Montag, 29. September 2008

Ismael oder Isaak?

Sure 37: Die sich Reihenden
Sure 38: S.

Gott allein weiß es, sagte der weise Koran-Kommentator Allama Ibn Kathir zu der Frage, ob der in Sure 37 zur Opferung ausgewählte und dann doch gerettete Sohn Abrahams nun Ismael war oder Isaak. Ismael war der älteste, aber er war doch "nur" der von der Magd Hagar geborene Sohn, dagegen war Isaak, der zweite, der von der Hauptfrau Sara stammende. Die Bibel berichtet von Isaaks, des Juden, Beinah-Opferung, der Koran legt dagegen Ismael, den Araber, nahe, auch wenn viele namhafte moslemische Ausleger der biblischen Version folgen. In ihren Augen ermöglicht der Koran beide Lesarten.

An vielen Stellen ist der Koran tatsächlich für unterschiedliche Auslegung offen, das ist angesichts der Vorurteile, die vielfach gegen eine monolithisch erscheinende Religion von Feuer und Schwert bestehen, für manche Christen sicher überraschend. Ich denke mittlerweile anders. Nach 415 von 575 Seiten Koran verfestigt sich in mir das Bild von einem in poetische Worte verfaßten Buch, das genauso wenig zur Herbeiführung eines mit dem Schwert erzwungenen Glaubens taugt wie die Psalmen oder die Evangelien.

Nein, der Koran ist wie jedes alte Menschheitsbuch und wie überhaupt jedes für ein großes Publikum geschriebene Buch offen für verschiedene Rezeptionen, für verschiedene Umsetzungen in vielgestaltiges, menschliches Leben. Man greift nach dem Lesen weder automatisch zum Pilgerstab und wandert nach Mekka noch greift man automatisch zur Waffe und kämpt gegen die Ungläubigen. Die häufigste Reaktion ist und bleibt - folgt man dem eigenen Zeugnis des Koran - der Unglaube.

Nach 415 von 575 Seiten ist aber vielleicht auch ein Wort über das angebracht, was der Koran n i c h t enthält und was ich als Christ mehr und mehr vermisse. Das sind vor allen Dingen die vielen grundlegenden Berichte der Bibel über das Handeln Gottes an den Menschen, die der Koran nicht erwähnt oder bewußt anders erzählt als ich sie aus der Bibel kenne.

Ein Beispiel habe ich schon erwähnt - in Sure 28 diskriminiert der Pharao eine "Gruppe" seines Volkes, die er zuvor herausgeteilt und mit einer schlechteren Rolle versehen hat. Es handelt sich um Moses Leute, aber es ist keine Rede von einem besonderen jüdischen Volk, ganz zu schweigen von einem Volk, daß sich Gott erwählt haben könnte. Entsprechend kommt es zu keinem Bundesschluß am Sinai, zu keiner spannungsreichen Geschichte zwischen einem allmächtigen, aber in seinem Erdenhandeln auf ein kleines Nomadenvolk beschränkten Gott, zu keinem Auf und Ab in den teilweise emotionalen Reaktionen Gottes.

Im Koran gibt es die Zehn Gebote nicht. Zwar sagt Herr Öztaş mir, daß der Koran vieles Biblische unausgesprochen enthält und daß der Hinweis auf die neun deutlichen Zeichen, die Gott dem Mose gibt (Sure 17, Vers 103) die Verpflichtung auf alle zehn Gebote mit Ausnahme des Sabbat-Gebotes enthält. Aber gerade das würde ich gerne mit Herrn Öztaş einmal länger besprechen. Ich würde ihn etwa fragen: was ist das Verständnis Gottes ohne einen Anklang an den Rhythmus seiner Schöpferarbeit, diese sechs Tage und dann die Ruhe am siebten?

Oder: was geht nicht alles verloren, wenn man das Gebot unerwähnt läßt, daß der Name Gottes heilig ist? Ich lese mit Ehrfurcht eMails eines israelischen Bekannten, der in Englisch G-d schreibt statt God, leise, still, fast flüsternd. Ich will keinem Moslem vorwerfen, daß er bei Gott schwört. Allah, Wallah, Tallah klingt es durch die orientalischen Abenteuergeschichten meiner Kindheit, aber das Ogottogott meiner eigenen Leute ist auch nicht besser. Da ist etwas verloren gegangen, was man besser bewahrt hätte.

