Donnerstag, 9. Oktober 2008

Nicht so die Betenden

Sure 70: Die Stufen
Sure 71: Noah
Sure 72: Die Dschinn
Sure 73: Der Verhüllte
Sure 74: Der Bedeckte

Die Sure 74 ist nach der Tradition zusammen mit Sure 96 die älteste Sure, die Mohammed offenbart wurde. Dies geschah um das Jahr 610 herum, Mohammed war damals etwa 40 Jahre alt. Folgt man der Tradition, daß Sure 96 am Anfang steht, dann wäre Sure 74 als zweite erst nach einer monatelangen Pause gefolgt, einer Pause, in der Mohammed offenbar in tiefer Ungewißheit über sein Prophetenamt gelebt hat. Als ihm dann eines Tages der Engel Gabriel erneut erschien, ist Mohammed nach Haus geflüchtet, hat sich ins Bett gelegt und seinen Angehörigen befohlen „Deckt mich zu! Deckt mich zu!“

Aus dieser Situation ruft ihn Sure 74 heraus:

O du Bedeckter,
steh’ auf und warne.

(Vers 1 und 2)

Der Leser des Korans macht bei seinem Lesen einen zeitlichen Weg über etwa 30 Jahre zurück. Die ersten Suren beginnen in Medina, wo Mohammed zwischen 622 und 630 lebt, die letzten enden wie gesagt in dem Mekka der Jahre um und nach 610. Der Vorteil dieses Rückwärtslesens besteht darin, daß sozusagen die ausführliche und deshalb leichter verständliche Botschaft zuerst kommt und erst später eine Art Konzentrat folgt.

Wenn man gegen Ende des Korans zu den frühen Suren gelangt, dann kennt man also bereits viele Gedanken vom Beginn des Korans und lernt jetzt ihre ursprüngliche, oft in eher knappen Worten dargestellte Bedeutung kennen. So gibt es in Sure 70 ein Bild des jüngsten Tages, das in seiner Kraft und Prägnanz das meiste, was vorher gesagt wurde, noch übertrifft:

An jenem Tage wird der Himmel sein wie geschmolzenes Erz.
(Vers 8)

Diesem Urereignis werden in Sure 70 die Menschen in ihrer grauen Beschränktheit gegenübergestellt. Sie haben nichts vorzuweisen, was ihnen an diesem Tag Schutz bieten könnte. Im Gegenteil, sie sind schon hier auf der Erde kleinlichen Gefühlsschwankungen unterworfen, mutlos bei Schwierigkeiten, knauserig im Glück. So ist der Mensch! sagt Sure 70 in den Versen 19 – 21, fügt dann aber in einer plötzlichen Wendung an:

Nicht so die Betenden.
(Vers 22)

Man wird hier erneut daran erinnert, daß Mohammed den Gläubigen eigentlich neben der Furcht vor Gott und vor dem Gericht am Ende der Zeiten nur zwei Dinge unmittelbar ans Herz legt: das Gebet und die Armenspende. Dem wird wenig hinzugefügt, klare Gebote und Verbote im Sinne des mosaischen Gesetzes oder des Liebe deinen Nächsten wie dich selbst sind offenkundig nicht der Stil des Korans.

Mohammeds Lehre ist dafür aber eine Renaissance des Gebetes. Die Christen übersehen das oft, weil sie sich an den formalisierten Gebeten stören und die komplizierte Abfolge von unterschiedlichen Gebetshaltungen nicht verstehen. Sie vermuten dahinter eine weitestgehend von eigenen Gedanken und Wünschen befreite Haltung, die eher einem Untertanen ansteht, nicht aber einem freien Gegenüber Gottes.

Herr Öztaş sieht das ganz anders. Er betet, wie er mir sagt, für sehr konkrete Anliegen, er betet sogar – es rührt mich sehr – auch für mich und meine Familie. Sein Leben ist von Gebet durchdrungen, und ich glaube ihm, daß er nicht nur mit seinem Körper betet, sondern auch mit seinem hellwachen Geist.

