenheit anerkennen, die von Mose, Aaron und ihrem Zauber ausgeht.

Später, in der Wüste wird aber derselbe Aaron abfällig und läßt es zu, daß die Israeliten das Goldene Kalb verehren. Allerlei Zierat haben die Israeliten ins Feuer geworfen, wie sie Mose gegenüber zugeben, goldenen Schmuck also, und herausgekommen ist ein leibhaftiges blökendes Kalb (Vers 90), das nun also der Gott des Mose sein soll. Der Einwand des Koran gegen diesen Kalbgott könnte auch der Einwand der Bibel sein: sehen sie denn nicht, daß er ihnen nicht Antwort gibt und ihnen weder schaden noch nützen kann? (Vers 91).

Es-Simiri assistiert bei all dem, Mein Kommentar sieht in ihm, der das Volk in gewisser Weise mit dazu anstiftet, den Schmuck ins Feuer zu werfen, einen Doppelgänger des Aaron, der stellvertretend die Schuld übernehmen soll, die Aaron mit seiner nachlässigen Haltung der Abgötterei gegenüber auf sich lädt. Es-Samiri ist der Böse, Aaron der Gute und bleibt ein Prophet. Er ist zwar ab jetzt etwas angekratzt, aber die im Koran so wichtige Anerkennung als Prophet bleibt ihm.

Mir haben die Zauberpriester des Pharao imponiert, wie sie ihrem König ins Angesicht widerstehen und die Macht des Mose und seines Gottes anerkennen. Sie reden erstaunlicherweise – etwa 1500 Jahre vor unserer Zeitrechnung! – genau so wie die Moslems des Jahres 600 danach und wissen deshalb, daß aufgrund ihres Glaubens Edens Gärten auf sie warten, durcheilt von Wasserbächen (Vers 78) und nicht Dschehannah und ihr Gepfühl. Der Koran macht sprachlich keine Unterschiede zwischen den Gläubigen der Vorzeit und den Gläubigen heute, sie alle haben ein eindeutiges Offenbarungswissen und sprechen es deshalb auch auf gleiche Weise aus.

Sonntag, 7. September 2008

Der eine, einzige Gott

Sure 19: Maria

In einem Kommentar las ich, Mohammed habe in seinen ersten Jahren in Mekka gegen den Widerstand der Mekkaner den Tauhid gepredigt, die Lehre von der Einheit und Einzigkeit Gottes. So hat man offenbar den Kern seiner Lehre verstanden. Ahad ist im Arabischen die Zahl Eins, auf diesen Stamm geht auch Tauhid zurück, die Lehre vom „Eine-Eins-Sein“, um es einmal bewußt holprig auszudrücken.

Auch im Deutschen ist es sprachlich schwer, das eindeutig zu sagen, was wir mit „Monotheismus“ meinen. Dreierlei wird angesprochen, wenn wir Gott die Zahl „Eins“ zuordnen. Erstens ist er allein* (und hat keine gleichwertigen Götter neben sich), zweitens ist er in sich eins (und kein Doppelwesen, d.h. zumindest von Natur aus auch keine Trinität), drittens ist er der erste** (in Bezug auf unsere Verehrung).

Wer in dem Gedanken an die oneness Gottes eine Selbstverständlichkeit oder gar eine Tautologie sehen möchte, kann bei Jack Miles nachlesen, wie komplex der an sich ein-fache Gedanke an den einen Gott werden kann, wenn man ihn in der Geschichte des auf diesen Gedanken eingeschworenen Volkes Israel verfolgt. Ein Gott, der einerseits beansprucht, den Himmel und die Erde geschaffen zu haben, sich andererseits aber auch in das Wohl und Wehe einer Handvoll Schafhirten in Palästina einmischt und über ihrem Geschick eine wechselvolle Führerschaft ausübt, muß sich zwangsläufig der Frage aussetzen, ob es wirklich ein- und dieselbe Instanz ist, die großes Glück beschert, später aber das große Unglück nicht zu verhindern hilft.

Jack Miles sieht in der Geschichte der Israeliten und später in ihrer Wirkung, in dem Spiegel, den sie allen, die darin lesen, auf Jahrhunderte vorgehalten hat, ein Bild des Menschen, der sich im Charakter Gottes wiederfindet und seine eigenen wilden Widersprüche mit der Hilfe des Gottesspiegels miteinander versöhnt.

Die Polytheisten haben es leichter, mit ihrem Himmel voll heller und dunkler Gottescharaktere. Entsprechend lehren sie einen Weg zur Charakterbildung der, grob vereinfachend gesagt, die Widersprüche eher zum Schweigen bringt als zu einem konstruktiven Ringen miteinander. Im Nirwana laufen alle Wellenberge und –täler zu einem großen kosmischen Mantra-Summen ineinander, da ist alles gleich, weil alles gleich gilt.