Ich habe versprochen, den Koran mit Ehrfurcht zu lesen, dabei will ich bleiben. Aber nachdem ich drei Viertel gelesen habe, will ich doch auch vorsichtig sagen dürfen, was mir fehlt.

2 Kommentare:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Ich beobachte die Wanderungen durch den Koran – von welcher Warte aus? Ich bin kein eingeschriebener Christ und ein Moslem schon gar nicht. Ich lasse mich auf die säkulare Religion von Demokratie und Menschenrecht verpflichten, weiß aber, das reicht bei weitem nicht bis zu den fernen Horizonten. Die Welt, sei sie nun Gottes oder nicht, ist nicht nach unserem Maßstab. Die Säkulartheologen scheinen allerdings über ein besonders ausgeprägtes Gottvertrauen zu verfügen, so als habe der Gott, den sie vertrieben haben, ihnen die Welt wohlgeordnet zum gefahrlosen Spiel überantwortet. Traditionelle Gläubigkeit, wie es sie gab und noch gibt, scheint da die klügere Position.

Die fernen Horizonte, so denke ich, sollten nicht der Astrophysik überlassen bleiben, vielmehr sollte hier die Religion ihre primäre Aufgabe sehen. Den großen Weltreligionen wird das nicht leicht fallen, denn sie stammen alle aus einer Zeit, als auch der fernste Horizont noch ganz nah lag. Der deutsche Protestantismus scheint gänzlich verzagt zu haben und ordnet sich rückhaltlos der auf Demokratie und Menschenrecht beruhenden säkularen Religion der Immanenz ein und nach. Einsatz für die Schwachen dieser Welt, politische Einmischung, so klingt es aus den Synoden, darein setzt man seinen Stolz; das tun aber ungezählte andere auch, daran ist nichts auffällig Religiöses. Der Katholizismus steht etwas aufrechter da, jedenfalls in seinem vatikanischen Zentrum. Der Islam, mir auch nach der fortgesetzten Lektüre der Wanderungen weiterhin sehr fremd, scheint sich darauf zu versteifen, die fernen Horizonte lägen noch immer ganz nah, so wohl auch breite christliche Kreise in den USA.

Ich suche nach Spuren, auf Lücken in den Texten, die den Ausbruch in eine neuzeitliche Religiosität ermöglichen könnten, angemessen unserem Wissen über die Welt, das wir ja nicht wieder abstreifen können. „Nein, der Koran ist wie jedes alte Menschheitsbuch und wie überhaupt jedes für ein großes Publikum geschriebene Buch offen für verschiedene Rezeptionen, für verschiedene Umsetzungen in vielgestaltiges, menschliches Leben. Die häufigste Reaktion ist und bleibt - folgt man dem eigenen Zeugnis des Koran - der Unglaube.“ Ein Hund lief in die Küche, der einfache Unglaube reicht nicht bis zu den fernen Horizonten, der vertiefte Unglaube aber gerät ins Flimmern, ein Unglaube mit schwachen, allenfalls erahnbaren Konturen der Gläubigkeit.