Eine alte jüdische Tradition verlangt von den innerlich Betenden eine sichtbare äußere Beteiligung. Zumindest die Lippen sollen sich bewegen, am besten der ganze Mensch, und so beten die frommen Juden in Jerusalem an der alten Westmauer des Tempels oft in wiegenden, manchmal ruckartigen Bewegungen, gerade so, als wollte ihr Körper den Geist wach halten.

Daß ein solches Wachhalten notwendig ist, weiß niemand besser als ein Christ, der – gewohnt an stille, reglose Gebete – immer wieder den roten Faden seines stummen Gebets verliert und ihn dann wieder neu finden und aufnehmen muß. Nichts läßt den Geist unruhiger schweifen als der Vorsatz, eine bestimmte Zeit im Gebet zu verbringen.

Auch ich bete gelegentlich (laut, am Frühstückstisch bei der Morgenandacht mit meiner Frau) für Herrn Öztaş und seine Familie, bete auch für seine besondere säkulare Aufgabe in seiner Heimatstadt, über die an einem anderen Ort noch zu berichten wäre. Alle drei Religionen des Buches rufen zum Beten auf. Ich fühle mich denen, die diesem Ruf folgen, in meinem Herzen verbunden – egal ob sie es im Stehen, Sitzen, Knien oder Liegen tun, in Jerusalem in Rom oder Mekka, still oder bewegt.

Wer ernsthaft betet, sucht Gott, wer Gott sucht, von dem läßt er sich finden. So sagt es der biblische Prophet Jeremia in seinem Buch, Kapitel 29, Vers 13 und 14.

1 Kommentar:

Nureddin Öztas hat gesagt…

Lieber Herr Runkel,
für die liebenswerte und gütige Form uns in Ihre Gebete einzuschliessen bedanke ich mich sehr. Auch ich muss gestehen davon innerlich berührt zu sein. Denn die Gebete sind die stärkste Ausdruckskraft der Menschen, in denen nichts ausser den tiefsten und saubersten Wünsche zum Ausdruck gebracht werden. Der Empfänger ist immer der gemeinsame, eine und selbe Gott. Wir Muslime haben neben unseren Pflichtgebeten, auch je nach der Intensität unseren Glaubens und wie die Zeit es erlaubt auch ganz andere Formen zu beten. Diese Gebete sind völlig frei formuliert. Eine stille innere Einkehr, eine sich zum Himmel öffnende Hand, eine Gerührtheit die in Tränen enden kann und tausende andere Varianten. Es heisst es gibt so viele Wege die alle zu Gott führen, wieviele Atemzüge von allen seinen Geschöpfen gibt. Also unendlich viele. Für diese Gebete, die auch über Einen kommen können, kann es keine starren Formeln eines Pflichtgebetes geben. Den Koran zu lesen, an Gott zu denken, Anderen zu helfen, Anderen zu dienen, Menschen zu besuchen und tausende andere alltägliche Dinge sind für uns auch Gebete der praktischen Art. Ich versuche ja mit schönen Texten von Gülen den Blog zu bereichern, so habe ich wieder einen schönen Text von ihm, was das Beten angeht:

Zeit zu Beten
Geschrieben von Die Fontäne, April-Juni 2003
Dienstag, 01 April 2003
Wenn wir uns an den Allmächtigen Barmherzigen Gott wenden, wenn wir uns Ihm präsentieren und Ihn darum bitten, unsere Bedürfnisse zu stillen, bedienen wir uns des Bittgebets.

Bescheiden und ergeben sprechen wir Ihn an und sind uns dabei ganz der Tatsache bewusst, dass wir schwache, mittellose und hilfsbedürftige Diener sind, die nicht dazu in der Lage sind, sich selbst am Leben zu erhalten. Das Bittgebet ist also eine Notwendigkeit, die sowohl unserem Glauben an Gott und dem Vertrauen auf Ihn als auch unserer Einsicht in die Einheit Gottes entspringt.

In diesem Zusammenhang sind die Diener Gottes hin- und her gerissen zwischen Furcht und Hoffnung. Ruft euren Herrn in Demut und im Verborgenen an.(1), heißt es in einem Koranvers, der ein grundlegendes Element des Bittgebets vorstellt, welchem wir bei jedem unserer eigenen Bittgebete Rechnung tragen sollten. In dem Maße wie und überall dort, wo der Eine Gesetzgeber uns und unseren Gefühlen Raum gibt und uns die Fähigkeit zur Entfaltung schenkt, dürfen und sollen wir von diesem Prinzip Gebrauch machen.

