Mittwoch, 8. Oktober 2008

Der menschliche Prophet

Sure 65: Die Scheidung
Sure 66: Das Verbot
Sure 67: Das Reich
Sure 68: Die Feder
Sure 69: Die Unvermeidliche

Von den letzten 50 der insgesamt 114 Suren werden nur noch fünf (65, 66, 76, 98 und 99) der Zeit in Medina zugerechnet, alle anderen sind aus der frühen Mekka-Periode, also aus den anfechtungsreichen, ja gefährlichen „Gründerjahren“ des Propheten. Diese Jahre beginnen etwa 609 und enden 13 Jahre später mit der Auswanderung nach Medina im Jahre 622, dem Jahr 1 der islamischen Zeitrechnung.

Die Suren aus der Zeit in Mekka sind meist kürzer und enthalten in der Regel keine ausführlich ausgearbeiteten Lebens- und Verhaltensregeln, wie sie später für eine sich ständig vergrößernde Gemeinde in Medina notwendig waren.

Als eine typische frühe Mekka-Sure sieht mein, in seinen Fußnoten oft auch kräftig kommentierender Übersetzer von 1901, Max Henning, die Sure 68 an. Sie beginnt:

Bei der Feder und was sie schreiben,
du bist nicht, bei der Gnade deines Herrn, besessen!

(Vers 1 und 2)

Mohammed muß zu Beginn seines Wirkens also offenbar auf eine grundsätzliche Weise getröstet und bestärkt werden. Wenn er das alles an sich heranläßt, was seine Gegner an Bösem über ihn verbreiten, ist er mit seiner Kraft bald am Ende. Deshalb bestärkt ihn die Sure:

Du bist wahrlich von edler Natur,
und du sollst schauen und sie sollen schauen,
wer von euch der Verrückte ist.

(Verse 4 bis 6)

Hier ist der Prophet als ein ganzer Mensch sichtbar, dessen Anfechtungen durch üble Nachrede genauso wenig verschwiegen werden wie die Kritik der jüdischen Zeitgenossen am Fresser und Weinsäufer Jesus (Matthäus 11,19). Bibel und Koran sind sich hier in ihrer schnörkellosen Aufrichtigkeit durchaus ähnlich.

Anders als bei Jesus muß allerdings bei Mohammed die Kritik nicht bis zum Ende widerlegt werden. Mohammed behauptet ja nicht, von göttlichem Ursprung zu sein, deshalb kann er eigentlich auch Fehler machen. Das geschieht etwa in Sure 66. Dort hat er aufgrund von Vorwürfen seiner Frauen von sich aus den Trennungsstrich zu einer schönen Sklavin gezogen, mit der er ehelich verkehrte. Aber die Sure korrigiert ihn:

O Prophet, warum verbietest du, was Gott dir erlaubt hat?
(Vers 1)

Ein irrender, ein über das Ziel hinausschießender Prophet ist also vom Koran her durchaus denkbar.

Vor diesem Hintergrund ist mir weiterhin nicht klar, warum die Moslems trotzdem an einer fast göttlichen Unfehlbarkeit und Makellosigkeit Mohammeds festhalten. Er wird ja doch einerseits immer wieder ganz fest in eine irdische Geschichte eingebunden, die historische Situation jeder Sure wird von den Kommentatoren genauestens abgeklopft. Aber andererseits entsteht am Ende dann doch das Bild eines Mannes, den man wie einen mittelalterlichen christlichen Heiligen im milchigen Lichtschein seiner Heiligkeit ohne Einschränkungen und Makel verehrt.

Heilige haben eine sie verklärende „Legende“, so war es früher. Aber damit hat zunächst die Evangelische Kirche ab 1500 und dann die Aufklärung ab 1750 gründlich aufgeräumt und historische Fakten an den Stellen gefordert, wo man früher Sagenbilder hatte. Ich will nicht sagen, daß auch die Geschichten von Mohammed ins „legendäre“ abdriften, dafür arbeiten die Kommentatoren wie gesagt zu kritisch an den historischen Details. Aber mir erscheint am Ende ein Glaube zu stehen, der sich von den eben noch erarbeiteten historischen Details dann doch wieder vollkommen löst. Er wird zu einem reinen Glauben, einem bewußt unhistorischen Glauben, der Mohammed in einem so hellen Licht sieht, daß ihn kein anderes menschliches Wesen auch nur annähernd erreicht.

Ich sehe darin ein Paradox, für das es allerdings eine christliche Parallele gibt. Vielleicht gehen in dieser Frage das Dogma und der Glaube ganz ähnlich überkreuz wie bei einer wichtigen, die beiden großen Kirchen trennenden Frage: die Katholischen behaupten, daß man nur durch gute Werke in den Himmel kommt, die Evangelischen dagegen sagen allein durch den Glauben. Aber - platt gesagt - die Katholiken tun dann gar nichts (und glauben an Gottes Gnade), während die Evangelischen rastlos werkgerecht sind*.