Nureddin Öztas hat gesagt…

Lieber Herr Runkel,
folgender schöner Text scheint hier an dieser Stelle besonders zu passen:
Zivilisation und Konfusion der Konzeptionen
Geschrieben von Fethullah Gülen
Montag, 26 Juli 2004
In der Vergangenheit definierte man den Begriff Zivilisation als die Koexistenz von Menschen, die sich in einer Stadt, einer Region oder einem Dorf um humanistische Gedanken und Gefühle scharen und sich ihres Menschseins bewusst sind. Da die Menschen von Natur aus in Gruppen zusammenleben, haben sie auch von Beginn an in Gesellschaften gelebt, die bis zu einem gewissen Grade Zivilisationen darstellten. Eine wahre Zivilisation gründet sich sowohl auf eine Veredelung von Sitten, Gedanken und Gefühlen als auch auf die Kraft des menschlichen Willens. Obwohl einige dazu tendieren, Zivilisiertheit mit überwältigenden Fortschritten und Innovationen in Wissenschaft und Technik - von Zügen bis hin zu Raumschiffen, von breiten Straßen und hohen Gebäuden bis hin zu Dämmen und Kernkraftwerken, von Telekommunikationssystemen bis hin zur Elektronik - gleichzusetzen, handelt es sich bei diesen Dingen doch um nichts weiter als um Hilfsmittel eines bequemen und luxuriösen Lebens. Moderne Anlagen und Apparate können zwar dazu beitragen, das äußere Erscheinungsbild des Lebens zu „modernisieren, das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass dieses Leben tatsächlich auch zivilisiert ist. Eine Zivilisation ist ein Raum, der die Entwicklung des Potenzials des Menschen begünstigt. Und ein zivilisierter Mensch ist jemand, der sich in den Dienst seiner Gemeinschaft im Besonderen und der Menschheit im Allgemeinen stellt und all seine Gedanken, Gefühle und Fähigkeiten innerhalb dieses Raumes entwickelt und verfeinert. Daher darf man eine zivilisierte Lebensform nicht in Reichtum und Luxus, in einem komfortablen Leben in großen, reichlich ausgestatteten Häusern, in bestimmten technischen Errungenschaften oder in Massenproduktion und Massenkonsum suchen, die sämtlich Bestandteile materieller Freuden und physischen Wohlergehens sind. Vielmehr findet man sie in der Reinheit der Gedanken, in der Veredelung von Sitten und Gefühlen und in der Aufrichtigkeit von Ansichten und Urteilen. Eine zivilisierte Lebensform manifestiert sich in der spirituellen „Evolution" des Menschen und in seiner ständigen Selbsterneuerung mit dem Ziel der Erlangung wahrer Menschlichkeit und persönlicher Integrität. Diese machen den Menschen zum „besten Vorbild" der Schöpfung. Es sei darauf hingewiesen, dass eine solche zivilisierte Lebensform kein Kleidungsstück ist, das man in einem Geschäft kauft und sich dann überstreift - wie sie leider von einigen blinden Imitatoren des Westens oft verstanden wird. Nein, eher ist sie ein Bestimmungsort, den man auf dem Weg der Vernunft im Laufe der Zeit und unter bestimmten Umständen erreicht.
Zivilisiertheit ist nicht mit Modernismus gleichzusetzen. Während Erstere voraussetzt, dass der Mensch seine Ansichten, seine Denkweise und seine menschlichen Seiten immer wieder verändert und erneuert, gehören zum Modernismus der Wandel des ganzen Lebensstils, körperliche Vergnügungen und das Bemühen um ein angenehmeres Leben. Dies entspricht der Wahrheit, und dennoch wurden die jungen Generationen damit konfrontiert, dass man die beiden Konzepte miteinander vermengte und so Verwirrung stiftete. Zuerst lenkte man ihren Geist auf falsche Fährten, dann sorgte man dafür, dass ihr Glaube, ihre Sprache, ihr gemeinschaftliches Denken, ihre Moral und ihre Kultur immer weiter verfielen. Die Menschen im Westen, die sich mehr als alle anderen technischer Errungenschaften erfreuen, und die sogenannten Intellektuellen, die in den Ländern des Ostens in Erscheinung traten und sich selbst als zivilisiert und die anderen als Barbaren bezeichnen, haben sich, indem sie unterschiedliche Konzepte miteinander vermengten, schwer gegen die Begriffe Zivilisation und Kultur versündigt. Sie sollten doch wissen, dass Zivilisiertheit und Modernismus nicht identisch sind. Ein Intellektueller zu sein und einen Hochschulabschluss zu besitzen, sind zwei ganz unterschiedliche Dinge. Die Zahl wahrer Intellektueller, die nie an einer Schule gelernt haben, liegt keineswegs niedriger als die Zahl jener Absolventen einer Höheren Schule einer Universität, die es nicht geschafft haben, sich aus ihrer Unzivilisiertheit zu befreien. Der Missbrauch von Konzepten kann Trugbilder erzeugen, die lange Bestand haben und dazu führen, dass Begriffe wie Schwarz und Weiß, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Aufgeklärtheit und Unwissenheit, Intellektualität und Engstirnigkeit oder Zivilisation und Barbarei über einen sehr langen Zeitraum hinweg verwechselt werden.