Gott schreibt uns vor:

Ruf Ihn in Furcht und Hoffnung an. Wahrlich, Allahs Barmherzigkeit ist denen nahe, die gute Werke tun.(2)

Er zeigt uns sogar die Tür, durch die wir gehen sollen, und lehrt uns Regeln und Prinzipien, die wir, während wir noch vor der Tür warten, beachten müssen.

Wenn wir uns zu jeder Zeit und in jeder Situation an Gott wenden, unsere Hände zum Bittgebet öffnen und Ihm unsere Sorgen und Probleme unterbreiten, erweisen wir Ihm damit eine Ehre und ein erstes Entgegenkommen. Diese Handlungen stellen sehr wichtige einleitende Schritte dar, die wir unternehmen, um eine positive Antwort von Ihm zu erhalten. Er sagt:

Und wenn dich Meine Diener über Mich befragen, so bin Ich nahe; Ich höre den Ruf des Rufenden, wenn er Mich ruft.(3)

Doch es gibt eine Bedingung. Alle Bittgebete müssen so verrichtet werden, wie es der Vers Und ihr sollt euer Antlitz bei jeder Gebetsstätte (zu Ihm) rich-ten, und ihr sollt Ihn in lauterem Gehorsam anrufen.(4) vorsieht. Statt im Beisein anderer Menschen zu beten und gewissermaßen mit unserem Bittgebet zu protzen, sollten wir den Allwissenden Gott, Dessen Augen und Ohren weit mehr wert sind als die irgendeines Menschen, lieber im Verborgenen und mit größter Aufrichtigkeit anflehen - in völliger Zurückgezogenheit, die uns garantiert, dass wir uns anderen gegenüber verschließen, Ihm gegenüber aber offen sind. Die Erfüllung dieser Bedingung ermöglicht uns, Ihm mit der Alchimie der Verschwiegenheit zu begegnen, und verhindert, dass unsere Stimmen und Seufzer von den Funken unbedeutender Gedanken verunreinigt werden.

Vom Hofe Gottes kehrt niemand mit leeren Händen zurück. Menschen, die Ihm ihre tiefsten Wünsche und Bedürfnisse offenbaren und ihren persönlichen Kummer über sich selbst nur Ihm enthüllen, werden näher zu Ihm hingezogen als andere. Sie befragen den Einen, der all ihre Bedürfnisse zu stillen vermag, als würden sie einen Arzt konsultieren, der sie von ihren Krankheiten befreien kann.

Jeder Diener, der in die Gegenwart Dessen tritt, der uns am nächsten ist, sollte sein Ego, seine Äußerungen und die Vibrationen seiner Stimme voll und ganz unter Kontrolle haben. Darüber hinaus sollten sich Verstand, Auffassungsgabe und Sinne des Dieners in einem aufnahmefähigen Zustand befinden.

Gehorsame Diener filtern ihre Gedanken und Gebete durch ihre guten Absichten und ihre Aufrichtigkeit; denn sie versuchen, ihre Äußerungen und Gefühle frei von allen Störungen zu halten. Niemand kann sie hören; sie werden zu stummen Menschen.

Die Diener sollten, während sie beten, aber nicht nur aufrichtig sein, sondern auch nach Momenten und Sekunden forschen, in denen ihr Herz im Gedenken Gottes schlägt. Sie sollten von heiligen Tagen und Nächten profitieren, denn zu diesen Zeiten schüttet Gott Seine Gunstbeweise über uns aus. Gerade während der vorgeschriebenen Gebetszeiten und beim Fastenbrechen sollten wir alle Niederwerfungen und Verbeugungen so vortragen, dass uns keine Sekunde verloren geht. Von loyalen und aufrichtigen Dienern wird verlangt, dass sie diese Pflichten erfüllen. Das ist wichtig, damit ihr Gebet auch anerkannt wird. Grundlegend für die Annahme des Gebets ist auch, dass die Diener, unabhängig davon, ob ihre Wünsche erfüllt werden oder unerfüllt bleiben und ob die Umstände günstig oder ungünstig sind, nie zu beten aufhören und weiterhin auf Gott vertrauen.

