Dienstag, 30. September 2008

Sich beraten und sich standhaft wehren

Sure 39: Die Scharen
Sure 40: Der Gläubige
Sure 41: Erklärt
Sure 42: Die Beratung

Sure 42 fügt in das islamische Glaubensbekenntnis ein bemerkenswertes neues Element ein: die Gläubigen verrichten nicht nur das regelmäßige Gebet und geben die Armenspende, sie sind außerdem dadurch charakterisiert, daß sie ihre Angelegenheiten in Beratung untereinander erledigen (Sure 42, Vers 36).

Das versteht mein frommer Kommentar von Searchtruth durchaus in einem partizipatorischen, demokratischen Sinn: Männer und Frauen, Eltern und Kinder sind ebenso zu einer offenen Beratung ihrer Angelegenheiten untereinander aufgefordert wie Könige und Fürsten, die weise genug sind, ihre Berater frei und ohne Einschränkungen für das Volk reden zu lassen.

Wenn man diese Sure mit den Augen von Searchtruth liest, dann stehen von hier aus alle Türen für ein Leben in einer modernen, auf Gleichberechtigung und freiem Wahlrecht fußenden Gesellschaft offen.

Eine Einschränkung könnte sich allerdings durch den unmittelbar folgenden 37. Vers ergeben. Dort werden die Gläubigen außerdem als solche bezeichnet, die, wenn sie eine Unbill trifft, sich rächen (Übersetzung Henning). Das hört sich weniger demokratisch an, wird aber durch zweierlei Überlegungen eingegrenzt.

Zum einen schreiben viele andere Übersetzer sich verteidigen statt sich rächen, zum anderen schränkt gleich der nächste folgende Vers die Möglichkeiten der Verteidigung oder Rache stark ein: Die Vergeltung für eine Schädigung soll nur eine Schädigung in gleichem Ausmaß sein; wer aber vergibt und Besserung bewirkt, dessen Lohn ist sicher bei Gott. (Vers 38) Vergeltung ist erlaubt, aber wenn man es Gott recht machen will, dann geht man besser den Weg der Vergebung.

Searchtruth sagt, daß hier eine Standhaftigkeit gelehrt wird, die jederzeit vergeben kann, aber im Bewußtsein der eigenen Rechte und der eigenen Festigkeit niemals gezwungen werden kann, kleinlaut und feige aufzugeben.

Auch das ist also eine Haltung, welche in einer modernen Gesellschaft jederzeit willkommen sein dürfte.

Ich lese aus diesen Versen, daß man seinem moslemischen Nachbarn ein Grundvertrauen in Bezug auf seinen guten Willen entgegenbringen darf, in einer offenen, demokratischen Gesellschaft zu leben. Sein Koran enthält - wie meine Bibel - offene Türen für ein Leben in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

Daß sich in beiden Büchern auch Türen für eine enge Haltung öffnen können, sollte man wissen und nicht aus den Augen verlieren. Man muß sich aber nicht bei jedem Frommen, der einem begegnet, gleich davor fürchten.

3 Kommentare:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Wenn man diese Sure mit den Augen von Searchtruth liest, dann stehen von hier aus alle Türen für ein Leben in einer modernen, auf Gleichberechtigung und freiem Wahlrecht fußenden Gesellschaft offen.

Worüber ich mich in diesem Zusammenhang immer wieder ereifern kann sind zwei untereinander eng verwandte Dinge: Zum einem die Vorstellung, die Menschheit könne mit Demokratie und Gleichberechtigung in eine Art irdisches Paradies einfahren und zum anderen die offenbar breite Schicht von Leuten, die in der Reinheit ihres Herzens nicht verstehen können, warum nicht die Neandertaler gleich als gute Demokraten begonnen und stattdessen die Menschheit auf einen langen, überflüssigen und leidvollen Umweg geschickt haben. Die Demokratieversessenen sind dabei oft wenig anspruchsvoll, wird irgendwo in Afrika eine Wahlurne aufgestellt, gilt ihnen der Kontinent schon als gerettet. Auch Searchtruth ist offenbar genügsam in seinen Ansprüchen.