Eine aufgeklärte Gemeinschaft, die sich von der Vermengung von Gedanken, Ausdrucksformen und Überzeugungen befreien kann, erfordert die Existenz einer Gruppe echter Intellektueller (wobei, wie bereits erwähnt, ein Intellektueller nicht unbedingt ein Akademiker sein muss). In jeder Gemeinschaft gibt es Menschen, die sich auf verschiedene Wissenschaftszweige spezialisiert haben. Aber die Aufklärung einer Gemeinschaft erfolgt nicht durch Menschen, die Physik, Chemie oder Biologie studiert haben, sondern durch jene echten Intellektuellen, die auf der Ebene des Geistes leben und sich ihrer Existenz in Seele und Verstand bewusst sind, weil sie ihre Willenskraft in den Dienst der Wahrheit stellen. Indem sie die Wahrheiten der Wissenschaften mit den göttlichen Eingebungen, die aus den unsichtbaren Welten stammen und eine unauslöschliche Quelle des Lichts bilden, verbinden, beleben sie ihre Seele und ihren Verstand immer wieder neu. Und mit den Botschaften, die sie verbreiten, ebnen sie auch der Wiederbelebung ihrer Völker den Weg. Nur auf den Anstrengungen dieser Intellektuellen lässt sich eine wahrhafte Zivilisation errichten.

Jede neue Zivilisation entsteht aus Bemühungen heraus, die auf einer einzigartigen Liebe und auf einem einzigartigen Glauben gründen. In Abwesenheit von Liebe und Glauben erübrigt es sich, von Zivilisation zu sprechen. Wenn es an Liebe, Glauben und Fleiß fehlt, und darüber hinaus auch noch autoritärer und repressiver Druck ausgeübt wird, führen selbst die Eroberung des Weltraums und die Entdeckung subatomarer Welten nicht zur Gründung einer Zivilisation.

Wenn es dem Großteil der Menschen einer Gemeinschaft an Glauben, Liebe, Fleiß und Verantwortungsgefühl mangelt, wenn die meisten Mitglieder dieser Gemeinschaft ihre wahre Identität nicht kennen und sich des Zeitalters und der Umwelt, in dem bzw. der sie leben, nicht bewusst sind und ein Leben ohne Ziele führen, dann kann diese Gemeinschaft nicht als zivilisiert bezeichnet werden - selbst wenn sie und all ihre Institutionen umorganisiert wurden, der Lebensstandard beträchtlich gestiegen ist und ihre Mitglieder ihren Lebensstil „modernisiert" haben. Denn es wurde ja schon wiederholt angesprochen, dass Zivilisiertheit ein intellektuelles und spirituelles Phänomen ist, das nichts mit Technologie, Kleidung, Aufmachung, Ausstattung oder Luxus zu tun hat. Das Blutvergießen, das Fortbestehen des Kolonialismus unter verschiedenen Namen, nicht enden wollende Massaker und Konflikte, die Unveränderlichkeit des Verhaltens des Menschen, die Grobheit der Umgangsformen, die Unaufgeklärtheit des intellektuellen Lebens, die Dominanz des Materialismus in Wissenschaft und Weltsichten - all diese und noch viele andere überall in der Welt anzutreffende Zeichen der Unzivilisiertheit beweisen ganz eindeutig, dass weder die „entwickelten" Völker dieser Erde noch ihre Nachahmer in puncto Entwicklung die wahre Zivilisation bereits gefunden haben.

Bedauerlich ist, dass die Intelligentsia der „Entwicklungsländer" ihren Völkern den falschen Glauben vermittelt hat, dass sie sich über die Modernisierung ihres Lebensstils - sprich: über die vollkommene Abhängigkeit vom Westen - zivilisieren könnten. Und genau das Gleiche hat der Westen ihnen stets eingeredet, um ihnen den Weg zu ihrer wahren Zivilisation zu versperren. Die westlich ausgerichteten Modernisten in jenen Entwicklungsländern haben sich nie davor gescheut, das auszuführen, was ihnen vom Westen eingeredet wurde. Durch konzertierte Angriffe auf Religion, Sprache und Denkweise ihrer Gesellschaften haben sie hundertmal mehr erreicht als das, was selbst Hunderte von Kreuzfahrerarmeen erreichen könnten.

Und dennoch: Trotz allem geben wir die Hoffnung nicht auf, dass die Welt erneut eine wahre Zivilisation hervorbringen wird. Die Zeichen dieser Zivilisation, die sich auf Glauben, Liebe, Wissen und universelle moralische Werte gründen wird, sind bereits am Horizont erschienen. Um diese heilige Vision Wirklichkeit werden zu lassen, müssen die jungen Generationen, die diese Angelegenheit längst in die Hand genommen haben, ihren Weg nur mit festem Glauben, außerordentlicher Willenskraft und einer immer stärker werdenden Entschlossenheit fortsetzen."