Menschen, die an Gott glauben, sind nicht beunruhigt, wenn der Sommer genauso kalt ist wie der Winter, wenn der Frühling dem Herbst ähnelt oder wenn die Tage so dunkel wie blinde Gräber sind. Wer fürchtet sich vor der Dunkelheit, wenn Gott uns an Seine allumfassende Macht erinnert:

Wer errettet euch aus den Fährnissen zu Lande und Meer, wenn ihr Ihn in Demut anruft?(5)

Wer sorgt sich schon um diese Dinge, wenn ihm Gott in seinem Bewusstsein Seine Existenz bekannt macht?

Wer antwortet denn dem Bedrängten, wenn er Ihn anruft, und nimmt das Übel hinweg?(6)

Der Koran ist das Heilige Buch, das uns durch das Sein begleitet, das die Geschehnisse interpretiert und uns Makro- und Mikrokosmos bekannt macht. Er ist die Stimme der Welt des Unsichtbaren in diesem Leben, eine Zusage über die Gunstbeweise Gottes für die Menschheit. Er ist Essenz, Kern, Ruhm und Licht des Islam. Doch damit nicht genug: Abgesehen davon ist er auch eine Landkarte der Welten des Jenseits, eine Anleitung zum Glücklichsein für die Gläubigen und ein Gebetbuch.

Der Koran beginnt sein Bittgebet damit, dass er Ihn preist. Anschließend bittet er darum, auf den rechten Weg geführt zu werden. Mit der Sure al-Fatiha verschenkt er seine wertvollsten Edelsteine. Es folgt die Sure al-Baqara, die uns mit versteckten Hinweisen zum Gebet ruft. Gleichzeitig aber erhebt sie ihre Stimme auch mit aller Deutlichkeit und lehrt uns, was wir von Gott erbitten sollen:

Unser Herr, gib uns in dieser Welt Gutes und im Jenseits Gutes!(7)

Nur wenige Seiten weiter zeigt uns der Koran die Quartiere und Herbergen, in denen wir Zuflucht suchen können, wenn wir in Schwierigkeiten gera-ten und Hilfe benötigen:

Unser Herr, verleihe uns reichlich Geduld und festige unsere Schritte, und hilf uns gegen das Volk der Ungläubigen!(8)

Der letzte Vers dieser Sure beschert uns ein Bittgebet, das wir der Himmelsreise des Propheten zu verdanken haben. Dieses Gebet sollten wir regelmäßig sprechen:

Unser Herr, und erlege uns keine Bürde auf, so wie Du sie jenen aufgebürdet hast, die vor uns waren. Unser Herr, und lade uns nichts auf, wofür wir keine Kraft haben. Und verzeihe uns und vergib uns und erbarme Dich unser. Du bist unser Beschützer. So hilf uns gegen das Volk der Ungläubigen.(9)

Die nächste Sure al-Imran erinnert den Gläubigen ebenfalls an ein sehr wichtiges Bittgebet:

Unser Herr, lass unsere Herzen sich nicht (von Dir) abkehren, nachdem Du uns rechtgeleitet hast. Und schenke uns Barmherzigkeit von Dir; denn Du bist ja wahrlich der unablässig Gebende.(10)

Einige Verse später werden wir mit einem Hinweis auf die Bittgebete frommer Menschen, die sich folgender Worte bedienen, erneut dazu eingeladen zu beten:

Unser Herr, siehe, wir glauben; darum vergib uns unsere Sünden und behüte uns vor der Strafe des Feuers.(11)

Unser Herr, wir glauben an das, was Du herabgesandt hast, und folgen dem Gesandten. Darum führe uns unter den Bezeugenden auf!(12)

Direkt an diese Gebete schließt sich ein Bittgebet aus dem Mund jener demütigen Menschen an, die sich um die Propheten scharten und flehten:

Unser Herr, vergib uns unsere Sünden und unser Vergehen in unserer Sache; und festige unsere Schritte und hilf uns gegen das ungläubige Volk!(13)

Jene Passage am Ende der Sure, die der inneren Einkehr gewidmet ist, endet mit dem Wunsch nach einem positiven Lebensende:

