Dienstag, 7. Oktober 2008

In fremden Gärten

Sure 62: Die Versammlung
Sure 63: Die Heuchler
Sure 64: Der gegenseitige Betrug

Der Titel der Sure 64 At Taghabun ist offenbar schwer ins Deutsche zu übertragen. Der Übersetzer Rassoul hat "Die wechselseitige Ab- und Zunahme" gewählt, Henning mit seiner Vorliebe für farbige Formulierungen schreibt "Der gegenseitige Betrug". Richtig ist an beiden Versionen, daß der Tag des jüngsten Gerichts als ein Tag des Ausgleichs zwischen Guten und Bösen angesehen wird, in dem tatsächlich den einen das weggenommen wird, was den anderen zusteht, und umgekehrt. Vielleicht sollte man modern "Die Transaktion" übersetzen und damit die negative Assoziation verhindern, die das Wort Betrug mit sich bringt.

Allerdings legt auch der wie immer ausführliche und einleuchtende Kommentar von Searchtruth an dieser Stelle nahe, daß es zumindest einige Lesarten gibt, welche den für viele überraschend kommenden Tausch der Plätze in Himmel und Hölle wie ein falsches Geschäft erscheinen lassen, eben wie einen Betrug.

Ich halte mich hier nur aus einer gewissen Beharrlichkeit weiter an der Henning-Übersetzung, es ist bei Wanderungen wie dieser besser, wenn man nicht ständig springt. Was allerdings mein Urteil über die Korrektheit der Überlieferungen und meine Kritik an einzelnen Auslassungen und Zufügungen des Korans betrifft, so will ich in Zukunft vorsichtiger sein als bisher. Ich befinde mich da, wie ich mehr und mehr verstehen lerne, in einem fremden Garten.

So hat meine voreilige Erwähnung der angeblich weggelassenen Verse in Sure 53 Herrn Öztaş nicht gefallen, ich habe mich bei ihm dafür entschuldigt und tue es hier nochmals. Er empfindet sie als Diffamierung seines Glaubens und ich folge ihm darin. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß sowohl Searchtruth in einem Kommentar zu Sure 22 als auch Wikipedia in einem Artikel über die Frage dieser Verse seriöse islamische Quellen zitiert, welche zumindest das Gerücht in die Welt gebracht haben, Mohammed habe sich - möglicherweise sogar aus Versehen - an einer bestimmten Stelle einmal zu gunsten dreier polytheistischer Gottheiten geäußert.

Ohne in den Streit darüber eingreifen zu wollen, kann klar gesagt werden, daß es sich um einen Gedanken handelt, der im krassen Gegensatz zu allem steht, was Mohammed sonst gepredigt hat. Nun ergreife ich hier allerdings auch im eigenen Interesse die Partei der in ihren Gefühlen gekränkten Moslems*, denn auch manches an meinen Gefühlen wird angegriffen, wenn es umgekehrt die moslemischen Gelehrten allzu bunt mit der Bibel treiben. Auch sie sollen, wenn sie in meinem Garten arbeiten, den nötigen Respekt erkennen lassen.

Um es konkret zu sagen werbe ich dafür, die Prophezeiungen über den Propheten aus Deuteronomium (5. Mose) 18, Vers 15 und folgende - Einen Propheten wie mich (Mose) wird dir JHWH, dein Gott aus deiner Mitte, aus deinen Brüdern, erstehen lassen - nicht vorschnell den Juden und Christen streitig zu machen und auf Mohammed zu übertragen. So tut es der von mir sehr geschätzte moslemische Theologe und Philosoph Fethulla Gülen (siehe Herrn Öztaş Kommentar zu Suren 58 - 61, der Gülen zitiert).

Ich lade ein, das einleitende Kapitel zum Buch des Papstes über Jesus, das im vergangenen Jahr erschienen ist, in seiner schönen, anschaulichen Sprache zu lesen**. Hier wird auf wenigen Seiten entfaltet, warum man Jesus nur versteht, wenn er als der Moses-Nachfolger und -Vollender begriffen wird. Vielleicht wird man es eines Tages als das Geschenk der Christen an alle Welt ansehen, daß sie es gewagt haben, zu glauben, Gott könne die unendliche Distanz zwischen ihm und den Menschen dadurch aufheben, daß er erneut einen Freund erstehen lassen würde wie es Mose einer war***.

Dieser Freund sollte allerdings von den Beschränkungen des Mose frei sein und deshalb Gott von Angesicht zu Angesicht sehen und einen neuen und höheren Bund zwischen Gott und Menschen vermitteln können (Hebräerbrief 9, Vers 15 im Neuen Testament). Dies war nur in der Wesensgleichheit mit Gott möglich. Für diese Gleichheit steht Jesus.

Das also ist "mein" Garten. Wer ihn betrachten will, soll die Pflanzen darin leben lassen. Aber das gilt auch für den Garten, den meine moslemischen Nächsten kultivieren. Auch ihre Pflanzen will ich achten, ja mich dafür einsetzen, daß sie geschützt werden.



* natürlich nicht die Partei der Fatwa, die 1989 als eine Art Todesurteil von Teheran gegen Salman Rushdie verhängt wurde, der aus der ganzen Sache bekanntlich einen kompletten Roman gemacht hatte.
** gerne verschicke ich eine pdf-Datei der acht Seiten, der Herder-Verlag möge mir verzeihen (Anfragen an runkel at runkel.de). Ich habe seinerzeit auch zu diesem Buch einen eigenen Blog geschrieben, der einiges verkürzt zusammenfaßt, der aber das Leseerlebnis in keiner Weise ersetzt.
*** Exodus (2.Mose) 33, Vers 11 sagt Und JHWH redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, so wie ein Mann mit seinem Freund redet, allerdings muß es eine verhüllte Nähe gewesen sein, wie Vers 23 im selben Kapitel nahelegt.

1 Kommentar:

Nureddin Öztas hat gesagt…

Lieber Herr Runkel,
mein Respekt gilt der Bibel, dem Jesus (FSI) und allen anderen Fundamenten des christlichen Glaubens. So schaue ich mit Respekt in Ihren Garten. Aber Ihr Blog ist eine Korananalyse (mein Garten) und ich als Muslim versuche zu erklären wie die koranischen Begriffe aus muslimischer Sicht verstanden werden sollten. Dass an einigen Punkten Christen und Muslime anders denken, steckt in der Natur der Sache. Sonst wären wir auch Christen. Das braucht niemanden zu verärgern. So wie die Christen die Juden korrigiert haben, korrigieren die Muslime die Christen. Bei allem Respekt, wir sind Muslime.
Mit freundlichen Grüßen,
Nureddin Öztas