Sonntag, 12. Oktober 2008

Einreden

Sure 90: Das Land
Sure 91: Die Sonne
Sure 92: Die Nacht
Sure 93: Der lichte Tag
Sure 94: Dehnten wir nicht aus?

Der Benediktinerpater Anselm Grün hat ein schönes kleines Buch* über den Umgang mit negativen Gedanken geschrieben. Er wendet darin den Oberbegriff Einreden an – sowohl auf die dunklen Gedanken selbst als auch auf ihre positiven Entgegnungen. Das Wort Einreden hat ja in der juristischen Sprache eine ähnliche Bedeutung wie Einspruch – etwa in dem Sinn, daß man eine uralte Rechnung nicht mehr bezahlen muß, weil man dagegen die Einrede der Verjährung erheben kann.

Entsprechend kann man gegen das, was einen an niederdrückenden Gedanken quält, innerlich Einrede erheben. Ja, man kann sich bewußt machen, daß eigentlich jedes Wort, das unsere Gemütslage in eine bestimmte Richtung verändert – zur Zuversicht oder zur Depression, zum Optimismus oder zum Pessimismus – eine Einrede in einem allgemeineren, wörtlichen Sinn ist. Wir reden uns etwas ein, und das kann wahr oder falsch, passend oder unpassend sein, wir merken aber in jedem Fall, wenn wir aufmerksam sind, daß es eine Auswirkung auf unsere Grundstimmung hat.

Einreden beginnen bei den einfachen Worten der Kindheit – „meine Mutter hat immer gesagt…“ – und enden bei hohen Worten aus dem Schatz des Glaubens. Sie kommen und gehen in unserem Kopf meistens nach ihren eigenen Gesetzen, auf die wir keinen Einfluß haben. Allerdings besteht unsere Möglichkeit, ihren Strom zu steuern, immerhin darin, gute Einreden zu kennen, mit denen man den schlechten begegnen kann.

Wenn ich ein Koranwort für besonders geeignet halte, in diesem Sinn eine gute Einrede zu bilden, dann das folgende Wort aus Sure 94, Vers 5:

Denn siehe mit dem Schweren kommt das Leichte.

Ich erwarte deshalb mit Zuversicht die Bestätigung von Herrn Öztaş, daß die Übersetzung, die mir IslamiCity auch für die türkische Sprache liefert

Zorlukla beraber kolaylιk vardir.

zu seinem nationalen Schatz guter Einreden gehört.

Übrigens gibt es eine ganz ähnlich lautende Stelle in Sure 65, es heißt dort in Vers 7:

Nach Schwierigkeit gibt Gott Leichtigkeit.

Der Unterschied zu Sure 94 besteht in der Einbeziehung Gottes in das Naturgesetz des Wechsels von Schwer und Leicht. Man könnte fragen: ist das Wort nur mit Gott denkbar oder darf auch der Ungläubige sich an solchen und ähnlichen Worten trösten?

Ähnliche Parallelworte, die man im Wechsel mit oder ohne Gott denken kann, gibt es auch in der Bibel. So wollen etwa einige Verhaltensforscher herausgefunden haben, daß es auch ohne Einbeziehung Gottes vernünftig ist, sich an das Jesus-Wort zu halten wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar (Matthäus-Evangelium Kapitel 5, Vers 39) Angeblich soll das Anbieten eines schutzlosen Körperteils selbst im Reich der Raubtiere den „Beißreflex“ unterdrücken.

Ähnlich halten andere die Predigt, die Jesus über die falschen Sorgen hält, ebenfalls für allgemeingültig: Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. (Matthäus 6, 28 – 29)

In meiner Jugend haben wir darüber gestritten, ob solche und ähnliche Verse „mit Gott“ oder „ohne Gott“ zu interpretieren sind. Heute meine ich im Sinne der Einreden, daß es darauf gar nicht ankommt. Wenn die innere Stimme sich Gehör verschaffen will, muß ein bestimmter Glaube hinzutreten und der Stimme helfen. Vielleicht liegt hier der Anfang eines Weg zu Gott.


* Anselm Grün, Einreden, 2001 im Verlag der Abtei Münsterschwarzach bei Würzburg

1 Kommentar:

Nureddin Öztas hat gesagt…

Lieber Herr Runkel,
es gibt einen türkischen Spruch der mir einfiel, als ich Ihre Analyse las: "Her seyde bir Hayir vardir" ( In jedem Ding gibt es etwas Positives.)
Wir haben einige Male über die Weisheit des Koran über das äusserlich negative, doch im Kern positive Dinge um uns herum, gesprochen. Den tiefen Sinn zu suchen und Gottvertrauen waren die Ergebnisse dieser Betrachtung.
Das Andere ist auch, daß die Geschehnisse immer in einem Wechsel sich wiederholen. Wie ein Pendel wechseln sich schwierige Zeiten mit guten. Darin steckt auch ein Trost für uns in schlechten Zeiten und eine Ermahnung in guten Zeiten. Wir sollen immer einen Mittelweg (den geraden Weg) gehen, nicht verzweifeln und nicht übermütig sein und wissen Gott ist immer anwesend. Geduld und Dank wechseln sich ab bei den Gläubigen in diesen Zeiten und jede Zeit bringt Früchte für den Gläubigen mit sich. Der Gläubige profitiert immer, sowohl in einer Zeit der negativen Vorzeichen, als auch in einem des positiven.
Ich möchte Menschen nicht nahetreten oder bevormunden,die sich selber Ungläubig bezeichnen, aber ich glaube, daß jeder von Ihnen mehr oder weniger nicht abstreiten kann das Bedürfnis zu haben zu glauben.
Ob sie das zugeben oder nicht ändert nichts an diesem elementaren menschlichen Bedürfnis. Nichts ist umsonst, nichts ist dem Zufall überlassen in diesem System. Wir bezeichnen die durch seine Werke sichtbare, übergeordete Kraft mit Gott und andere sagen etwas anderes dafür. Wichtig ist aber, daß wir alle die Kunst nicht ohne einen Künstler vorstellen können. Daher denke ich, daß wir ausserordentlich uns helfen können, wenn wir einen Kompass im Leben haben der uns Halt und Mut gibt, der uns in schwierigen und guten Zeiten immer auf der richtigen Fährte lotst. Vieleicht machen die eigenen schlechten Erfahrungen mit der Religion diese Sicht schwer, aber selbt wenn wir das was wir empfinden und nicht näher deffinieren können anders bezeichnen als Glaube, bleibt diese innere Stimme doch immer da. Deshalb denke ich alle Menschen haben einen Vorteil, wenn sie den Ratschlägen Gottes neutral Folge leisten. Da wäre aber noch die zu überwindende, ewige Frage der Entscheidungsfreiheit bei jedem. Diese Frage wird immer bei dem Jenigen bleiben, denn die Prüfung erfordert es. In dem Punkt hilft vielleicht die Einsicht, was gewinnt man wenn sich zu diesen Glaubensinhalten verschliesst? Welchen Vorteil hat man? Oder besser gesagt was riskiert man umgekehrt?

Mit freundlichen Grüßen,

Nureddin Öztas