Unser Herr, wahrlich, wir hörten einen Rufer, der zum Glauben aufrief (und sprach:) "Glaubt an euren Herrn!", und so glauben wir. Unser Herr, und vergib uns darum unsere Sünden und tilge unsere Missetaten und lass uns mit den Frommen verscheiden.(14)

Menschen, die vor Furcht erzittern und glauben, dass sie sich selbst ungerecht behandelt haben, beten:

Unser Herr, wir haben gegen uns selbst gesündigt; und wenn Du uns nicht verzeihst und Dich unser erbarmst, dann werden wir gewiss unter den Verlierern sein.(15)

Mit einem nicht zu überhörenden Schrei, der unsere Seele erbeben lässt, ermahnen sie uns:

Unser Herr umfasst alle Dinge mit Wissen. Auf Allah vertrauen wir. O unser Herr, entscheide denn Du zwischen uns und unseren Leuten nach der Wahrheit; denn Du bist es, der am besten entscheidet. (7:89)

Diese Worte vermitteln uns den einzigartigen Stil eines Bittgebets des Propheten um Gerechtigkeit. Voll und ganz auf Gott vertrauend bittet er Ihn um die Unterstützung gegen eine extrem anmaßende ungläubige Gesellschaft.

In Übereinstimmung mit dem Kontext präsentiert uns der Koran wiederholt Beispiele für Bittgebete und flehende Ersuchen des Propheten um Hilfe. Drei Beispiele:

Du bist unser Beschützer; so vergib uns denn und erbarme Dich unser!(16)

Unser Herr, mache uns nicht zu einer Versuchung für das Volk der Ungerechten.(17)

Es ist kein Gott außer Dir. Gepriesen seist Du! Ich bin wahrlich einer der Ungerechten gewesen.(18)

Hunderte von Koranversen rufen uns dazu auf, uns selbst zu hinterfragen, uns anzuklagen und unsere schlechten Eigenschaften zu kritisieren. Diese Verse beweisen: Für Menschen, die in der Verantwortung stehen, ist das Bittgebet ein Quell der Stärke; für jene, die gesündigt haben, ist es ein Quell der Erlösung. Den Bedürftigen bietet es eine Lösung, und denen, die in Nöten sind, reicht es die Hand. Den Armen ist es ein Schlüssel zum Reichtum und den Kranken ein Doktor. Den Verzweifelten mutet es an wie eine Brise der Hoffnung, und den Unterdrückten und Betrogenen stellt es einen Lieferschein über ein Geschenk aus. Der Koran weist immer wieder darauf hin, dass das Bittgebet und die demütige Anrufung Gottes weltliche Probleme lösen und Sorgen in Bezug auf das Jenseits vertreiben. Permanent unterstreicht er, dass diejenigen, die (das Buch) mit dem Herzen sehen und mit der Seele flüstern, zu Gott reisen und zu Ihm beten.

So wie die Farben der Bittgebete den Horizont des Koran schmücken, stellt sich das Leben des Propheten Muhammad wie ein mit höchster Sorgfalt gewobenes Muster aus Bitten und Gebeten dar. Er pflegte die Hände zu öffnen, sich seinem Herrn zuzuwenden, vor Lobpreis und Dankbarkeit schier zu bersten, sich zu verbeugen, sich im Gebet auszudehnen und Gott unablässig anzuflehen. So hielt er es sein ganzes Leben lang: direkt nachdem er morgens erwachte, während seines Alltags zwischen Morgen und Abend und während seiner Nächte, die er aufrecht stehend in der Gegenwart Gottes verbrachte; während er die rituellen Waschungen vornahm und die vorgeschriebenen Pflichtgebete verrichtete; während er diese Gebete leistete (jedes von ihnen einer Himmelsreise ähnelnd) und jedes Mal, wenn er dem Ruf zum Gebet folgte; in und nach jedem Bittgebet, um Gott näher zu kommen, und auch während des Essens; wenn er zu Bett ging, auf Reisen war oder von einem Feldzug zurückkehrte, der ihn mit seinen Feinden konfrontierte; während ihm weltliche und himmlische Katastrophen und allerlei Überraschendes widerfuhr; während er Zeuge bemerkenswerter Geschehnisse wurde und immer, wenn er an Krankheiten litt oder mit Problemen zu kämpfen hatte; nicht zuletzt immer dann, wenn er sich Sorgen machte oder zufrieden war. Mehr Details über all seine Gebete und Anrufungen liefern uns die Gebetbücher.