Behaupten also entsprechend auch die Christen einen Gott Jesus und lassen ihn in der Praxis so sehr Mensch sein, daß er gegen jede Art von kritischer Herabsetzung hier auf Erden völlig ungeschützt und ohen Hilfe ist? Und glauben die Moslems an den Menschen Mohammed, aber machen ihn dann doch so über alles Menschliche erhaben, daß selbst die kleinste Beleidigung seiner Person eine weltweite Empörung auslöst?

Ich kann nicht beweisen, daß es so ist. Aber ich sehe hier doch andeutungsweise einen Ansatz für zukünftige Strategien, mit denen man Streit vermeiden und gegenseitiges Vertrauen erneuern kann.


* den Gedanken zitiert Carl Friedrich von Weizsäcker in seinem Buch Der Garten des Menschlichen" (1978) als Aussage von Wilhelm Kütemeyer

2 Kommentare:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Behaupten entsprechend auch die Christen einen Gott Jesus und lassen ihn in der Praxis so sehr Mensch sein, daß er gegen jede Art von kritischer Herabsetzung ungeschützt ist? Und glauben die Moslems an den Mensch Mohammed, aber machen ihn dann doch so über alles Menschliche erhaben, daß selbst die kleinste Beleidigung seiner Person eine weltweite Empörung auslöst?

Ich glaube, hier ist ein zentraler Punkt, die Vermittlung des Göttlichen und des Menschlichen, überzeugend angesprochen. Christentum und Islam betreiben sie, die Vermittlung, sozusagen gegenläufig. Der christliche Gott läßt Jesus seine göttlichen Sohn Mensch werden, der menschliche Prophet des islamischen Gottes gewinnt göttliche Züge. Man kann urteilen, daß beide Seiten derzeit in der eingeschlagenen Richtung übertreiben. Viele zeitgenössische, zumeist protestantische Christen suhlen sich geradezu in den sogenannten menschlichen Zügen Christi, und nichts würde sie mehr freuen als der Nachweis, der Gottessohn habe rund um die Uhr bei den Huren gelegen. Die Übertreibungen der Moslems sind den Christen klar und augenfällig, zumal was die weltweite Empörung über dies und jenes und alles anbelangt, aber vielleicht wäre es hilfreich und der Verständigung dienlich, wenn auch sie wieder zu ein wenig seriöser sakraler Empörung gegenüber der Trivialisierungsflut zurückfinden könnten.