Man muß sich vor Augen halten, daß es Demokratie in einem anspruchsvollen, sozusagen reinen Sinn nicht gibt und auch kaum geben kann, und daß auch die real existierende Demokratie außerordentlich voraussetzungsreich ist. Unter anderem ist sie ohne große Mengen verschrifteter Kommunikation nicht denkbar. Als Menschen in dünnbesiedelten Räumen sich trafen und wieder auseinandergingen, konnte Demokratie im heutigen Sinne gar nicht in den Blick kommen, wie sollten kompliziertere Verabredungen haften? Die ersten größeren und großen Gesellschafts- und Staatsformationen konnten nur im Rahmen hierarchischen Machtstrukturen entstehen. Erst in den hierarchischen Hochkulturen ist Schrift entstanden. Die Macht, die dann demokratisch kontrolliert und eingeschränkt werden sollte, mußte es erst einmal geben. - Die menschlichen Schreiber des Korans konnten unmöglich an Demokratie denken, sofern der Koran das Wort Gottes ist, entfallen diese Beschränkungen natürlich. Gleichzeitig ist aber Gottes Ratschluß nach wie vor unergründlich, auch was Staats- und Gesellschaftsformen anbelangt.

Gerade in diesen Tagen können wir nicht übersehen, daß die beängstigende Finanzkrise auf dem Boden von Demokratie und Freiheit erzeugt wurde. Die Umweltprobleme, die sich vermutlich schon in absehbarer Zeit zu massiven und nicht behebbaren Umweltkatastrophen auswachsen werden, sind vom befreiten Menschen hervorgerufen. Und andererseits, nimmt in gesellschaftlichen Großstrukturen wie der EU die Demokratie qualitativ zu oder ab, nimmt sie in der globalisierten Weltgesellschaft zu oder ab an Qualität, unbeschadet der Frage, wie viele Menschen wie oft zu welchem Zweck Stimmzettel abgeben?

Demokratie ist nicht zuletzt auch die arrogante Annahme, es könne nach dem Willen des Menschen gehen auf dieser Erde. Demokratie sieht und will sich nicht von Gottes Gnaden. Sofern Gott im Koran von Demokratie gemurmelt haben sollte, hat er doch sein letztes Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen. Können wir uns den monotheistischen Gott als sogenannten guten, gar lupenreinen Demokraten vorstellen? In welche Urne wirft er seinen Stimmzettel?

Nureddin Öztas hat gesagt…

Lieber Herr Runkel,
Gewalt und Terror sind ein Makel der Menschheit, nicht des Islams wie es gepriesen wird:

Islam=Sicherheit und Vertrauen
Geschrieben von Die Fontäne, Oktober-Dezember 2001
Montag, 01 Oktober 2001
Wenn - wie zuletzt oft geschehen - Islam und Terrorismus auf eine Stufe gestellt werden, dann ist das sehr traurig. Denn die Fundamente des Islam basieren auf Frieden, Sicherheit und Vertrauen. Der Islam ist eine Religion der Toleranz und der Barmherzigkeit und bietet keinen Platz für unmenschliche Verbrechen, Attentate und andere Grausamkeiten.

Ein Grund für das negative Image des Islam ist, dass der Begriff ,Dschihad' zumeist nur unzureichend mit "Heiliger Krieg" übersetzt wird. Dschihad ist ein arabisches Wort, das ursprünglich mit ,sich bemühen', oder ,Anstrengungen unternehmen, um Not und Entbehrungen zu bewältigen' übersetzt wurde. Mit dem Islam erlangte es die Bedeutung ,sich auf dem Wege Gottes bemühen'. Der Dschihad stellt für den Gläubigen eine besondere Pflicht dar. Gerade weil er so wichtig ist, werden im Koran die Begriffe ,Dschihad' und ,Islam' praktisch gleichgesetzt.

Den Aussprüchen des Propheten zufolge hat der Dschihad zwei Seiten: Der größere Dschihad steht für den Kampf des Menschen gegen seine sinnliche Seele, fleischliche Gelüste und schlechte Neigungen.

Der kleinere Dschihad, der gewöhnlich als Kampf auf dem Wege Gottes verstanden wird, bezieht sich auf jede Handlung des Menschen, die um der Sache Gottes willen getätigt wird. Ob man spricht oder schweigt, lächelt oder ein griesgrämiges Gesicht macht, sich an einem Treffen beteiligt oder diesem fernbleibt - jede Handlung, die von Individuen oder Gemeinschaften getätigt wird, um das Los der Menschheit zu verbessern, wird als kleinerer Dschihad betrachtet. Dieser kleinere Dschihad beinhaltet auch die Ermutigung anderer, das gleiche Ziel - das Los der Menschheit zu verbessern - zu verfolgen. Einer von vielen Aspekten des kleineren Dschihads ist der Kampf auf dem Schlachtfeld.