Das Bittgebet ist ein geheimnisvoller Schlüssel zu Seinen ewigen Schatzkammern, ein Beistand für die Armen und Verletzten und die sicherste Zuflucht für Menschen in Not. Wer diese Zuflucht betritt, dem wurde der Schlüssel ausgehändigt. Die Armen, Schwachen und Bedürftigen, die diesen Wirkungskreis betreten, erhalten das, was sie sich immer erhofft haben.

Die Bewohner der Himmel überbringen die aufrichtigen Bittgebete dieser bedürftigen Menschen, die über keine anderen Lösungen verfügen. Diese Notleidenden, die sich in einem trostlosen Zustand auf der Schwelle des Todes befinden, wissen, worum sie bitten, und sind sich ihres Handelns sehr wohl bewusst. Sie rufen Ihn an und enthüllen Ihm all ihre Gedanken. Ihre Bittgebete vermögen die Himmel in Tränen ausbrechen zu lassen. Sie sind dazu im Stande, die Richtung von Wirbelstürmen, die die Welt bedrohen, zu ändern. Sie bringen es fertig, Wellen, die alles unter sich begraben, zu beruhigen, und sorgen dafür, dass der Friede am Horizont erscheint. Auch steht es in ihrer Macht, dass mit Fehlern und Irrtümern behaftete Strömungen unerwartet vor plötzlich auftretenden neuen Strömungen kapitulieren und dass sich freigesetzte Gase in der Atmosphäre verflüchtigen. Die Brise dieser Bittgebete belebt die Erde und hellt den Himmel auf. Die Herzen schlagen aus Heiterkeit, und die Natur schwingt sich auf zum Tanz und zu einem Lächeln.

Im Bittgebet bieten die Menschen dem Gepriesenen Einen jene intimsten Bedürfnisse dar, die jenseits aller Ursachen liegen. Mit ihrem Gebet erkennen sie an, dass Gott alles sieht, was verborgen und was sichtbar ist. Nicht nur die Menschheit, sondern auch Engel und Dschinn bitten Ihn um Dinge, die nicht in ihrer Macht liegen. Von Ihm erwarten wir Hilfe. Allerdings wird diese Hilfe nur dann kommen, wenn wir alle nötigen Maßnahmen ergreifen und alle Bedingungen erfüllen.

Du Heilmittel für alle Menschen in Not! Spende allen, die besonders in unserer Zeit in der Dunkelheit leiden, Dein Licht - gerade dann, wenn alle anderen Mittel erschöpft und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zerrüttet sind; gerade dann, wenn überall nur die Stimmen von Gewaltherrschern zu vernehmen sind; gerade dann, wenn die Menschen taumeln und auf Hindernisse stoßen. Lösche die Feuer von Tyrannei und Ungerechtigkeit mit Deiner unendlich großen Macht! Zerstöre die Häuser der bösartigen Menschen, und gebiete ihnen Einhalt!

Die Winde der Inspiration erreichen uns nicht länger. Die Begeisterung unserer Herzen scheint gezähmt, und auf unseren Zungen liegt ein Stottern. Schicke uns eine belebende Brise aus Deinem Land der Gnade! Stärke unsere Hoffnung auf Dich und unsere Zuneigung zu Dir, bis sie die Grenzen Deiner Gnade streifen. Schenke uns Enthusiasmus, und akzeptiere uns als hoffnungsvolle Bittsteller! Löse unsere Zungen, damit wir in Zukunft keine weiteren Sünden mehr begehen!

Wir haben Unrecht getan, sind gefallen und in einem schlimmen Zustand. Nie zuvor haben wir uns so weit von Dir entfernt. Nie zuvor haben wir solche Abgründe des Scheiterns betreten. Nie zuvor hat es uns so an Dir gemangelt.