Vor dem Hintergrund der Überlegungen von Jack Miles gehören die Moslems mit hinein in das von immer weniger Leuten besetzte Boot, in dem die ausharren und rudern, die an einer Einheit hinter der Vielfalt festhalten. Die moderne Physik ist gegen sie, sie hat zuerst den Glauben an eine einheitliche göttliche Macht hinter den sichtbaren Dingen in Frage gestellt. Es kam dann noch schlimmer, denn mittlerweile lehren prominente Physiker*** wohl offenbar auch, daß es überhaupt keine einheitliche innere Macht hinter den äußeren Phänomen gibt und daß selbst der Gedanke an einen Urknall immer noch ein Rest von Monotheismus ist, den es zu überwinden gilt.

Ob sich die Menschen der drei „Religionen des Buches“ verschwören sollten, dem allem entgegenzutreten? Ich weiß es nicht. Zumindest sollten sie wissen, daß sie alle drei im Tauhid untereinander verbunden sind. Das gilt, auch wenn sich der jeweilige Eine Gott in der eigenen Religion in einem solchen Maße andersartig äußert als in den beiden anderen, daß nicht daran zu denken ist, hinter allem stehe ein- und dieselbe Person. Nicht Gott verbindet uns, aber die gemeinsame Blickrichtung unserer Suche.

P.S. In der heutigen Sure wird der Tauhid anhand der Geschichte der Maria erläutert. Nein, Gott hat keinen Sohn, dem man ihm – Abweichung vom reinen Monotheismus! –
beigesellen könnte. Aber es ist dem Koran sichtbar ein Anliegen, die Einzigartigkeit des großen Propheten Isa / Jesus nicht herabzuwürdigen. Deshalb wird zur Zeugung Jesu unser Geist entsandt, und er erschien ihr als vollkommener Mann (Vers 17).

Zu einer direkten Begegnung mit Maria kommt es dann allerdings nicht, Gott schafft Jesus in Marias Schoß durch sein Wort allein.

Die Katholiken lassen den vollkommenen Mann noch einen Schritt nach vorne tun. Ich bin kein Katholik und habe mich nie mit Fragen der unbefleckten Empfängis beschäftigt. Aber hier finde ich mich intuitiv doch auf Seiten der Katholiken. Ein Schritt mehr, nur ein einziger…


*das ist nach meinem Verständnis das auch sprachlich dem Arabischen verwandte JHWH ächad, der HERR allein, aus dem Schmah Jisrael, dem israelische Glaubensbekenntnis aus 5. Mose 6: Schmah Jisrael, JHWH elohenu, JHWH ächad. Höre Israel, der Herr ist dein Gott, der Herr allein (und du sollst den Herrn, deinen Gott lieb haben…)

** dies wiederum entspricht dem erneut gleichlautenden ächad in 1. Mose 1: Nach der Schöpfung von Himmel und Erde wird zusammengefaßt: es wurde Abend, es wurde Morgen, jom ächad, Tag Eins, erster Tag.

*** Interview im Spiegel mit (füge ich noch ein)

Mittwoch, 3. September 2008

Siebenschläfer

Sure 18: Die Höhle

Diese Sure überrascht mit der lebensfrischen Erzählung einer alten christlichen Legende: im Römischen Reich schlafen sieben fromme Jünglinge zur Zeit der Christenverfolgungen in einer Höhle ein, werden nach zwei oder drei Jahrhunderten wieder wach und stellen staunend fest, daß im Reich mittlerweile der neue Glaube an den Gott der Christen den Sieg angetreten hat.

Die Kunde von den Jünglingen in der Höhle muß sich um das Jahr 500 herum wie ein Lauffeuer im Mittelmeerraum verbreitet haben und war etwa 100 Jahre später zur Zeit Mohammeds offenbar auch den Arabern in Mekka geläufig, denn ihnen sagt der Koran ein wenig spielerisch: was hat es mit dem bekannten Streit auf sich, wie viele Jünglinge tatsächlich in der Höhle waren? Drei, fünf, wie viele? Und Mohammed kann auf sein vom Himmel kommendes Wissen verweisen und sagen: Mein Herr kennt am besten ihre Zahl, nur wenige wissen sie. Immerhin teilt er die genaue Zahl der Höhlenjahre mit: dreihundert Jahre und noch neun dazu.