Nureddin Öztas hat gesagt…

Lieber Herr Runkel,
Mohammed(FSI) ist im Islam ganz klar als Mensch deffiniert. Im Glaubenbekenntnis heisst es: " Eschedu en La Ilahe Ilallah, ve eschedu enne Muhammeden Abduhu ve Resuluhu." ( Ich bezeuge daß es keinen Gott außer Allah gibt und ich bezeuge Mohammed ist sein Diener und Gesandter.) Wer das sagt und daran glaubt ist ein Moslem. Jeder kann das für sich tun und niemand muss es bezeugen, denn Gott weiss auch die Herzen. Alles andere als der erste Schritt zum Islam, ist außerhalb des Islam.
Die Verehrung des Mohammed als sein Gesandter mag noch so bunt klingen, solange es nicht die Grenze zum göttlichen überschreitet, kann man den Moslems der Vergöttlichung des Propheten gerechterweise nicht vorwerfen. Er war der beste der Menschen, heisst ohne wenn und aber er war ein Mensch, aber im Vergleich zu den anderen Menschen war er besser. Alle Propheten sind die besten unter den Menschen, mit besonderem, unvergleichlichem, beispielhaftem Charakter. Sie sind zum Beispiel nicht im Stande Sünden zu begehen. Das heisst aber nicht, daß sie ganz selten Fehler machten, die man nicht als Sünde sehen darf. Aber selbst ihre Fehler dienten den Gläubigen, sie waren von Gott gewollt, damit man 1. sie nicht vergöttert werden 2.die Menschen daran ein Beispiel nehmen in ihrem Leben uvm. Die Propheten sind keine fehlerfreien Engel, bewusst unter den Menschen ausgewählt, weil die Menschen sie als Beispiel nehmen sollen. Deshalb gibt es diese wenigen Fehler im Leben der Propheten. Diese islamische Erkenntnis über Propheten ist keine Vergöttlichung.
Ich las ein Buch über das Leben eines islamischen Gelehrten,Said Nursi, er lebte ca. vor 100 Jahren. Er hielt es für sich als Fehler mehr als 2 Stunden am Tag zu schlafen und die Beine dabei auszustrecken, vor Ehrfurcht vor Gott. Er ernährte sich von sehr wenig Nahrung, einmal als er im Gefängnis saß, hat er sich einen Monat lang von einem Glas Honig und trockenes Brot ernährt, weil er das Mehr auch als Fehler sah. Das sind die Fehler dieser Leute, und wie sehen unsere Fehler aus? Die Lebensweise dieser Menschen scheint uns natürlich sehr übertrieben, wir sind auch keine grossartigen Gelehrten, aber das veranschaulicht uns die Fehler der gottesnahen Menschen und uns. Deswegen sind die eben besser als wir. Und die Propheten sind noch vielmehr gottesnaher als die Gelehrten. Das heisst, wir würden sehr sehr hochmütig und eingebildet handeln, wenn wir jede Nacht mindestens 6 Stunden schlafen in unseren Spezialmatratzen, nicht fürchten müssen, daß wir aufgrund unseres Glaubens getötet werden, daß wir 3 mal am Tag essen dürfen, daß wir alle Luxusgüter und die Technologie bis ins Detail nutzen können uvm und dann behaupten Propheten hätten wie wir auch Fehler. Die Kritiker täten gut darin, ausnahmsweise einmal sich zu kritisieren oder sogar zuerst bei sich anzufangen. Der Anstand verlangt das. Der Islam lehrt uns aufrichtig mit uns und unserer Umgebung zu sein. Denn wer aufrichtig mit sich und Umgebung ist, ist es auch mit Gott. Handeln statt reden. Die gläubigen Menschen reden aber leider nur, auch die Muslime. Ich kann manchmal die Atheisten verstehen, die sagen: So möchte ich nicht sein. Es gibt nur wenige wie Gülen, die handeln und andere zum Handeln animieren. Das größte Problem der Muslime seit langem ist ihre mangelhafte Bildung, die am anfänglich weltführend war. Wir Muslime müssen wieder lernen uns völlig der Wissenschaft und Bildung zu öffnen, dann werden wir merken, daß wieder die Blütezeit der islamischen Welt zurückkehrt, von der die ganze Menschheit profitierte (Avicenna, Fuzuli etc.). Der Islam hat keine Angst vor der Aufklärung, sie steht nicht im Widerspruch zur Wissenschaft, deshalb hat sie von Anfang an die Wissenschaft vorangetrieben. Die Moslems haben dann verloren, als sie die Wissenschaft vernachlässigt haben, damit haben sie gegen ihre Religion gehandelt. Jetzt kommt eine neue Zeit, in der die Wissenschaft wieder in seinen Stammplatz im Islam zurückkehrt. Nursi deffinierte dazu die Theorie, die er aus dem Koran nahm (Risale-i Nur heisst sein wissenschaftlicher Werk) und Gülen setzt sie in die Tat um mit der Gründung einer weltweiten Bildungsoffensive. Für Nursi ist die Wissenschaft eine der Seiten der Vernunft, die andere Seite ist der Glaube. Nur aus dem Verbund beider entstammt der richtige Weg. Wir haben den Monat Ramadan hinter uns, in der wir als Moslems stärker durch unseren Glauben geprägt waren. Einige meiner nichtmoslemischen Freunde konnten uns nicht verstehen, warum wir nichts gegessen und getrunken haben. Sie fanden das ungesund und wir würden übertreiben. Nun,wir sind nicht gestorben und ich vermisse die Zeit mit der Reduktion an irdischen Genüssen und Steigerung der mentalen Kräften, aber gleichzeitig weiss ich z.B. in Afrika übertreiben viele ob sie wollen oder nicht. Sie haben keine Wahl, während wir hier die tollsten Diäten ausprobieren. Mit vollem Bauch lässt sich viel philosophieren, viele Dinge für richtig und falsch zu erklären.
Was hält man von jemandem der vor 1400 Jahren die Sklaverei verbot,die schwarzen Menschen neben sich setzte, die Schwachen rettete, Frauenrechte einführte, Mädchen vor Tötung rettete, den Armensteuer einführte,die Reichen zur Gabe verpflichtete, der selber aber in Askese lebte,obwohl er alles bekommen würde,der mit 25 eine 40 jährige Witwe heiratete, der Frieden stiftete, der sich nur zu Verteidigungszwecken wehrte, der sogar die Rechte seiner Gegner schützte, der eine gerechtere, sozialere, beteiligendere,friedlichere, geschütztere, Gottgewandtere Gesellschaft formte. Was würde man von so einem Menschen halten, wenn man nicht wüsste, daß er Mohammed heisst? Taten die anderen Propheten vor ihm andere Dinge? Verbinden nicht diese Taten diese Personen und zu wem zeigen alle diese Menschen? Ist das Vergötterung?
Mit freundlichen Grüßen,
Nureddin Öztas