Sonntag, 21. September 2008

Lücken, offen und gefüllt

Sure 27: Die Ameise

In den Erzählungen des Koran gibt es immer wieder rätselhafte Lücken, so auch in der Geschichte der Ameise aus dieser Sure. Es wird zunnächst die Klugheit eines dieser kleinen Tiere vorgestellt, das beim Anrücken der Armee des Königs Salomo seine Genossen warnt: O ihr Ameisen, geht hinein in eure Wohnungen, auf daß euch nicht Salomo und seine Heerscharen zermalmen! (Vers 18)

Diese Worte hört - eigenartige Wendung der Geschichte - der König Salomo, und er lächelt. Daß er die Rede der Ameisen verstehen kann, ist einer der vielen bewunderungswürdigen Kenntnisse des weisen Königs. Zuvor war bereits berichtet worden (Vers 16), daß er auch die Sprache der Vögel beherrscht. Nun hört er die Worte der Ameise, lächelt - und spricht Gott an und bittet ihn um den göttlichen Antrieb deiner Gnade zu danken (Vers 19) und einiges Demütige mehr.

Nichts davon steht im Zusammenhang mit der Rede der Ameise. Mein Kommentar von Searchtruth berichtet allerdings von einer jüdischen Legende, die das fehlende Stück enthält: Salomo habe nämlich, so erzählen es sich die Juden untereinander, verächtlich zu der Ameise heruntergeredet, aber die habe ihm ebenso verachtungsvoll erwidert: was bist du schon? Das Ergebnis eines Samentropfens! Dieses Stück fehlt im Koran, es macht aber klar, warum Salomo lächelt und warum er im Anschluß ein demütiges Gebet spricht.

Die Pointe der Searchtruth-Interpretation ist nun, daß der Koran es demnach besser als die Juden macht, indem er die "schmutzigen Flecken" auf dem Bild reinigt, das sich die Juden von einem ihrer Propheten gemacht haben. Propheten sprechen nicht verachtungsvoll mit Kreaturen Gottes! Und Salomo ist ein Prophet.

Für mich und meinen Dialog mit Herrn Öztaş, der im Moment sehr intensiv parallel zu diesem Blog weitergeht, wird hier etwas deutlich, was wir schon früher gemeinsam festgestellt haben: mein dialektisches Bild der Bibel ist auf den Koran nicht anwendbar. Die Bibel will die menschliche, manchmal unangenehme Wahrheit über die Bannerträger der großen Versprechungen Gottes zeigen, wie etwa bei David und Salomo, also auch die Kehrseite ihrer Charaktere. Sie will sogar in Extremsituationen (wie bei Hiob und beim Kreuzestod Jesu) offen auch von der Kehrseite der Gnade Gottes reden dürfen. Nichts davon darf man im Koran erwarten, hier regiert der reine Glaube.

Reine Schönheit regiert manchmal auch - wie in Vers 44. Da kommt die legendäre Königin von Saba zu Besuch in den Palast des Königs Salomo, auch die Bibel berichtet davon. Sie ist durch einige Ereignisse im Vorfeld schon weitestgehend davon überzeugt, daß Salomo den richtigen Glauben besitzt (sie selbst und ihr Volk haben bislang nicht den wahren Gott sondern die Sonne angebetet), und ergibt sich endgültig dem neuen Glauben beim Anblick des prächtigen Palastes von Salomo.

Dieser Palast ist, für die Königin nicht sogleich erkennbar, über und über mit Glas und Spiegeln versehen, so daß die Königin für einen Moment annimmt, sie müsse durch Wasser gehen, um hineinzugelangen.

Hier läßt der Koran keine Lücke in der Erzählung. Im Gegenteil, er schmückt die Augentäuschung mit einer kleinen Geste aus, die davon zeugt, daß der Koran nicht als leibfeindlich angesehen werden kann: die Königin hebt in Erwartung des Fußbades ihren Rock hoch und entblößte ihre Schenkel (Vers 44). Die sagenumwobene Königin des Südreiches mit geschürztem Rock! Auch das ist ein Bild, das man aus einer Wanderung durch den Koran mitnehmen kann.

2 Kommentare:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Propheten sprechen nicht verachtungsvoll mit Kreaturen Gottes!

Den großen Weltreligionen wird häufig der Vorwurf gemacht, daß sie den Menschen zu sehr aus der Welt herausnehmen, ihn gegen den ganzen großen Rest stellen und insbesondere auch mit den Tieren, unseren kleineren Brüdern, wie der russische Dichter Jessenin sagt, wenig im Sinn haben. Ich teile diesen Vorbehalt, und es ist auch keine kleine Sache für mich, es vergiftet mir erheblich die Glaubenswelt.

Dies hört sich nun anders an, aber ich bleibe vorsichtig. Und tatsächlich, gerade gestern lese ich im Netz, in der islamischen Welt sei ein Glaubensstreit über Mickey Maus ausgebrochen. Der Koran habe das Töten der Mäuse empfohlen (doch wohl etwas weitergehend, als nur verachtungsvoll über sie zu sprechen) , und die Disneymaus erwecke falsche Sympathie für den Nager. Andere Schriftgelehrte würden das zurückweisen, allerdings nur, soweit die Comicfigur betroffen ist.

Nureddin Öztas hat gesagt…

Lieber Herr Runkel,
ich verstehe diesen Ayat in der Weise, daß Prophet Salomo (FSI) sich an der Intelligenz der Ameisen erfreute und deshalb sich auch an Gott mit dem Andacht, Gebet wandte, wie wundervoll seine noch kleinste Kunst funktioniert. Ich bin nicht auf ähnliche Deutungen gestossen wie Searchtruth. Manche Korandeuter meinen die Ameise soll, demonstrativ für alle Insekten verstanden werden und zweitens soll die Ameise auch unter den Insekten mit einer besonderen, lobenswerten Eigenschaft hervorgehoben werden. Diese Eigenschaft ist die Bildung von Staaten und Ihre Harmonie im Staat.
Aber Ihre Folgerung, daß der Koran die Propheten höher stellt, als es die Thora oder Bibel tun, ist korrekt. Genau wie der Begriff Gott im Islam mehr ist, ist auch der Begriff Prophet Im Islam mehr. Die Propheten werden definitiv nicht vergöttert, selbst der "Habibullah" (Liebster= Muhammed (FSI)) ...und Muhammed ist nur sein Diener und Überbringer. Aber er ist mehr als eine Prophetenfigur mit Mängeln aus der Bibel und Thora. Und diesen versucht der Koran zu berichtigen. Die Propheten im Islam folglich können nichts, selbst so kleines wie die Ameise nicht, abwerten und überheblich sein.
Mit freundlichen Grüßen,
Nureddin Öztas