Die Christenheit hält sich an die Zahl sieben, was die Schläfer in der Höhle betrifft, und erinnert sich bis auf den heutigen Tag regelmäßig an diese heiligen Jünglinge – und zwar immer am 27. Juni, dem Siebenschläfertag, an dem das Wetter dann, wenn die Bauernregel sich bestätigt, ebenfalls in eine Art Schlaf tritt und sich über sieben Wochen nicht mehr verändert.

Warum der Koran die Geschichte erzählt, dafür kann es mehrere Gründe geben. Ich sagte schon, daß Mohammed anhand der Kenntnis von Details auf sein himmlisches Wissen verweisen kann. Außerdem ist das Ausharren in einer Verfolgung natürlich immer vorbildlich, besonders wenn man von den Polytheisten um des Glaubens an den Einen Gott willen verfolgt wird, wie es im römischen Reich der Fall war. Im christlichen Raum soll das Beispiel der wieder zum Leben erweckten jungen Männer außerdem dem Glauben an die Auferstehung einen starken Auftrieb gegeben haben, auch das wäre im Sinne des Koran.

Wie auch immer – hier wird eine Geschichte aus der Kirche der ersten Jahrhunderte lebendiger und detailgenauer erzählt als das meiste, was der Koran aus der Bibel übernimmt. Das könnte die These unterstützen, daß Mohammed weder das Alte noch das Neue Testament gekannt hat, dafür aber eine reiche mündliche Tradition von jüdischen und christlichen Erzählungen, teilweise aus den ersten christlichen Jahrhunderten, der Zeit nach Jesus.

Vielleicht sollte man Augustinus (geboren und im Jahre 430 gestorben im heutigen Algerien) lesen, um den Koran in seiner Entstehungszeit besser zu verstehen.

Montag, 1. September 2008

Meine besten Wünsche zum Ramadan



Lieber Herr Öztaş,

vielleicht mache ich Ihnen eine Freude, wenn ich Ihnen zum heutigen Beginn des Ramadan einen von mir ausgesuchten Vers aus einer Sure schicke und Ihnen etwas dazu schreibe. Als Christen grüßen wir uns häufig mit Bibelversen untereinander, warum sollte etwas Ähnliches nicht auch über die Grenzen der Religionen Freude bereiten?

Für Sie ist dieser Monat ja gleichbedeutend mit einem spirituellen Weg, in dem Sie sicherlich auch Teile des Korans neu lesen und erleben werden. Hier ist aus meinem gestrigen Leseabschnitt, der Sure 18 (Die Höhle), der Vers 110:

Sprich: "Ich bin nur ein Mensch wie ihr, doch mir ist es offenbart worden, daß euer Gott ein einiger Gott ist."

Vor Jahren habe ich das Buch eines Mannes gelesen, der die großen geistigen Leistungen derjenigen Menschen beschrieben hat, die gegen die Verlockungen des Polytheismus den Glauben an den Einen Gott hochgehalten haben. In seinem Buch erzählt der Autor die ersten Kapitel der Bibel so nach, wie sie ein Polytheist sehen würde - ein Lichtgott, der die Menschen erschafft, ein Finsternisgott, der sie verführt, eine Urschlange, die die Sintflut herbeiführt etc. Und er sagt: das alles ist eine sehr einfache Geschichte!

Schwierig wird es dagegen, sagt er dann, sich die Welt als Schöpfung eines einzigen Wesens vorzustellen, welches eine Reihe von Grundwidersprüchen der Schöpfung als Person in sich vereint und sagt: hinter dem allen steht nur einer, ich allein.

Gott in seinen vielen Gestalten zu sehen und ihn trotzdem als den Einen zu erkennen, das ist schwer. Aber es ist gleichzeitig eine ewige Einladung an jeden Menschen, auch die Widersprüche der eigenen Person ins Auge zu fassen und sie miteinander zu versöhnen.

Wie Sie sicherlich wissen, steht seit Wochen das Buch von Richard David Precht "Wer bin ich - und wenn ja wie viele?" an der Spitze der Bestsellerliste. Man könnte den Titel als Verführung zum Polytheismus verstehen - wenn ich mich selbst als "Viele" verstehe, wie kann ich Gott dann noch als Einen begreifen? Man kann aber auch sagen - und daß ist jetzt mein Wunsch für Sie für diesen Ramadan 2008: daß uns der Spiegel des e i n e n Gottes vorgehalten wird, damit wir in den Widersprüchen unserer eigenen Existenz, in der Gefahr, v i e l e zu sein, ebenfalls dazu gelangen e i n Mensch zu werden.

Liebe Grüße, die besten Wünsche
Ihr Christian Runkel