Du Zuflucht der Bedrückten, Du Kraftquell der Schwachen, Du Heiler der Kranken, Du Aufrichtiger Ratgeber der Orientierungslosen! Einmal mehr suchen wir Zuflucht bei Dir und schütten Dir unser Herz aus. Wir sind nutzlosen Dingen hinterher gejagt und sehnen uns danach, uns lächerliche Träume zu erfüllen. Jene, denen wir uns voller Hoffnung genähert und denen wir vertraut haben, haben uns nicht einmal angeschaut, geschweige denn beachtet. Niemand außer Dir hat unsere Rufe vernommen und unsere Herzen liebkost. Unsere Gefühle wurden verletzt, und unsere Gedanken hat man als Verbrechen gebrandmarkt. So viele Orte wurden sabotiert, an so vielen Orten sind Feuer der Trennung aufgeflammt, und alles, was wir falsch gemacht haben, trübt inzwischen die Reinheit des Glaubens.

Verletzte Gefühle, ungeschicktes Verhalten, in den Schmutz gefallene Seelen, gebrechliche Füße, gelähmte Hände... die meisten von uns haben alle Hoffnung fahren lassen... Nebel herrscht, und der Himmel ist grau... die Menschen im Westen sind erfüllt von Verlangen... die Menschen im Osten brauchen Deine Gunstbeweise. In diesem Chaos wenden wir uns an Dich. Wir sind weder die Ersten noch die Letzten, die zu Dir kommen. Deine Gnade ist die Tür der Hoffnung für Menschen die bereuen; und wir stehen als armselige Bettler vor ihr. Bis zum heutigen Tage sind alle, die an Deine Tür geklopft haben, mit einem Segen zurückgekehrt. Kein Flüchtling und niemand, der ernsthaft Buße tat, wurde jemals abgewiesen. Es ist Deine Tür, deshalb unterscheidet sie sich von allen anderen Türen. Sie öffnet sich durch die Vergebung, die du allen Wartenden gewährst. Stärke uns durch Deine Güte und Deinen Frieden! Mache Deine Existenz auch den Gewaltherrschern bekannt!

Du Sultan des erhabenen Throns, der alle Gebete beantwortet! Tausende, ja sogar Hunderttausende von uns stehen nun in Deiner Gegenwart. Vor Dir öffnen wir unsere Hände; und während wir an die Tür Deiner Gnade, die immer offen steht oder zumindest angelehnt ist, klopfen, stöhnen wir auf. In den Tiefen unserer Herzen glauben wir, dass Du über alles, was da existierst, wachst und dass Du Mitleid mit jeder betenden Stimme empfin-dest. Darum sehen wir für den Moment über unsere Unwissenheit hinweg, stellen uns vor, wie unsere Sünden in den Höhen Deiner Gnade hinfort gespült werden, und ignorieren unsere Fehler, während wir auf Deine Vergebung vertrauen. Weil Du existierst - und Du bist der Einzige, der aus sich selbst heraus existiert - werden wir nicht im Stich gelassen werden. Wer sorgt sich schon um die Wildnis, die ihn umgibt, wenn Du unser Begleiter bist? Solange Du bei uns bist, ist es auch nicht schlimm, wenn wir vom Satan und seinen Anhängern umgeben sind. Du bist der Eine und Einzige Herrscher über alle Dinge, und Deine Herrschaft kann nicht niedergeworfen werden. Du siehst die kleinsten Dinge, hörst die leisesten Geräusche und lässt niemanden und nichts ohne Antwort.

Erneut klopfen wir mit den Fähigkeiten, die Du uns verliehen hast, und im Vertrauen darauf, dass Du uns unsere Wünsche erfüllst, an Deine Tür, die so groß wie Deine Gnade ist. Du kennst unsere Situation, und das, was wir Dir vortragen möchten, entspricht nur einem winzigen Teil Deines Wissens. Schenke uns ein Heilmittel für alle Schwierigkeiten, die wir im Laufe der Jahrhunderte durchmachen mussten! O Du Barmherziger und Mitfühlender Einer, nimm unsere Bittgebete an!

In der Hoffnung, daß unser gemeinsamer Gott unsere Gebete erhören möge und uns immer weiter zusammen bringen möge.

Amen-Amin

Mit lieben Grüßen,

Nureddin Öztas