Die Aufforderung zum Kampf, zum physischem Dschihad gegen die Ungläubigen, die von einigen extremistischen Gruppierungen so gern zitiert wird, bezog sich aber auf eine konkrete historische Situation, in der die Ungläubigen einen Feldzug gegen die Gläubigen führten, der zum Ziel hatte, die Religion zu vernichten. Der Befehl, in diesem Fall gegen die Ungläubigen zu kämpfen, diente der Selbstverteidigung und bezweckte, eine moralische Grundhaltung zu etablieren, die das Recht auf Religionsfreiheit untermauern und auf die ganze Bevölkerung ausdehnen sollte. Genau so versteht der Islam das Prinzip Es sei kein Zwang im Glauben. (2:256), genau so hat er es praktiziert.

Der Islam lehnt Zwang und Gewalt als ein Mittel zur Durchsetzung seiner Riten und Verpflichtungen ab - bei Muslimen wie auch bei Nicht-Muslimen. Auch einen Nicht-Gläubigen zum Glauben zu zwingen, wird vom Islam grundsätzlich missbilligt.

Der kleinere Dschihad umfasst nur dann auch den aktiven Kampf, wenn der Verteidigungsfall gegeben, d.h., wenn der Islam in einem bestimmten Fall konkret bedroht ist. Wann genau dieser Fall vorliegt, wird im islamischen Recht definiert, das grundlegende Rechte (usul) aufzeigt, die mit elementaren Pflichten für jeden Muslim verknüpft sind. Sekundäre Pflichten (furu) bauen auf dieses grundlegende Recht auf und schränken es nicht ein. Eine Be-schneidung der individuellen Rechte ist nicht vorgesehen. Das Recht auf Leben steht im Islam immer an erster Stelle.

Viele, die behaupten im Namen des Islam zu handeln, besitzen keine fundierten Kenntnisse über die verschiedenen Abstufungen im islamischen Recht. Sie deuten den Begriff ,Dschihad' einseitig als physischen Kampf und verbreiten so Hass, Terror und Angst.

Ihre Fehleinschätzungen und ihr Unwissen sind aber nicht dem Islam anzulasten. Die Religion des Islam darf nicht für terroristische Gewalttaten verantwortlich gemacht werden. Außerdem wäre es völlig falsch, den Anhängern dieser Religion pauschal Gewaltbereitschaft zu unterstellen. Das Herz eines wahren Muslims ist stets von Liebe und Mitgefühl gegenüber der gesamten Schöpfung.

O Allah! In der heutigen Zeit, in der Hass und Verbitterung wie Schichten der Finsternis in die Herzen der Menschen eingezogen sind, nehmen wir Zuflucht zu Deiner unendlichen Liebe und bitten inständig an Deiner Tür, dass Du die Herzen Deiner boshaften und mit-leidlosen Diener mit Liebe und menschlichen Gefühlen füllst!

Christian Runkel hat gesagt…

Zu Peter Oberschelp: der evangelische Theologe Eberhard Jüngel hat einmal so in etwa gesagt: die Demokratie ist keine Staatsform, die sich unmittelbar aus dem Glauben herleiten läßt, aber sie ist von den bekannten Staatsform diejenige, in welcher der Glaube am besten leben kann. Dies im Hinterkopf ging es mir in meinem post um die praktische Frage, ob ein im moslemischen Glauben erzogener Mensch in seinem Koran etwas findet, das Möglichkeiten für einen Frieden mit der Demokratie eröffnet. Ich habe die Demokratie als etwas Gegebenes angenommen, der Glaube fragt dann also nach seinem Platz darin.

Eine Demokratie, die sich als Maß aller Dinge ansieht, lehne ich genauso ab wie Du. Wer ein heiliges Buch nur deshalb akzeptiert, weil es an bestimmten Stellen die Ansprüche an political correctness erfüllt, versteht das Wesen heiliger Bücher nicht. Leider wird die Bibel heute vielfach mit einer solchen Brille gelesen und dann nur noch auf Feindesliebe und Seid-nett-zueinander reduziert.

Nein, Gott ist kein Demokrat, da bin ich mit Dir einig. Aber er tut seinen Kindern Gutes, wenn er sie in einigermaßen geordneten demokratsichen Verhältnissen leben läßt.